Arnsberg. Luftfilteranlagen in Seniorenheimen sind sinnvoll, sagt selbst das Ministerium. Warum ein Caritas-Vorstand trotzdem vergebens für sie kämpft.
Christian Stockmann (53) wird unruhiger mit jedem Tag, der dahin zieht, an dem die Inzidenzen wieder steigen und an dem sich nichts tut. An dem er zwar vielleicht wieder ein Schreiben aus Düsseldorf bekommt, das sein Engagement würdigt, an dem er aber wieder keine Antwort bekommt, wie er Hilfe bei der Verwirklichung seines Ziels bekommt: der standardmäßigen Ausstattung von Gemeinschaftsräumen mit Luftfiltereinrichtungen in Alten- und Pflegeeinrichtungen sowie Wohnhäusern für Menschen mit Behinderungen.
Und zwar vor dem nächsten Herbst und Winter. Vor der vielleicht fünften oder sechsten Welle der Corona-Pandemie, die trotz Impfschutz wieder Folgen für die alten und pflegebedürftigen Menschen haben könnte: Weil das Virus wieder Einzug bei dieser aufgrund von Alter und Krankheit so verletzlichen Altersgruppe halten könnte. Weil dann wieder Einschränkungen für ihr Leben in den Einrichtungen drohen. Oder noch schlimmer: Ihr Leben selbst bedroht wird.
Alle 30 Minuten Querlüften – das ist in Altenheimen nicht möglich
Und deshalb will Stockmann diese Luftfilter flächendeckend, weil es sonst, da ist er sich sicher, das Virus leicht haben könnte. Weil ständiges Querlüften alle 20 bis 30 Minuten in den Einrichtungen nicht praktikabel ist bei alten Menschen, die viele Stunden in den Gemeinschaftsräumen sitzen, deren soziales Leben sich dort abspielt. „Ich bin überzeugt davon und verstehe es bis heute nicht, dass wir die Unterstützung nicht bekommen“, sagt der Mann, der seit 28 Jahren beim katholischen Sozialverband Caritas arbeitet, der in Arnsberg und Sundern sieben Senioren- und Pflegeeinrichtungen mit rund 480 Bewohnern sowie drei Wohnhäuser für Menschen mit Behinderungen mir knapp 115 Bewohnern betreibt. „Deshalb kämpfe ich dafür.“
Und das obwohl er sich eigentlich in eigener Sache zurücklehnen könnte. Der Caritasverband Arnsberg-Sundern hat schon in allen seinen Einrichtungen die Gemeinschaftsräume mit mobilen Luftfilteranlangen ausgestattet. Und auch die Konferenzräume und die Dienstzimmer, in denen regelmäßig mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammenkommen. Das alles schon im vergangenen Jahr. „Rund 220.000 Euro haben wir investiert und dafür auch ein Darlehen aufgenommen“, sagt Christian Stockmann. „Unser Verband ist relativ groß, wir können das stemmen. Aber das können andere Einrichtungen nicht.“
Von Ministerium zu Ministerium gereicht – aber noch lange kein Durchbruch
Es brauche die Unterstützung durch den Staat, so der Caritas-Vorstand. Jetzt ganz aktuell, um schnell noch vor der kalten Jahreszeit die Einrichtungen mit mobilen Anlagen auszustatten. Und langfristig, um stationäre, dauerhafte Luftaufbereitungsanlagen mit Wärmerückgewinnung bei Um- und Neubauten zum Standard zu machen. Stockmann lässt nicht locker, spricht und schreibt sich von Ministerium zu Ministerium. „Ich bin da schon der Wanderpokal“, lacht der Caritas-Mann, dem der Erfolg bislang aber versagt blieb.
Dabei hat er eine profunde Stimme der Wissenschaft an seiner Seite: Martin Wesselmann. Der ist Diplom-Chemiker, Sachverständiger in Hamburg und Mitglied der Innenraumhygienekommission des Umweltbundesamtes. Ein Gremium, das über Jahre allenfalls Experten bekannt war, das in der Corona-Pandemie aber Aufmerksamkeit bekommen hat mit der Empfehlung, nicht alle Klassenzimmer mit mobilen Luftfilteranlagen auszustatten, sondern nur die, bei denen die baulichen Voraussetzungen für ausreichendes Lüften nicht gegeben seien. Ansonsten sei das regelmäßige Stoß- und Querlüften während des Unterrichts die bessere Alternative.
Experte hält flächendeckenden Einsatz von Luftfiltern in Schulen für wenig sinnvoll
Ein Vorschlag, der seit Monaten für viel Diskussionen sorgt, weil Eltern, Schüler und Lehrer dies für nicht praktikabel halten. Doch Martin Wesselmann steht weiter zu der Empfehlung für Schulen: „Jetzt 450.000 Klassenräume mit Luftfilterlangen auszustatten, wäre Aktionismus. Sie sind oftmals auch zu laut für den Betrieb im Unterricht, die Frage der regelmäßigen Wartung so vieler Anlagen ist ungeklärt. Und es ist hier auch möglich und zumutbar, dass Schülerinnen und Schüler aufstehen und die Fenster öffnen.“ Anders als in Alten- und Pflegeeinrichtungen, wie Wesselmann gelernt hat.
Caritas-Vorstand Stockmann hatte ihn im vergangenen Jahr angesprochen, weil er passende und sichere Luftfilteranlagen für seine Einrichtungen suchte. Martin Wesselmann kam von Hamburg nach Arnsberg, schaute sich die Umstände vor Ort an, führte regelmäßige Messungen durch und kommt heute zu dem Fazit: „Ein regelmäßiges Stoß- und Querlüften ist hier nicht möglich. Dazu ist die Bewohnerschaft zu kälteempfindlich. Und wer soll das auch machen? Die Bewohnerinnen und Bewohner können dies oft nicht selbst. Und das Personal ist so schon sehr ausgelastet.“ An den Wänden der Gemeinschaftseinrichtungen hängen nun die Luftfilteranlagen relativ unscheinbar, die Caritas-Haustechniker kümmern sich regelmäßig.
Von Armin Laschet zwar eine Antwort, aber keinerlei Lösung
Und die Mess-Reihen, so Experte Martin Wesselmann, hätten eindeutig positive Ergebnisse gebracht. „Ziel muss es sein, das Luftvolumen eines Raums innerhalb einer Stunde viermal auszutauschen. Und das gelingt hier sehr gut.“ Die Belastung der Luft sei deutlich zurückgegangen – das sei messbar. Und subjektiv kommt aus der Bewohner- und Mitarbeiterschaft die Rückmeldung: Die Luftqualität sei besser geworden. Für die gesamte Innenraumhygiene-Kommission kann Martin Wesselmann nicht sprechen, er persönlich hat aber ein eindeutiges Urteil: „Ich empfehle den Einsatz von Luftfilteranlagen in Senioreneinrichtungen. Das ist eine sinnvolle Investition.“
Noch hat dieses Experten-Urteil Caritas-Vorstand Christian Stockmann aber noch nicht zum Durchbruch verholfen. Beim Bau- und Kommunalministerium NRW hat er sich schon eine Abfuhr geholt. Hier sei man nur zuständig für das Programm, mit dem in Schulen schlecht zu lüftende Räume unterstützt würden, nicht aber für die Seniorenheime. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat Stockmann auch angeschrieben. Aus der Staatskanzlei kam ein freundliches Schreiben zurück, dass NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) zuständig sei. Den hatte Stockmann natürlich schon angeschrieben. Die Antwort steht noch aus.
Vorschlag des Ministeriums ist in der Praxis sehr schwierig
Auf Anfrage unserer Zeitung erklärt das Ministerium, dass Luftfilteranlagen tatsächlich sinnvoll seien. Doch: „Eines gesonderten Förderprogrammes bedarf es hier, anders als bei Schulen, nicht, da Aufwendungen für betriebsnotwendige Ausstattungen im Rahmen der Betriebskostenerstattung berücksichtigt werden können.“ Und Gemeinschaftsräume seien betriebsnotwendig. Eine Lösung? Nein, sagt Christian Stockmann. „Das Ministerium macht es sich hier etwas zu einfach. Die Erstattung der Aufwendungen im Rahmen der Betriebskostenerstattung greift viel zu kurz. Die beinhaltet ein vorab verhandeltes Budget mit dem Kostenträger. Wenn jetzt aufgrund der Pandemie aus diesem Budget mobile Luftfilter angeschafft werden, dann würden andere notwendige Anschaffungen vernachlässigt. Und andere sensible Einrichtungen haben dieses Budget als Möglichkeit überhaupt nicht.“
Ein Förderprogramm sei der richtige Weg, auch für die Zukunft, um aus den mobilen Anlagen bei Um- und Neubauten feste Lüftungsanlagen zu machen, die dauerhaft für bessere Luft und damit auch für einen besseren Schutz vor anderen Krankheiten sorgen könnten. Er will weiter dafür kämpfen, das Thema in der Öffentlichkeit halten.
Und Christian Stockmann fühlt sich ein wenig an das vergangene Jahr erinnert, als er sich bereits im Frühjahr dafür einsetzte, dass es verpflichtende Schnelltests in Altenheimen für Personal und Besucher geben sollte. „Da ist mir gesagt worden, dass dies völlig widersinnig sei. Im Herbst ist es dann zur Pflicht geworden. Bis dahin ist viel Zeit verloren gegangen.“
>> INFO: VDI wird neue Empfehlung Luftfilteranlagen herausgeben
- Experte Martin Wesselmann sagt, dass entscheidend für die Luftreinigungsanlagen sei, wie viel Luft sie austauschen können. „Natürlich ist die Filterleistung wichtig, aber hier wird häufig in der öffentlichen Diskussion suggeriert, dass es auf möglichst starke Filter ankommt.“
- Aber noch wichtiger sei das Raumluft-Austauschvolumen. „Wenn es 100 Kubikmeter Raumluft gibt, dann muss die Anlage pro Stunde 400 Kubikmeter austauschen können.“
- Eine Arbeitsgruppe im Verein Deutsche Ingenieure (VDI), in der er tätig sei, werde in Kürze eine Empfehlung aussprechen, in der man sich für filtrierende Anlagen ausspreche und für UV-Anlagen, die Viren inaktivieren, aber gegen weitere chemische Verfahren.