Meschede. Viele Kirchen-Begriffe werden nicht mehr verstanden, sagt Abt Cosmas Hoffmann vom Kloster Königsmünster in Meschede. Das verstärke die Krise.
Der Benediktinerpater Dr. Cosmas Hoffmann (58) ist neuer Abt des Klosters Königsmünster in Meschede. Seit seiner Wahl ruhen viele Blicke auf dem gebürtigen Dortmunder, denn die Orden und Klöster gelten als Hoffnungsträger in der aktuellen Kirchenkrise. Im Interview mit unserer Redaktion spricht Abt Cosmas auch über den Sprachverlust als eine Ursache der Entfremdung. Traditionelles Vokabular wie eingeborener Sohn oder Opfer würde überhaupt nicht mehr verstanden.
Klöster gelten als große Hoffnung angesichts der Kirchenkrise. Warum ist das so?
Abt Cosmas Hoffmann: Es gibt eine Unterstellung im positiven Sinn, dass Klöster Orte von besonderer Art sind. Ein ganz wichtiges Element dieses Besonderen ist, dass dort Menschen auf Dauer gemeinsam Gott suchen, sich auf ihn hin ausrichten, ihm ihr Leben widmen. Zudem ist gelebte Spiritualität Teil des klösterlichen Alltags und muss nicht jeden Tag neu entwickelt werden. Das bietet die Möglichkeit, dass Menschen von außen einfach andocken können. Ich glaube, das macht die Faszination aus, dass jeder zu uns ins Kloster kommen kann. Das Niederschwellige oder Offene oder Barrierefreie der Orden und Klöster ist eine große Chance.
Die Abtei Königsmünster erhält Weihnachten viel Besuch. Was suchen diese Menschen?
Früher war die Christmette um 23 Uhr bei uns die stark besuchte große Feier. Heute ist es die Christvesper am Heiligabend nachmittags, zu der die meisten Menschen kommen. Hinter der größeren Teilnahme an der Christvesper vermuten wir den Wunsch vieler, dem Fest Weihnachten eine Form zu geben, und da wird das Kirchliche als sehr hilfreich empfunden. Um dem zu entsprechen, haben wir eine kleine Ansprache an der Schwelle zum Weihnachtsfest eingefügt, und am Schluss singen wir gemeinsam „Tochter Zion“, wo wirklich alle mitschmettern können. Und ich glaube, dass diese Erfahrung des gemeinsamen Singens und gemeinsamen Feierns die Kernerfahrung von Weihnachten ist. Es ist kalt und dunkel draußen, und es tut gut, gemeinsam zu singen und zu feiern, verbunden in der Hoffnung, dass auch uns der Stern der Hoffnung, das Licht Christi aufgegangen ist.
- Wir schenken Ihnen Musik zu Weihnachten
- Wer ist der neue Erzbischof Udo Bentz?
- Buchtipps zu Weihnachten: Geschenkideen von Buchhändlern
Wieso gelingt es der Kirche nicht, dieses Bedürfnis nach Gemeinschaft für sich zu nutzen? Viele Weihnachtsgottesdienste sind doch eher abschreckende Veranstaltungen.
Ich habe zum Glück noch keine solche Veranstaltung erlebt und weiß, dass viele Priester den weihnachtlichen Gottesdienst als eine Chance sehen, dass Menschen mal wieder andocken können. Doch es gibt auch manches, wo unsere Gottesdienste, unsere Liturgie nicht jedem unmittelbar zugänglich ist. Zum Beispiel die Frage nach der Sprache, die wir sehr selbstverständlich verwenden. Können die Leute das auch verstehen? Sprechen wir die Sprache von heute? Ein Bruder, der Lehrer an unserem Gymnasium ist und sein waches Ohr bei den Schülern hat, sagte mir mal, dass wenn in den Gebeten zu Weihnachten zum Beispiel die Rede vom eingeborenen Sohn ist, manche an Eingeborene auf anderen Kontinenten denken und nicht verstehen, was das mit Jesus zu tun hat. Oder wenn so häufig die Rede vom Opfer ist, können viele Jugendliche nichts damit anfangen, denn Opfer ist heute ein Schimpfwort. Opfer wird nicht positiv als Hingabe verstanden, sondern als was Negatives. Ich habe den Eindruck, dass Sprache ein ganz großes Thema in der Kirchenkrise ist. Es ist eine große, große Herausforderung, eine zeitgemäße Sprache zu finden, ohne platt zu werden. Was nützt es, wenn ich etwas predige, was die Leute gar nicht verstehen und was für deren Leben keine Relevanz hat?
Relevanz ist ein gutes Stichwort.
Ja, es ist eine Kernfrage für uns: Wo ist die Relevanz unserer Botschaft für die Menschen heute? Wo ist der Bezug zum alltäglichen Leben? Wir unterschätzen manchmal die Dynamik der Entfernung, die die Menschen schon zur Kirche haben und wie viel ganz neu vermittelt werden muss.
Wie könnten niederschwellige Angebote aussehen?
Es gibt viele Gelegenheiten, zu denen Menschen in die Kirche kommen, obwohl sie mit der Kirche nichts mehr zu tun haben. Zum Beispiel im Urlaub besichtigen viele Menschen gerne Kirchen. Das ist eine Gelegenheit, an Elemente von Kirche heranzuführen. Ich war vor Jahren in Schweden, das im säkularen Prozess noch viel weiter ist als Deutschland. Ich fand es spannend, wie in den Kirchen wirklich grundlegende Dinge an bestimmten Stationen und Objekten im Kirchenraum verständlich und vom Lebenskontext eines normalen Menschen gedacht erklärt wurden. Das müssen wir auch machen. Wir haben jetzt kleine Flyer bei uns in der Abteikirche, in denen an verschiedenen Punkten wie Weihwasserbecken, Sakramentsturm, Kreuz, Marienkapelle Brücken zum Alltag, zu persönlichen Erfahrungen geschlagen werden. Die Flyer sind immer schnell weg. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Musik in der Kirche. Wir müssen Räume offen halten, wo die Seele zum Schwingen kommen kann, und was könnte das besser als die Musik?
Sie verstehen sich in der Abtei Königsmünster als geistiges Zentrum für die ganze Region?
Genau. Unsere Besucher kommen nicht nur aus dem Sauerland, sondern auch aus dem Ruhrgebiet, z. B. aus Dortmund, was mich als Dortmunder natürlich freut. Neben den pastoralen Orten und Räumen brauchen wir auch spirituelle Zentren, wir brauchen einander, beides gehört zusammen. Ein Kloster kann ein guter Ort sein, der über den Alltag hinausragt, wo sich Menschen verschiedener Herkünfte begegnen, mit verschiedenen Fragen. Ich würde mir wünschen, dass wir unser Abteiforum wieder stärker zu einem Ort von Gespräch und Begegnung nutzen. Das andere Ziel ist, in der Jugendarbeit, aber auch in der Erwachsenen-Seelsorge Erfahrungsräume von Spiritualität zu schaffen, einfach einladend zu sein, da zu sein. Gastfreundschaft ist ein zentraler Auftrag der Benediktiner, und ich glaube, dieses schlichte, niederschwellige Angebot, am Alltag der Mönche teilnehmen zu können, ist eine große Chance.
Viele Menschen, auch Kirchenferne, suchen einen Segen, aber queere Paare oder wiederverheiratete Geschiedene sind nicht segenswürdig. Warum behandelt die Kirche das Thema Segen als Ausgrenzungsinstrument und nicht als Einladung?
Segen ist uns allen, jedem Menschen zugesagt, er ist ein Geschenk der Gnade an alle. Gnade meint gratis, d. h. eine wirklich freie Gabe Gottes, und der Ur-Segen ist doch, dass Gott nach der Schöpfung Ja zu ihr sagt und sie damit gutheißt, sie segnet. Segnen bedeutet dann, diesen Segen weiterzugeben. Es gilt an Gottes Ja zu glauben und es auch dem anderen zuzusprechen. Die frühen Kirchenväter, die stark von Gottes Heilswirken an Schöpfung und Menschen her dachten, haben immer wieder darauf hingewiesen, dass Gott den Bund mit Schöpfung und Menschen immer wieder erneuert. Dieser Bund war Gott schließlich so ernst, dass er selbst in Jesus Christus das Menschsein angenommen hat. Genau das feiern wir Weihnachten. Es täte uns gut, dass wir uns als Kirche auf die Spur machen, dem Geheimnis des Menschseins und der Menschwerdung nachzugehen.
Wie kann sich die Kirche auf die Spur machen?
Das heißt zum Beispiel, dass wir zunächst die vielen Facetten der Wirklichkeit des Menschen wahrnehmen, uns auch in den vielfältigen Bereichen der Humanwissenschaften engagieren, die ebenfalls versuchen, sich mit dem Menschen auseinanderzusetzen. Der Heilige Geist ist mit der Kirche unterwegs, und die Offenbarung ist nicht einmalig wie ein Diktat vom Himmel gefallen, sondern sie ist ein dialogischer Prozess, ein Entwicklungsgeschehen. Wir glauben, dass die Menschheit sich entwickelt, dass wir immer mehr auf das hinzuwachsen, wozu wir berufen sind. Auf diesem Weg erkennen wir immer tiefer, was das Geheimnis von Mensch und Schöpfung ist. Wir entdecken zunehmend die tiefe Verflochtenheit des Menschen mit den anderen Lebewesen, dass wir eins sind. Die ganze Klimakrise führt uns das doch vor Augen und da wünsche ich mir mehr Offenheit und Engagement – wie sie zum Beispiel Papst Franziskus im Dokument „Laudato Si“ zeigt. Und da sind wir wieder beim Stichwort Segen. Wir sind Benedicti, d.h. Gesegnete, und müssen Benedicentes, d.h. Segnende, werden. Der Segen lebt ja nur, wenn ich transparent, durchlässig werde, so dass der Segen durch mich weitergehen kann.
Und Sie würden keinen abweisen?
Also, ich tue mich schwer damit, Menschen abzuweisen, weil ich denke, es geht hier erst mal um jeden einzelnen Menschen, und ich erlebe verschiedene Formen und Orte des Segens. Ich finde z. B. das Projekt des Bistums Essen beeindruckend, auf Geburtsstationen die Möglichkeit anzubieten, dass Kinder gesegnet werden, wenn Eltern das wünschen, unabhängig von der Taufe. Und was die Segnung von Partnerschaften angeht, hat Papst Franziskus verschiedentlich seinen hohen Respekt für Menschen, die füreinander sorgen und eintreten, bekundet. In einer solchen Partnerschaft werden beide füreinander zum Segen, indem sie einander aufrichten, beistehen und durchs Leben tragen. Und wo wir als Christen und als Kirche Menschen hierbei unterstützen, fördern wir Menschsein und Menschwerdung und werden selbst zu einem Segen. Genau das ist doch der Auftrag Gottes an Abraham, den Vater des Glaubens, und dieser Auftrag gilt allen, die glauben: „Ein Segen sollst du sein“ (Genesis 12,2).