Arnsberg. Nach einem tragischen Todesfall führt Stefan Tremmel den Sauerländer Schützenbund. Was er über Frauen in Vereinen und Kiff-Verbote denkt.

Nach dem plötzlichen Tod von Martin Tillmann ist Stefan Tremmel vor zweieinhalb Wochen auf der Bundesversammlung in Anröchte (Kreis Soest) zum neuen Bundesoberst des Sauerländer Schützenbundes gewählt worden. Der 54-Jährige ist in Menden-Lendringsen aufgewachsen, wohnt in Arnsberg-Holzen und ist Filialleiter bei der Märkischen Bank in Menden und Hemer.

Sie waren bereits acht Jahre stellvertretender Bundesoberst und sind jetzt aus traurigem Anlass an die Spitze der Dachorganisation der Schützen aufgestiegen. Ist das für Sie ein Sprung ins kalte Wasser?

Überhaupt nicht. Der geschäftsführende Bundesvorstand besteht aus sechs Personen, die in unserem Fall seit Jahren sehr eng und harmonisch zusammengearbeitet haben. Von daher ist das Geschäft für mich nicht neu. Es ist Teamarbeit im besten Sinne.

Sie haben 1992 als Jungschütze beim Bürger-Schützenverein Lendringsen angefangen und wurden 1999 zum ersten Bundesjugendsprecher des Sauerländer Schützenbundes gewählt. Haben Sie die Sorge, dass die zunehmende Zurückhaltung in der Gesellschaft beim ehrenamtlichen Engagement eines Tages auch den Schützenvereinen auf die Füße fällt, zum Beispiel bei der Besetzung von Vorstandsposten?

Ich bleibe optimistisch. Wer im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis miterlebt, was Schützenvereine und -bruderschaften anbieten, wie das Miteinander ist und welche Bedeutung sie für Dorfgemeinschaften besitzen, der ist eher aufgeschlossen, mitzumachen. Aber sich einzubringen bedeutet nicht, nur von außen zu meckern. Wer etwas bewegen will, muss aktiv mitwirken.

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Räumen Schützenvereine dem Nachwuchs genügend Gestaltungsmöglichkeiten ein?

Das Schützenwesen ist einem stetigen Wandel unterzogen. Das heißt: Es müssen einzelne Punkte immer mal wieder überdacht und vielleicht auch mal anders beziehungsweise neu interpretiert werden. Unabdingbar ist da, auf die Jugend zuzugehen, sie miteinzubinden, ihnen Verantwortung zu übertragen.

Soeben hat die diesjährige Schützenfestsaison begonnen. Was sind die drängenden Herausforderungen für die Vereine?

Natürlich belastet der hohe Kostendruck die Vereinskassen. Beispiel Festzelte: Es gibt weniger Anbieter. Weil Angebot und Nachfrage den Preis regeln, ist das Mieten eines Festzeltes deutlich teurer geworden. Beispiel Schausteller: Es ist schwieriger geworden, ein Fahrgeschäft oder eine Bude für das Schützenfest zu bekommen, weil einige Schausteller-Betriebe die Pandemie nicht überlebt haben. Ein großes Problem ist der anhaltende Personalmangel rund um die Festbewirtung. Ich gehe jedoch davon aus, dass wir zunehmend positive Phänomene erleben werden, wie bei unserer jüngsten Bundesversammlung in Anröchte. Dort hat der Karnevalsverein die Männerschützengesellschaft tatkräftig unterstützt. Gegenseitige Hilfe bei Veranstaltungen wird es in Zukunft in Dorfgemeinschaften häufiger geben – genauso wie ortsübergreifende Unterstützung von Schützenvereinen. So lassen sich auch Kosten einsparen.

Schützenvereine werden immer kreativer, um zusätzliche Einnahmequellen aufzutun. Verlieren sie nicht – betriebswirtschaftlich gesprochen – ihren Markenkern, wenn sie Oktoberfeste oder Ballermann-Partys veranstalten?

Es gilt doch für tragende Gruppen im örtlichen Leben – sei es Sport- oder Schützenverein oder die Feuerwehr –, dass sie der Dorfgemeinschaft Freizeitangebote machen. Warum sollte da ein Schützenverein nicht auch außerhalb der Schützenfest-Saison als Veranstalter aktiv sein dürfen? Partys haben bei uns immer einen Touch von sogenannten „Saufgelagen“. Und die werden immer gerne mit Schützen in Verbindung gebracht. Ich bekomme jedes Mal „einen Hals“, wenn wir Schützen auf Alkoholkonsum reduziert werden. Wenn auf Stadtfesten, Kirmessen oder bei Fußballturnieren Bier getrunken wird, spricht keiner darüber – nur bei Schützenfesten. Warum wird nicht mehr über das große soziale Engagement von Schützenvereinen in ihren Orten geredet?

Warum wird nicht mehr über das große soziale Engagement von Schützenvereinen in ihren Orten geredet?
Stefan Tremmel - Bundesoberst des Sauerländer Schützenbundes

Reden wir über politisches Engagement: Auf der Internetseite des Sauerländer Schützenbundes bekennen Sie sich in dem Aufruf „Schützen gegen rechts!“ zu „Toleranz, Respekt und Menschenwürde“ und weisen darauf hin, dass „die Mitgliedschaft in oder die Wahl von gesichert rechtsextremen Gruppierungen mit den Schützenwerten unvereinbar“ sei. Ihr Aufruf endet mit den Worten: „Für ein sauberes Sauerland! Nie wieder ist jetzt!“

Wir wollen ein Zeichen setzen. Wir dürfen nie vergessen, dass auch Schützenvereine im dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte instrumentalisiert wurden.

Auf Ihrer Internetseite findet sich auch der Hinweis, dass im Sauerländer Schützenbund aktuell eine Bundesschützenkönigin amtiert. Lange Zeit war das Schützenwesen eine Männerdomäne. Befinden wir uns in einer Zeitenwende?

Ich bin mir sicher, dass Frauen in Schützenvereinen in absehbarer Zeit nicht mehr ein so groß aufgehängtes Thema sein werden. Es ist doch ein schönes Zeichen nach außen, dass der Bund der Historischen Schützen bis zum letzten Jahr eine Bundesschützenkönigin hatte und auf europäischer Schützen-Ebene derzeit eine Königin und eine Prinzessin amtieren. Letztlich bleibt es jedem Schützenverein selbst überlassen, ob er sich in dieser Hinsicht öffnet.

Die Politik war in der Vergangenheit kreativ, was Ideen für Auflagen bei Schützenfesten angeht. Erinnert sei an die Diskussion über Bleimunition bei Vogelschießen. Gerade war es etwas ruhiger geworden, da müssen Sie sich mit der Teilliberalisierung von Cannabis beschäftigen. Wie gehen Sie als Sauerländer Schützenbund damit um?

Schützenfeste sind generationenübergreifende Veranstaltungen. Wenn das Kiffen im Umkreis von 100 Metern zu Schulen, Kindergärten oder Sportplätzen verboten ist, kann es keine Ausnahme für die Umgebung von Schützenhallen und Festzelten geben. Ich bin mir sicher, dass sich das Thema wie beim Rauchverbot in geschlossenen Räumen entwickeln wird: Erst erfolgt ein großer Aufschrei, dann wird es Normalität, sich an geltendes Recht zu halten.

Zu Ihrer Person: Sie haben ein in diesen Breiten eher ungewöhnliches Hobby – Sie spielen Alphorn. Kommen Sie als Bundesoberst im Ehrenamt und als Filialleiter der Märkischen Bank im Berufsleben überhaupt noch dazu, Ihrer Leidenschaft nachzugehen?

Die Zeit ist nicht das Problem. Meinen Mitmusikanten und mir hat die Pandemie nicht gutgetan: Es war in der Zeit einfach nicht möglich, sich mal eben irgendwo mit 3,60 Meter langen Instrumenten zusammenzustellen. Daher ist unser gemeinsames Musizieren derzeit leider zum Erliegen gekommen.

Aber Sie haben ja noch Ihre Trompete…

Ich habe einst 20 Jahre im Fanfaren-Corps der Kolpingfamilie Lendringsen gespielt. Seit einem Jahr bin ich in der Schützenkapelle Oesbern aktiv. Unsere Kinder sind schon länger dabei und haben mich gefragt, ob ich nicht mitmachen wolle. Es macht mir viel Spaß. Ich bin ein ganz braver dritter, vierter Trompeter. Es muss nicht immer an vorderster Front sein.