Hagen. Aufarbeitung von Missbrauch bedarf keiner Hysterie. Die ev. Kirche tut sich keinen Gefallen, Annette Kurschus zum Rücktritt zu zwingen.
Am Fall Kurschus befremdet der Eifer, ja die Hysterie, mit der die EKD-Ratsvorsitzende aus den eigenen Reihen zum Rücktritt gedrängt wurde, damit das heile protestantische Selbstbild keinen Schaden nehme. Doch so einfach funktioniert der Umgang mit Missbrauch nicht. Der Rücktritt von Kurschus hilft weder den Betroffenen noch der Aufarbeitung.
Kurschus beteuert glaubhaft, sich lediglich daran zu erinnern, dass es bei dem Gespräch vor 30 Jahren um die Homosexualität des verheirateten Beschuldigten gegangen sei, in einem regionalen Milieu, das stark vom Pietismus geprägt ist. Dass sie nicht erkannte, dass Missbrauch vorliegt, hat Leid bewirkt, mit dieser Verantwortung muss sie leben.
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Die ev. Kirche muss nun ohne Hysterie aufklären, warum niemand damals die Hilferufe der jungen Männer erkannt hat. Bei Missbrauch denkt man zuerst an Vergewaltigungen. Doch auch jenseits davon gibt es Übergriffe, die nicht tolerierbar sind. Das Problem ist nur, dass diese Taten bis vor kurzem gesellschaftlich nicht problematisiert wurden. Abhängige und Wehrlose davor zu schützen, ohne Mitarbeiter in sensiblen Positionen einem Generalverdacht auszusetzen, ist eine große Herausforderung. Die Hexenjagd auf Kurschus legt Zweifel nahe, dass die ev. Kirche dieser Herausforderung gerecht werden kann.
Die Rücktrittsforderungen gegenüber dem katholischen Kardinal Woelki beruhen übrigens nicht darauf, dass er einmal einen Täter gedeckt hatte und sich daran nicht erinnern konnte. Sie beruhen darauf, dass dies in Köln wohl systematisch passierte und als strukturelles Problem von Woelki bis heute geleugnet wird.
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