Lüdenscheid. Sein Team soll den Stress bewältigen, den die Sperrung verursacht, und die Krise als Chance begreifen. Über Frust und positives Denken.
Das Büro ist bezogen, die ersten Bürgerinformationen sind verschickt. Sebastian Wagemeyer, Bürgerbeauftragter für den Neubau der Rahmedetalbrücke und Bürgermeister von Lüdenscheid, steht nun seit sechs Monaten mitten im Feuer.
Frage: Welches Gefühl herrscht bei Ihnen vor: Frust oder Hoffnung?
Sebastian Wagemeyer: Ich neige nicht dazu, negativ zu denken. Wer nicht mit Hoffnung nach vorne schaut, der kann auch nichts bewegen. Aber selbstverständlich bin auch ich manchmal etwas gefrustet. Da geht es mir wie anderen Betroffenen, die das Gefühl haben, dass es mit der A 45 nicht so richtig vorwärts geht. Das gilt vor allem für die Frage, wie wir den Schwerlastverkehr aus der Stadt heraushalten. Viele Bürger laden ihre Enttäuschung bei mir ab, aber das ist nachvollziehbar.
Sie sind also ein Blitzableiter.
Ja, auch. Aber das ist nicht schlimm. Diese Funktion kenne ich aus dem Amt des Bürgermeisters. Mein Anspruch ist nicht, mich wegzuducken. Natürlich kommen auch Leute ins Büro, um Dampf abzulassen. Es gibt aber auch viele konstruktive Anregungen, die zum Beispiel die Verkehrsführung auf Umleitungsstrecken betreffen. Unsere Aufgabe ist es, Informationen zu sammeln und weiterzugeben. Ich kann Dinge direkt in der Lenkungsgruppe des Ministeriums platzieren. Und allen sollte folgende Tatsache bewusst sein: Dieses Projekt ist so umfangreich und herausfordernd, dass es nie gelingen kann, allen Interessen gleichermaßen gerecht zu werden.
Mit welchen Problemen kommen die Menschen ins Bürgerbüro?
Die erste Gruppe treibt die blanke Not. Diese Bürgerinnen und Bürger leben an der Bedarfsumleitung, sind gesundheitlich angeschlagen, nervlich am Ende. Wir können ihr Problem natürlich nicht unmittelbar lösen, aber manchmal hilft es schon, wenn ihnen jemand zuhört. Außerdem nehme ich ihre Sorgen mit in den Lenkungskreis, um dort ein Problembewusstsein zu schaffen. Die zweite Gruppe kommt mit konkreten Anregungen, etwa zur Verkehrsführung. Das begrüße ich, denn wir sind auf diese Schwarmintelligenz angewiesen. Wir haben auch schon Vorschläge umgesetzt. Und schließlich nutzen auch Unternehmen unser Büro, um ihre Sorgen zum Ausdruck zu bringen. Sie fragen unter anderem nach einem konkreten Zeitplan für die Maßnahmen. Den hätten wir übrigens auch gerne.
Wo ist der Druck am höchsten?
Für die Bürgerinnen und Bürger und für mich ist absolut nicht hinnehmbar, dass der Schwerlastverkehr nach wie vor durch unsere Stadt brettert. Hier sehe ich den Gesetzgeber in der Pflicht, weil das Verkehrsrecht geändert werden muss. Es handelt sich um eine Bedarfsumleitung einer gesperrten Autobahn; die kann man wohl nicht so einfach dicht machen. Deshalb wird auch die Durchsetzung eines Nachtfahrverbotes schwierig. Aber wir erleben hier eine außergewöhnliche Situation, daher braucht es außergewöhnliche Maßnahmen.
Was hat Sie positiv überrascht in den vergangenen sechs Monaten?
Der enge Schulterschluss aller Beteiligten. Alle wollen dasselbe. Es gibt keinen Dissens darüber, ob die neue Brücke gebaut wird, es geht eigentlich nur noch um das Wann. Da ziehen sogar die Gewerkschaften und die Industrie- und Handelskammer an einem Strang. Das Problem schweißt die Region zusammen, es setzt Kräfte frei. Deshalb sehe ich auch die Gründung einer Bürgerinitiative positiv. Menschen ergreifen die Initiative, das ist gut. Es hält den Druck auf Entscheider hoch.
Wie beurteilen Sie die Arbeit der Autobahn GmbH Westfalen?
Ausgesprochen positiv. Sie arbeitet auf Augenhöhe, mit bemerkenswerter Sachlichkeit, Nüchternheit und Ruhe. Die Menschen dort gehen wirklich lösungsorientiert zu Werke. Und das, obwohl sie unter einem enormen Druck steht.
So, und jetzt das Negative.
Das bezieht sich gar nicht auf Personen oder einzelne Institutionen. Aber es ist in diesem Land augenscheinlich schwierig, schnell gute Lösungen herbeizuführen, wenn so viele Behörden und Ebenen beteiligt sind. In unserem Fall spielen die Stadt Lüdenscheid, der Märkische Kreis, die Bezirksregierung Arnsberg, Straßen-NRW, die Landesregierung, die Deutsche Bahn, die Autobahn GmbH und die Bundesregierung eine Rolle. Ich frage mich, ob dieses Konstrukt auf Dauer in der Lage sein kann, unsere gewaltigen Infrastrukturprobleme zu lösen. Ich möchte niemandem unterstellen, dass er nicht lösungsorientiert arbeitet, aber das System erleichtert es, sich hinter Regeln zu verstecken, und bremst den Gestaltungswillen.
Wie oft haben Sie mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) gesprochen?
Insgesamt zweimal.
Reicht das? Schließlich hat er das Projekt zur „Chefsache“ erklärt.
Ich weiß, dass sein Apparat ihn auf dem Laufenden hält. Ich habe einen direkten Draht zur zuständigen Staatssekretärin, und meine Funktion als Bürgerbeauftragter erleichtert es mir darüber hinaus, mit anderen entscheidenden Personen ins Gespräch zu kommen. Ich werde den Finger weiter in die Wunde legen.