Lippstadt. Der Tornado in Lippstadt und Paderborn hat Menschen in Todesangst versetzt. Hier erzählen Betroffene, wie sie die Naturkatastrophe erlebten.

Die Motorsäge ist überall zu hören. Sie zerkleinert umgestürzte Bäume, Dachlatten, Zaunstücke. Der Tornado, der am Freitag mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 150 Stundenkilometern Ostwestfalen heimgesucht hat, hinterlässt in Lippstadt ein kaum gekanntes Maß an Zerstörung. Das Ausmaß offenbar sich am Tag danach erst so richtig.

An diesem Samstagmorgen herrscht reges Treiben in der geschundenen Stadt an der Lippe. Und das, obwohl die Innenstadt für Besucher komplett gesperrt ist – alle Geschäfte sind geschlossen, Zufahrtsstraßen dürfen nicht passiert werden. Polizei, Feuerwehr, THW und viele Handwerksbetriebe sind dabei, zu sichern, zu räumen und die unzähligen Dächer wieder zu flicken. Überall wird gehämmert, gesägt und abtransportiert. Arbeit im Akkord.

Auf dem Jahnplatz am Rande des städtischen Innenbereiches begutachtet ein Angestellter des Baubetriebs die Schäden. Er sei dafür abgestellt, alle Spielplätze in Augenschein zu nehmen. „An manche Standorte kommt man gar nicht heran. Die Wege sind versperrt, es ist so viel kaputt. Ich erkenne meine Stadt nicht wieder“, sagt er und schüttelt ungläubig den Kopf. Mit einer müden Armbewegung deutet er auf die Mitte des Platzes. „Haben sie schon das abgerissene Dach vom Sportlerheim gesehen?“, fragt er und steigt in seinen orangenen Transporter. „Unser Problem ist, dass wir noch nicht wissen, wo wir anfangen sollen. Überall hat der Tornado zugeschlagen. Man könnte heulen“, sagt er und düst davon.

Hüseyin Cinar hatte Glück, dass ein umgekippter Baum nicht in sein Wohnzimmer einschlug.
Hüseyin Cinar hatte Glück, dass ein umgekippter Baum nicht in sein Wohnzimmer einschlug. © WP | Benedikt Schülter

Elke Mellor sieht müde aus. Der Schreck von Freitag stecke ihr noch in den Gliedern, sagt sie und stemmt die Hände in die Hüften. Ein alter Industrieschornstein in ihrer direkten Nachbarschaft sei eingestürzt, das Dach des Hauses abgedeckt, ihr eigenes Auto zerstört. „Ich bin immer noch fassungslos. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen“, sagt sie. Ungläubig blickt Hüseyin Cinar auf den Spielplatz auf dem Jahnplatz. Ein riesiger, entwurzelter Baum blockiert hier die Spielgeräte. Trotzdem: Der Tornado konnte den Klettergerüsten nichts anhaben. Die stehen noch wie eine Eins. Cinar klammert sich an seinem Fahrrad fest. „Gestern habe ich echt Angst gehabt“, sagt er. Ein Baum neben seiner Wohnung sei vor seinen Augen eingeknickt. „Wenn der zu unserer Seite umgefallen wäre, wäre der in unserem Wohnzimmer gelandet.“

Peter Niehaus vor seinem zerstörten Pkw: „Brutal und so wuchtig.“
Peter Niehaus vor seinem zerstörten Pkw: „Brutal und so wuchtig.“ © WP | Benedikt Schülter

Sabrina Leurs, ihr Freund Christian Grunze und Peter Niehaus stehe ein paar Straßen weiter direkt an der Lippe und sprechen über das, was gestern geschehen ist. Niehaus nestelt an seiner Baseballkappe: „Katastrophal war das. Richtig heftig“, sagt er und zeigt seinen demolierten Wagen. „Totalschaden“, sagt Niehaus nur knapp. Front und Heckscheiben sind kaputt. Eigentlich könne er nur schwer in Worte fassen, was er gestern erlebt habe. Es sei so „brutal und so wuchtig“ gewesen. Er habe niemals mit so etwas gerechnet. „Und es kam mir alles viel länger vor, als in Wirklichkeit“, sagt er.

Sabrina Leurs und ihr Freund Christian Grunze: Sie hatte Angst um ihr Leben.
Sabrina Leurs und ihr Freund Christian Grunze: Sie hatte Angst um ihr Leben. © WP | Benedikt Schülter

Sabrina Leurs hatte sich am Abend zu Hause verbarrikadiert. Sie spürte wie das Gebäude unter der Wucht des Tornados vibrierte. „Ich hatte Angst um mein Leben“, sagt sie. Und um das ihres Freundes, der vom Ernst der Lage nichts wusste, als er von der Arbeit nach Hause fuhr. Er sah es blitzen, hörte es donnern – und dann kam er auch schon nicht mehr weiter: Bäume versperrten ihm den Weg. Zum Glück sei es ihm dann gelungen, sich zu seiner Freundin durchzuschlagen.

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Ein paar Straßen weiter macht sich die Sabine Beck ans Werk. Die 20-jährige Auszubildende zur Zimmerin ist mit ihrem Betrieb extra aus Bielefeld angefordert worden. „Ein Lippstädter Betrieb hat uns um Hilfe gebeten, weil man sonst die vielen Schäden nicht reparieren kann“, sagt sie.

Hans Christoph Fennenkötter wohnt direkt an der Lippe und in der direkten Nachbarschaft zur Stiftruine – einer der wohl schönsten Kirchenruinen in Westfalen. Glück habe er gehabt, sagt Fennenkötter und zeigt auf die umgestürzten Bäume, die ihm den Weg zu seiner Nachbarschaft versperren. Auch die meterhohe Mauer zur Stiftsruine sei durch die Wucht des Tornados eingestürzt. „Andere hat es aber schlimmer getroffen“, sagt Fennenkötter.

Hans Christoph Fennenkötter wohnt in der direkten Nachbarschaft zur Stiftsruine.
Hans Christoph Fennenkötter wohnt in der direkten Nachbarschaft zur Stiftsruine. © Benedikt Schülter

Auch die Lippstädterin Christina Flaßkamp ist noch sehr bewegt, wenn sie über das spricht, was sie am Freitagnachmittag erlebt hat. Sie saß beim Friseur, als der Tornado sich seinen Weg durch die Innenstadt suchte. Draußen sei es auf einmal „heftig dunkel und super windig“ gewesen, sagt sie. Dass der Wirbelsturm nur zwei Straßen weiter wütete, sei ihr in dem Moment aber nicht bewusst gewesen. Man habe zwar gewusst, dass ein Gewitter über die Stadt ziehen würde..“, sagt sie und stockt. „Aber niemand hat damit gerechnet, dass so etwas Schlimmes passiert. Ich habe davon erst erfahren, als mich Freunde und Verwandte per Handynachrichten gefragt haben, ob es mir gut geht“, sagt sie.

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Das Ausmaß der Schäden haben sie dann „total schockiert“. „Dieser riesige Baum, der uns im Sommer auf dem Rathausplatz immer Schatten spendet, der ist einfach mal umgefallen“, sagt sie fassungslos. Ihr sei das Ausmaß erst so richtig bewusst geworden, als sie am Abend die Bilder im TV gesehen habe. Besonders schade sei dies für die „schöne Altstadt“. „Da ist einfach so viel kaputt gegangen“, sagt Flaßkamp.

Die Situation in Paderborn

500.000 Euro Schaden werden es auf jeden Fall sein, vielleicht steigert sich die Summe auch noch auf eine Million Euro. Und trotzdem sagt Wolfgang Krenz (60): „Wir sind glimpflich davon gekommen.“ An der Einschätzung kann man erkennen, wie massiv die Schäden durch den Tornado in Paderborn sind. Krenz, der in dem Paderborner Industriegebiet einen der größten markenunabhängigen Autohandel samt Werkstatt betreibt, hat den Tornado am Freitag hautnah miterlebt: „Das waren nur Sekunden, aber mit schrecklichen Folgen.“

Wolfgang Krenz schaut aus dem Fenster: „Es wurde auf einmal dunkel, war schon relativ windig. Der Sturm wurde auf einmal heftiger, dann sah ich schon die ersten Teile herumfliegen.“ Krenz flüchtete sich ins Innere des Gebäudes, hielt noch einen Mitarbeiter davon ab, raus zu gehen. „Dann ist der Tornado schnell weitergezogen.“ Die Folgen allerdings werden Paderborn und werden Wolfgang Krenz noch viel länger beschäftigen: „Ich hatte so 250 Fahrzeuge auf dem Hof stehen. Die Hälfte habe ich heute aus dem, System genommen. Die sind alle beschädigt.“

Wolfgang Krenz hat den Tornado in Lippstadt erlebt.
Wolfgang Krenz hat den Tornado in Lippstadt erlebt. © Fotograf Michael Kirchner

Und doch will Wolfgang Krenz seine Schäden gar nicht in den Vordergrund stellen. Er denkt an einen Bekannten, der in der Nähe eine Autowerkstatt betreibt: „Der hat neu gebaut, das hatte sich schon alles verzögert wegen der Lieferschwierigkeiten. Erst vor kurzem hat er eröffnet. Und jetzt ist das ganze Gebäude Schrott. Das ist furchtbar.“

Er denkt auch an die Tanzschule, die in einem Gebäude gegenüber untergebracht ist: „Da lief gerade ein Tanzkurs für Kinder, als der Tornado losging. Die haben Todesangst gehabt, sind unter Tische gekrochen.“ Ein Taxi war nicht zu bekommen, als alles vorbei war: „Ich habe dann noch einige nach Hause gefahren.“ Was ihn am Tag danach zudem bewegt: „Schnell kamen die Gaffer. Die haben ihre Handys gezückt und Videos gemacht – statt einfach anzupacken. Hier gibt es doch genug zu tun.“