Hemer/Düsseldorf. Eigentlich sollten die Stellenstreichungen beim Armaturenhersteller Grohe einvernehmlich über die Bühne gehen. Daraus wird wohl nichts.
Der geplante Arbeitsplatzabbau beim Sanitärarmaturenhersteller Grohe läuft offenbar nicht so reibungslos, wie sich die Geschäftsführung das vorgestellt hatte. Das Unternehmen, das zum japanischen Baustoffkonzern Lixil gehört, will 93 Stellen streichen und hat dafür ein „Freiwilligenprogramm“ gestartet. Darüber hatte die Geschäftsführung mehrere Monate lang mit dem Betriebsrat verhandelt. Nun gehen beide Seiten auf Konfrontationskurs: Der Betriebsrat distanziert sich von den Beschlüssen.
„Der Betriebsrat musste leider feststellen, dass das gemeinsam verabschiedete Freiwilligenprogramm nicht, wie vereinbart, wertschätzend umgesetzt wird“, teilt die Arbeitnehmervertretung den Kolleginnen und Kollegen in einem internen Schreiben mit, das dieser Zeitung vorliegt. „Trotz mehrmaligem Aufzeigen, dass der respektvolle Umgang mit den Menschen fehlt, sind seitens der Arbeitgeberin kaum Verbesserungen spürbar“, heißt es darin weiter. Beispielsweise verwende das Unternehmen für die Berechnung der Betriebszugehörigkeit den Stichtag 1. Februar 2024, der so in der Regelungsabrede mit dem Betriebsrat nicht verabredet worden sei. Dies führe dazu, dass die Abfindungssumme geringer und die Kündigungsfrist zu kurz werden könnten, so die Arbeitnehmervertretung. Konsequenz: „Der Betriebsrat hat in seiner Sondersitzung am 29.01.2024 beschlossen, sich von der Regelungsabrede und der Umsetzung des Freiwilligenprogramms und der Umsetzung durch die Arbeitgeberin zu distanzieren.“
Erwartungen enttäuscht
In seinem Schreiben listet der Betriebsrat zahlreiche Erwartungen auf, die in den Verhandlungen mit dem Unternehmen abgesprochen, nun aber nicht eingehalten worden seien. Dazu zählen unter anderem eine „transparente Kommunikation gegenüber den Mitarbeitenden“, sichere Gespräche in vertraulicher Atmosphäre und keine Zoom-Meetings, detaillierte und individuelle Informationen, keine Androhung von Kündigungen und die Berücksichtigung individueller Sozialdaten.
Die Liste der Enttäuschungen lässt den Schluss zu, dass die Grohe-Geschäftsführung offenbar Druck auf Mitarbeitende ausübt, das Unternehmen zu verlassen und die Sozialauswahl dabei keine große Rolle spielt. Informationen dieser Redaktion zufolge sollen auch langjährige Mitarbeiter mit Familie dazu gedrängt werden, einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Zuletzt hatte die Unternehmensleitung auch öffentlich erklärt, dass die Maßnahmen „sozialverträglich“ erfolgen sollen.
Dem „Restrukturierungsprogramm“ von Grohe sollen 93 Stellen zum Opfer fallen. Zwar machte das Unternehmen bisher öffentlich keine Angaben darüber, welche Bereiche betroffen sind. Die meisten Jobs dürften jedoch in der Düsseldorfer Zentrale gestrichen werden.
Gebremster Bauboom hat Folgen
Grohe leidet unter dem weltweit nachlassenden Bauboom. Lixil will das Tochterunternehmen deshalb auf höhere Wirtschaftlichkeit trimmen. In der Belegschaft wächst allerdings der Unmut gegenüber den Japanern. Sie betrieben, so ein häufig genannter Kritikpunkt, eine Produkt- und Marketingstrategie, die nicht zum europäischen Markt passe.
„Wir bedauern es, dass sich der Betriebsrat von der gemeinsam verhandelten und abgeschlossenen Vereinbarung über das Freiwilligenprogramm distanziert“, teilte Grohe auf Anfrage mit. „Dennoch halten wir daran fest, um im Sinne der betroffenen Mitarbeiter:innen weiterhin Verlässlichkeit und Einheitlichkeit bzgl. der Modalitäten zu gewährleisten. Nach wie vor setzen wir auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Mitbestimmungsgremien, um die Restrukturierungsmaßnahmen umzusetzen.“ Ziel der Restrukturierung sei es, die Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz des Unternehmens zu stärken.
Betriebsrat und IG Metall reagierten nach eigenen Worten „entsetzt“ auf die „Methoden des Arbeitgebers“. Ziel der Regelungsabrede sei es gewesen, über ein Freiwilligenprogramm mögliche Interessentinnen und Interessenten zu finden, die freiwillig das Unternehmen verlassen wollten. „An das abgesprochene Verfahren hält sich der Arbeitgeber jedoch nicht“, teilten IG Metall und Betriebsrat am Dienstagabend mit. „Beschäftigte beklagen sich über hohen Druck. Zu Trennungsgesprächen wird vielfach ohne Ankündigung des Themas eingeladen – diese Treffen finden dann digital und nicht persönlich statt. Wer ein persönliches Gespräch begehrt hat, wurde von Hemer nach Düsseldorf zitiert“, heißt es in der Erklärung.
Betriebsrat: Arbeitgeber hat Vertrauen verspielt
„Sowas geht gar nicht“, sagte Torsten Kasubke, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Märkischer Kreis. „Welches Maß an Wertschätzung hat der Arbeitgeber für seine Beschäftigten übrig, wenn sich die Personalverantwortlichen nicht einmal Zeit für ein persönliches Gespräch vor Ort nehmen? So geht man mit den eigenen Beschäftigten nicht um – gerade vor dem Hintergrund der beabsichtigten Gespräche. Insbesondere die Entwicklung der Baubranche bereitet vielen Kolleginnen und Kollegen Sorgen. Der Jobverlust bedeutet eben nicht automatisch, schnell wieder eine andere Anstellung finden zu können. Deswegen hat der Betriebsrat hohe Maßstäbe bei den Freiwilligengesprächen eingefordert, die der Konzern nicht einhält.“
Maik Horn, Vorsitzender des Betriebsrats, sagte: „Wir haben Wahrheit und Klarheit verlangt: transparente Kommunikation gegenüber den Betroffenen. Die Gespräche sollten am Arbeitsort in vertraulicher Atmosphäre und schon gar nicht digital stattfinden. Die Berechnung möglicher Abfindungen sollte transparent und einheitlich erklärt sein. Mögliche Konsequenzen sollten klar benannt werden. Außerdem war uns wichtig, dass nicht einmal andeutungsweise eine Androhung von Kündigungen Thema sein sollte. Sonst wären es keine Freiwilligengespräche und der Betriebsrat hätte ganz andere Mitbestimmungsrechte.“
Da der Arbeitgeber sich nicht an die Absprachen halte, habe der Betriebsrat beschlossen, Abstand von der Regelungsabrede und vom Freiwilligenprogramm zu nehmen. Horn sagte: „Der Arbeitgeber hat hier wirklich Vertrauen verspielt. Da er sich nicht an das besprochene Verfahren hält, sind auch Fristen durcheinandergeraten, und in einigen Fällen könnte es zu geringeren Abfindungssummen kommen.“ Der Arbeitgeber habe für das weitere Verfahren keinen Freifahrtschein.