Lippstadt/Paderborn. Millionenschäden, verzweifelte Menschen und eine Frau schwebt in Lebensgefahr. Eine erste Bilanz der Tornados in Lippstadt und Paderborn.
Tornados in Lippstadt, Paderborn und Höxter: Das Unwetter hat am Freitag Millionenschäden versursacht
Am schlimmsten traf es Paderborn. Hier wurden mehr 43 Menschen zum Teil schwer verletzt, eine Frau schwebt weiter in Lebensgefahr
Durch Paderborn zieht sich eine 300 Meter breite und fünf Kilometer lange Schneise der Verwüstung
Am Tag nach dem verheerenden Unwetter in Lippstadt und Paderborn versuchen die Behörden eine Bilanz der Schäden zu ziehen. Gleich an drei Stellen haben Tornados gewüstet – nur wenige Minuten, aber dafür mit immensen Schäden. Ein erstes Fazit:
Die Tornado-Bestätigung:
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat inzwischen bestätigt, dass es sich tatsächlich um Tornados gehandelt hat - ein in Deutschland sehr seltenes Wetterphänomen, das der DWD in seinen Vorab-Warnungen aber auch nicht ausgeschlossen hatte. Bestätigte Tornados gab es am späten Freitagnachmittag in Lippstadt, Paderborn und in Lütmarsen, einem Ortsteil der Stadt Höxter. Es sind massive Wirbelstürme, bei denen aus einer Gewitterwolke ein rüsselartiger Wolkenschlauch bis in Bodennähe reicht und eine gewaltige Kraft erreicht.
Die Lage in Paderborn:
Am stärksten betroffen war die Stadt Paderborn. Hier wurden nach Angaben der Polizei 43 Menschen verletzt – 13 davon so schwer, dass sie in Krankenhäusern verletzt wurden. Besonders schwer habe es eine Frau getroffen, so der leitende Polizeidirektor Ulrich Ettler. Sie werde in einem Bielefelder Krankenhaus behandelt und sei noch in der Nacht operiert worden. „Es geht ihr etwas besser, aber sie schwebt noch in Lebensgefahr.“
Bürgermeister Michael Dreier berichtete bei einer Pressekonferenz am Samstagvormittag, dass der Tornado in einem Korridor von West nach Ost – der ungefähr 300 Meter breit sei und sich über fünf Kilometer Länge mitten durch die Stadt ziehe – erhebliche Zerstörungen angerichtet habe. Im Herzen der Stadt, wo der neue zentrale Busbahnhof entstehe, seien Ampeln wie Streichhölzer umgeknickt worden. Auf einen Bus seien Bäume gestürzt, dabei sei glücklicherweise kein Mensch schwer verletzt worden. Der Tornado habe rund um das Quellgebiet der Pader unzählige Dächer und Scheiben zerstört, Wohnungen unbewohnbar gemacht.
„Das Paderquellgebiet ist in sich zusammengebrochen“, so Dreier. Im weiteren Verlauf sorgte der Tornado für Zerstörung rund um die Benhauserstraße und erreichte schließlich das Gewerbegebiet Dörenpark, wo ganze Betriebe zerstört wurden und Leitplanken umherflogen.
Am Liborianum sei das Dach sehr stark zerstört worden. Die Dachpfannen hätten sich in benachbarte Häusern in den Putz „gefressen“. Durch den Tornado seien Leitplanken wie Papierschnitzel durch die Gegend geflogen. In einem Gewerbegebiet seien Betriebe komplett zerstört worden. „Es ist ein unvorstellbares Bild gewesen und ist es nach wie vor“, so Dreier.
Die Lage in Lippstadt:
Trotz der massiven Schäden, die der Tornado in Lippstadt angerichtet hat, gab es dort – Stand Samstagmittag – keine Verletzten oder gar Tote. „Das ist ein großes Wunder“, sagt Marc Schlunz, Sprecher der Feuerwehren des Kreises Soest. Zerstörungen gab es aber im gesamt Stadtgebiet - in einer ersten vorsichtigen Schätzung geht die Polizei von 5,5 Millionen Euro an Sachschäden aus. Die Innenstadt ist weiter abgesperrt, alle Geschäfte und Gaststätten geschlossen. Das Altstadtfest, das vom kommenden Donnerstag, Christi Himmelfahrt, an hätte stattfinden sollen, wurde abgesagt.
Im Lippstadter Freizeitbad Cabrioli waren am Freitag zeitweise etwa 120 Badegäste eingeschlossen, weil umgestürzte Bäume den Eingang blockierten. Später seien die Eingeschlossenen befreit worden, berichtete die Feuerwehr. Im Ortsteil Hellinghausen war durch den Sturm die Spitze einer Kirche heruntergestürzt. Insgesamt waren mehr als 900 Einsatzkräfte von Feuerwehren, Polizei, Hilfsorganisationen und Technischem Hilfswerk im Einsatz.
Die Landrätin des Kreises Soest, Eva Irrgang, informierte sich gemeinsam mit Lippstadts Bürgermeister Arne Moritz (beide CDU) vor Ort über die Lage. „Wie viel hier innerhalb kürzester Zeit kaputt gegangen ist, macht mich sehr betroffen“, sagte sie. Die Großschadenslage, bei der der Kreis die Federführung hat und Hilfskräfte auch aus dem Umland angefordert werden, konnte aber in der Nacht aufgehoben werden.
In Lippstadt sind die Aufräumarbeiten laut Bürgermeister Arne Moritz (CDU) bei großer Hilfsbereitschaft weiterhin in vollem Gang. „Uns erreichen unendlich viele Beispiele gegenseitiger Hilfe, Unterstützung und tätiger Solidarität! Allen Lippstädterinnen und Lippstädtern vielen Dank dafür!“, schrieb er auf Facebook am Samstag und fügte hinzu, dass die Aufräumarbeiten „in vollem Gange“ seien. Nach wie vor sei der Aufenthalt in der Innenstadt gefährlich. „Katastrophentourismus behindert Rettungskräfte und Aufräumarbeiten. Bitte bleiben Sie da, wo Sie sind!“, appellierte der Bürgermeister.
Die Tornados in Nordrhein-Westfalen zeigen nach Ansicht von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) einmal mehr, dass mit häufigeren Extremwetter-Ereignissen gerechnet werden muss. Als er am Freitagabend die ersten Videos von den Tornados in NRW gesehen habe, sei auch sein erster Gedanke gewesen, dass man das nur aus den USA kennt, sagte Wüst am Samstag in Paderborn. „Wenn man heute diese Schneise der Verwüstung hier sieht, dann fasst das einen schon an. Dann sieht man, dass das eben auch bei uns leider möglich ist und wir müssen uns darauf einrichten, dass so etwas hier häufiger passiert“, erklärte Wüst. Man müsse auf solche Extremwetterereignisse vorbereitet sein. „Es zeigt natürlich auch die Bedeutung des Klimaschutzes, das sieht man auch an einem solchen Unglück“, betonte der CDU-Politiker.
Die Lage in ganz Nordrhein-Westfalen:
Mehr als 7500 Einsatzkräfte sind nach Angaben von Innenminister Herbert Reul (CDU) bei dem schweren Unwetter in Nordrhein-Westfalen vor Ort gewesen. Für ihren beherzten Einsatz sei er den Kräften außerordentlich dankbar. Während in Paderborn, Lippstadt und Höxter massive Schäden zu beklagen sind, ist der Rest von NRW offensichtlich recht glimpflich davon gekommen. „Das Ausmaß der Zerstörung, das die Tornados in Lippstadt und Paderborn hinterlassen haben, macht mich traurig“, sagte NRW-Innenminister Reul gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Reul und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) wollen sich am Samstagnachmittag in Paderborn vor Ort ein Bild der Lage machen.
Im benachbarten Rheinland-Pfalz blieben größere Schäden trotz starker Gewitter aus. Polizei und Rettungskräfte meldeten nur vereinzelt umgestürzte Bäume, Hagelschäden an Autos sowie die Überflutung von Kellern. Ein 38-jähriger Mann starb in Rheinland-Pfalz, als er beim Betreten eines unter Wasser stehenden Kellers einen Stromschlag erlitt, dadurch zu Fall kam und vermutlich mit dem Kopf aufschlug, wie die Polizei mitteilte. Im Landkreis Bernkastel-Wittlich wurden bei einem Autounfall auf regennasser Landstraße fünf Menschen verletzt, darunter ein dreijähriges Kind.
Der Abend des Tornados – Eindrücke unseres Reporters
Unser Reporter Benedikt Schülter war auch am Freitagabend der Innenstadt von Lippstadt unterwegs. Er berichtete von einer Schneise der Verwüstung, die sich durch die Innenstadt zog. „In einer Bäckerei und einer Bank sind die Schaufenster von dem Wind eingedrückt worden. Mit haben Augenzeugen erzählt, dass die Menschen in Panik geflohen sind.“ Auf dem Rathausplatz wurde ein riesiger Baum entwurzelt, Dächer wurden abgedeckt, Dachziegel lagen herum, Autos wurden zerstört.
Tornado in Lippstadt und Paderborn: Offenbar wurden sogar Autos in die Luft gehoben
Der Sturm in Lippstadt war offensichtlich so stark, dass Autos in die Luft gehoben wurden. Das hatten Augenzeugen unserem Reporter berichtet. In einigen Straßenzügen entlang der Lippe in der Innenstadt konnte man sehen, wie der Tornado gewütet hat. An allen geparkten Autos war die Heckscheibe zerstört worden. Am Ostendorf-Gymnasium in der Innenstadt nahe dem Stadttheater gibt es ein weiteres eindrückliches Bild von der Kraft des Sturms: Ein Dachziegel war so durch die Luft gewirbelt worden, dass er nun wie ein Pfeil in der Fassade steckte. „Die Menschen hier wirken absolut schockiert“, so die Einschätzung unseres Reporters Benedikt Schülter. „Sie räumen schon auf, aber sie scheinen erst nach und nach zu realisieren, was hier geschehen ist.“
Die Videos, die in sozialen Netzwerken und Handy-Gruppen kursieren, sind schockierend: Die mehr als 150 Jahre alte Friedenseiche zwischen Rathaus und Marienkirche kippt um wie ein umgeknicktes Streichholz. Noch eindrücklicher ein weiteres Video, das wie aus einem US-Katastrophenfilm wirkt. Aufgenommen wurde es offensichtlich auf dem Parkplatz eines Marktes. Man sieht, wie alle möglichen Gegenstände wie in einem Trichter durch die Luft gewirbelt werden.
So groß die Zerstörung an vielen Orten ist, so überraschend sei ein anderes Bild, beschreibt unser Reporter: „In einer Straße herrscht Chaos und wenn man in die nächste Straße abbiegt, sieht es aus, als sei nichts passiert.“
Am Flughafen Paderborn/Lippstadt kam es derweil zu keinerlei Störungen. „Gottlob ist am Flughafen nichts passiert. Der Flughafenverkehr war bislang nicht beeinträchtigt. Wir hatten lediglich eine Unwetterwarnung“, sagte Matthias Hack, Sprecher des Flughafens, am frühen Abend.
Auf dieser Karte des Deutschen Wetterdienstes (DWD) sehen Sie die aktuellen Gefahrenmeldungen in Nordrhein-Westfalen:
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.
