Hagen. Bisher haben die Hausärzte nur davor gewarnt, das Corona-Impfstoff vernichtet werden muss. Nun ist es soweit.
Tausende Astrazeneca-Impfdosen drohen in Südwestfalen, bald im Müll zu landen. Das hat eine Umfrage bei den Hausärzten in der Region ergeben. Seit der Meldung, dass die Hybridimpfung zu bevorzugen ist, ist die Nachfrage nach dem britisch-schwedischen Vakzin komplett eingebrochen. Zuvor hatten viele Hausärzte auf Empfehlung den Impfstoff als Zweitimpfung eingeplant. Entsprechend voll sind ihre Kühlschränke mit Dosen, deren Verfallsdatum abläuft.
„Es schmerzt“, berichtet Tim-Henning Förster von der Sauerlandpraxis in Medebach. Er beurteilt Astrazeneca als „gut und sicher“. 150 Dosen lägen wie Blei im Kühlschrank der Gemeinschaftspraxis. Eine Vernichtung sei „sehr wahrscheinlich“. Astrazeneca sei totgeredet worden.
Lob für die Arzthelferinnen
Weniger Probleme, so Tim-Henning Förster, gebe es mit Biontech. „Da verfällt höchstens die eine oder andere Spritzendosis, wenn Termine kurzfristig nicht eingehalten werden.“ Verständnis dafür hat der Mediziner nicht, denn auch wenn sie telefonisch manchmal zu Spitzenzeiten schwer zu erreichen seien, „eine E-Mail zu versenden ist durchaus zumutbar“.
Es sei der Verdienst der Arzthelferinnen, dass keine Biontech-Dosen nach 14 Tagen übrig blieben, erklärt Förster. Woche für Woche setzten sie das durch wechselnde Vorgaben von Stiko und Ministerien angerichtete Chaos in einen realistischen Terminplan um. Die Arbeit der Arzthelferinnen im Kampf gegen den Verfall von Vakzinen sei nicht hoch genug einzuschätzen.
Tag für Tag ein Kampf
Förster hat Tag für Tag immer weniger Verständnis für Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen: „Ungeimpfte sollten für Tests zahlen, wenn sie zum Beispiel ein Fußballstadion besuchen wollen.“ Das müsse das soziale System nicht abfangen. Jens Spahns Vorstoß findet „meine volle Unterstützung“.
Diese Meinung vertritt auch Stefan Spieren, Hausarzt in Wenden. Er hat noch rund 300 Astrazeneca-Dosen übrig. „Und die werden wir auch nicht mehr los.“ 150 Dosen drohe die Vernichtung in den nächsten Tagen, weiteren 150 spätestens im Oktober. Allgemein werde die Bestellung von Impfstoff immer schwieriger, da die Nachfrage auf geringem Niveau immer wieder von Tag zu Tag schwanke.
Impfzentren warten auf Lkw des Ministeriums
Katja Köhler, Hausärztin in Schmallenberg, hat seit Mai kein Astrazeneca mehr bestellt. Die in den Sommerferien schlagartig nachlassende Nachfrage nach Vakzinen erschwere die Nachbestellungen bei den Apotheken.
Vanessa Pudlo von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe weißt daraufhin, dass Hausärzte seit Mitte Juli nicht mehr benötigte Covid-19-Impfstoffe an Impfzentren weitergeben dürfen. Dort allerdings besteht selbst ein Überangebot, wie Katharina Klaas, pharmazeutische Leiterin des Impfzentrums Hagen, berichtet: „Astrazeneca ist unser Problemkind. 5000 Dosen dieses Vakzins sollen in den nächsten Wochen vom Ministerium wieder abgeholt werden.“
Bundesregierung hat einen Plan
Den Impfzentren steht diese Möglichkeit im Gegensatz zu den Hausärzten offen. Vor zwei Monaten hat das Impfzentrum den Bedarf der Abholung angemeldet. „Und nun sind wir guter Dinge, dass das so umgesetzt wird“, so Katharina Klaas.
Die Bundesregierung hat mittlerweile einen Plan: 30 Millionen Impfdosen von Astrazeneca sollen kostenlos in Entwicklungsländer transportiert werden. In den nächsten Tagen soll es losgehen. Für die meisten Impfdosen dieses Vakzins, die in den Kühlschränken der Hausärzte lagern, ist das Verfallsdatum dann aber bereits abgelaufen.