Hagen. Die Kunstwelt Europas feiert den 150. Geburtstag von Henry van de Velde. Weimar und Brüssel erarbeiten eine große Ausstellung. Hagen zeigt eine Kabinettschau über die privaten Wohnhäuser des Malers, Architekten und Designers.
Der Jugendstil hieß anfangs auch Van-de-Velde-Stil – so stark hat der belgische Maler, Architekt und Designer Henry van de Velde die Avantgarde um die Jahrhundertwende geprägt. „Er hat die Moderne nach Deutschland gebracht“, würdigt die Hagener Kunsthistorikerin Dr. Birgit Schulte den Meister, der als „Alleskünstler“ Häuser ebenso entwarf wie Krawattennadeln oder Reformkleider für Damen.
Der 150. Geburtstag von Henry van de Velde findet in diesem Jahr ein europäisches Echo: die große Ausstellung „Leidenschaft, Funktion und Schönheit“ ist ab März in Weimar zu sehen und geht im September nach Brüssel. Aber auch Hagen, wo van de Velde unter anderem den bedeutenden Hohenhof schuf, ehrt den Impulsgeber für eine ganze Künstlergeneration mit der Kabinettschau „Henry van de Velde at home“.
Möbel-Ausstellung wäre zu teuer gewesen
Die Weimar-Brüssel-Ausstellung kann mit zahlreichen bedeutenden Leihgaben aus Hagen prunken. In der Osthaus-Stadt macht sie allerdings keine Station. „Das Minimum an Kosten wären 300.000 Euro gewesen, das können wir uns nicht leisten. Es ist derartig teuer, Möbel zu transportieren, und die Versicherungssummen sind exorbitant“, bedauert Birgit Schulte als stellvertretende Direktorin des Osthaus-Museums.
Hagen und van de Velde: Das ist eine Beziehung, die Kunstgeschichte schreiben sollte. Denn der Belgier erst hat Karl Ernst Osthaus zur Moderne geführt. 1902 gestaltete er die revolutionäre Innenausstattung von Osthaus’ Folkwang-Museum. Van de Velde kannte die Maler-Avantgarde in Paris und Brüssel und hat sie Osthaus vermittelt, der bis dato vor allem an der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts interessiert war und dann zu einem der ersten und wichtigsten Sammler von Cézanne, Gauguin, Matisse und Renoir wurde.
„Van de Velde at home“
Der Belgier hat intensive Spuren in Hagen hinterlassen. Die meisten dieser Zeugnisse wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. Erhalten sind die Villa Springmann und ein Gärtnerhaus in Wehringhausen. Und natürlich der Hohenhof, eines der bedeutendsten architekturgeschichtlichen Gebäude Europas kurz nach der Jahrhundertwende, mit dem Hagen hofft, in die Welterbe-Liste zu kommen. Von Hagen aus ging van de Velde nach Weimar, wo er Gründer der Großherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule war, dem Vorläufer des Bauhauses.
„Van de Velde at home“ beschäftigt sich mit den Architekturvisionen des Künstlers am Beispiel seiner privaten Wohnhäuser. Aus dem Nachlass sind 660 Glasnegative erhalten. Dieser Bestand konnte nun restauriert und digitalisiert werden. „Wir haben die Digitalisate vom belgischen Fonds van de Velde in Brüssel bekommen“, schildert Birgit Schulte. Sie zeigen als große Papierbanner mit Fotos den Weg vom ersten Haus „Bloemenwerf“ bis zum Flachdachbungalow, den der Künstler entwarf, nachdem er 1925 wieder nach Belgien zurückkehren konnte.
Van de Velde hat das wohl erste Fertighaus entworfen
Zentrales Element dieser Raumkunst ist die große Halle mit Treppe als Mittelpunkt des Hauses, die nicht nur Durchgangsraum ist, sondern dem Wohnen dient. Mit diversen Exponaten - Möbel, Silber, Porzellan, Keramik und Buchgestaltung - ergänzt das Osthaus-Museum die Kabinettschau. Interessant ist das Wechselspiel zwischen Zeichnung und Design: Die Linienschwünge der Dünen an der belgischen Küste prägen die Ästhetik van de Veldes, der überzeugt war: „Die Linie ist eine Kraft“. Die Beziehungen zwischen Dünenwellen und Design kann man sehr aufschlussreich am berühmten Peitschenhieb-Dekor ablesen, das er für Meißen entwarf.
Van de Velde hat ebenfalls das wohl erste Fertighaus entworfen, „de Tent“ genannt, ein Holzhaus mit Reetdach. Denn 1917 musste er Deutschland als unerwünschter Ausländer verlassen. Osthaus empfahl ihn dem holländischen Sammler-Ehepaar Kröller-Müller in Otterlo, deren Museum und Wohnhaus er plante.
Das weitere Schicksal des „Alleskünstlers für alle, die ihn sich leisten können“ (Birgit Schulte) ist traurig mit der Historie der europäischen Katastrophen verknüpft. Weil er sich als Kunstberater für die deutschen Besatzer verpflichten ließ, wurde der Brüsseler Professor nach dem Zweiten Weltkrieg in Belgien derart angefeindet, dass er 1947 in die Schweiz übersiedelte, wo er zehn Jahre später starb.
Ausstellung bis zum 21. April im Osthaus-Museum Hagen. www.kunstquartier-hagen.de; Info: 02331 / 207-3138 .