Dortmund. In Deutschland wird über die geeignete Zuwanderung diskutiert. So kamen zwei ägyptische Facharbeiter nach Südwestfalen.
Schalker gibbet hier nich. So viel ist ma klar. Uwe Spigiel wird da recht deutlich, spricht aber nur das Offensichtliche aus.
Dortmunder Norden, Westfalenhütte, ehemals Standort der Schwerindustrie. Bei Spigiel im Meisterbüro der Werkstatt der Dortmunder Eisenbahn dominiert schwarz-gelb. BVB-Tasse, BVB-Mauspad, BVB-Trikot, an der Scheibe klebt ein BVB-Aufkleber: „Meine Heimat. Mein Verein“. Und dann stehen da diese beiden. Ihre Heimat? Ägypten. Ihr Verein? Der eine hat mit Fußball gar nichts am Hut, der andere ist BVB-, Bayern- und Manchester United-Fan. Welch‘ eine Kombination. Trotzdem sagt Uwe Spigiel, der Meister: „Die beiden sind sehr gut.“
Die beiden sind: Kirollos Younan Samaan Abd El Malak – ein Name, so lang wie eine Wagenreihung – und Alhassan Ahmed Omran, 28 und 39 Jahre alt, Elektroniker aus Ägypten und eine Antwort auf den Fachkräftemangel. Seit Monaten wird in Deutschland kontrovers über Zuwanderung debattiert, über die Flüchtlingskrise, die Kommunen überfordert. Die beiden ägyptischen Facharbeiter stehen für die andere Seite der Migrations-Medaille. „Deutschland“, sagt Kirollos Younan Samaan Abd El Malak, „ist der Vater der Technologie.“ Der Papa braucht allerdings Hilfe. Deshalb sind sie hier.
Hilfe aus Ägypten und Jordanien
Seit Juni 2021 läuft ein vom Land NRW gefördertes Pilotprojekt, um den Fachkräftemangel zu lindern. Alhassan Ahmed Omran kommt aus der antiken Hafenstadt Alexandria, Kirollos Younan Samaan Abd El Malak aus einer Stadt namens Al-Minya, weiter südlich am Nil gelegen. Al-Minya – klingt so ähnlich wie Almaniya, arabisch für Deutschland, scherzen die beiden – auf Deutsch. Sie können sich verständigen, haben in ihrer alten Heimat Deutsch-Kurse belegt, zudem dort den monatelangen Prozess der Anerkennung ihrer ägyptischen Berufsqualifikation wie der Visaerteilung durchlaufen. Ihr Weg – siehe Infobox – zeigt, wie aufwendig die Anwerbung von Fachkräften im Ausland ist. Massentauglich ist das wohl eher nicht. Hier wurde schon sehr gezielt vorgegangen, das legen auch die Äußerungen der beiden nahe.
Zehn Fachkräfte aus Nahost für NRW
Seit Juni 2021 läuft das vom Land mit 200.000 Euro geförderte dreijährige Pilotprojekt „Fachkräfte für NRW: Elektronikerinnen und Elektroniker aus Jordanien und Ägypten“. Geplant war die Anwerbung von 20 Facharbeitern. Bisher wurden neun nach NRW geholt, ein zehnter sei auf dem Weg, berichtet Rolf Göbels vom Westdeutschen Handwerkskammertag, der einer der Träger des Projekts ist.
Ägypten und Jordanien habe man ausgewählt, weil in beiden Ländern die Arbeitslosigkeit hoch sei. Die Auswahl geeigneter Kandidaten in den Ländern laufe über die Bundesagentur für Arbeit und weitere Behörden sowie Partner. Sprachkurse seien vom Goethe-Institut vor Ort durchgeführt worden, die Anerkennung der Berufsabschlüsse lief über die IHK. Firmen wie die Dortmunder Eisenbahn konnten aus vorselektierten Anwärtern wählen. Die Kosten für die Auswahl und Vorbereitung der Kandidaten sowie die Berufsanerkennung und die Visaerteilung seien im Rahmen des Projekts übernommen worden, sagt Göbels.
„Ich hatte gelesen, dass es in Deutschland Fachkräftemangel gibt. Die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, d. Red.) wirbt in Nordafrika Fachkräfte an“, erzählt etwa Kirollos Younan Samaan Abd El Malak. Wie sein Landsmann scheint er sich gut auf die Auswanderung vorbereitet zu haben, auf das Arbeiten und Leben in einem anderen Land und in einer anderen Kultur, mit einer anderen Sprache (und Schrift). Er habe früher eine Don-Bosco-Schule in Ägypten besucht, spreche Italienisch, sein Bruder studiere in Italien Mechatronik. Alhassan Ahmed Omran berichtet, dass er eine ägyptisch-deutsche Schule besucht, zudem ein Jahr in den USA gelebt habe, dort zum Elektroniker ausgebildet worden sei, auch für einen französischen Ölkonzern habe er an Land und offshore gearbeitet.
Deutschland? Viel Natur, viele Bäume und frische Luft
Jetzt sind sie in Almaniya, in Dortmund. Beide sind sehr freundlich und umgänglich, betonen mehrfach, wie hilfsbereit ihre Kollegen seien. Die beiden Ägypter, die Jahresverträge mit der Dortmunder Eisenbahn geschlossen haben (IG Metall Tarif), sind zunächst ohne ihre Familien hergekommen; sie sollen in einigen Monaten nachkommen. Allein in der neuen Heimat – wie sind die ersten Eindrücke? „Viel Natur, viele Bäume – und frische Luft“, sagt Kirollos Younan Samaan Abd El Malak.
Er ist von den beiden der Fußball-Fan, er wirkt etwas extrovertierter als sein Landsmann, mit dem er sich eine Wohnung teilt. Jedes Wochenende wolle er in seiner neuen Heimat eine neue Stadt kennenlernen. Er sei bereits in Köln und Düsseldorf gewesen, in Venlo. Er gucke viel deutsches Fernsehen, um zu lernen. „Ich verstehe nicht alles, aber Passivhören hilft“, sagt der 28-Jährige, dessen Frau und vierjährige Tochter ihm in einigen Monaten nach Dortmund folgen sollen.
Alhassan Ahmed Omran, elf Jahre älter als sein Mitstreiter, möchte Frau und drei Kinder (16, 11 und 5) nachholen. Nicht zuletzt für ihren Nachwuchs hätten sie sich zur Übersiedlung nach Deutschland entschieden. „Es war immer mein Traum, in Deutschland zu arbeiten und zu leben. Es ist das Land des Maschinenbaus. Außerdem können meine drei Kinder hier eine gute Ausbildung erhalten“, sagt etwa Alhassan Ahmed Omran. Kranken- und Sozialversicherung wie Verdienstmöglichkeiten spielten ebenfalls eine Rolle.
Heavy Metal für die Neuen
Mit Eisenbahnen hatten beide beruflich nie zu tun, sie kommen aus dem Bereich elektrotechnische Wartung. Jetzt warten und reparieren sie Loks in der Werkstatt der Dortmunder Eisenbahn, die zur Schienenlogistik-Gruppe Captrain gehört. Von „Heavy Metal“ sprechen sie hier gerne. Die Loks, die sie in der alten Backsteinhalle teils bis in die Einzelteile zerlegen, wiegen zwischen 60 und 100 Tonnen. Vor der Halle stehen Achsen herum, fünf Tonnen schwer. Man arbeite hier mit großen Lasten, stellt Meister Spigiel klar: „Dat sind ganz schöne Wämmser.“
Schwer Eindruck hinterlassen haben offenbar auch die neuen Kollegen aus Ägypten. „Man geht an so eine Sache ja mit Ungewissheit ran. Die Distanz, die man zu dem Projekt hatte, ist aber zerstreut worden. Ihr Deutsch ist gut, handwerklich sind die beiden gut, vor allem sind sie auch willig zu lernen“, sagt Vorarbeiter Bernd Jörke.
Gut, hier und da gebe es noch Probleme – mit fachspezifischen Wörtern. Spurkranzschmierung etwa. Verständlich. Die BGV D36 – die Berufsgenossenschaftliche Vorschrift für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit – war auch eher schwierig zu vermitteln, zumal in Ägypten jeder alles mache, was gerade verlangt werde, sagt Kirollos. Er hat schnell gemerkt, dass er hierzulande für vieles eine Einweisung und/oder einen Schein braucht. Der Vater der Technologie, wie er Deutschland genannt hat, ist mit der Bürokratie verheiratet. Wobei: Es ist nicht alles schlecht.
Angetan vom Pilotprojekt
Wie Jan Läzer und Steffen Pahlke, Geschäftsführer und Personalleiter der Dortmunder Eisenbahn, berichten, hätten sie erst Anfang dieses Jahres durch die Bundesagentur für Arbeit von dem Fachkräfte-Programm erfahren, das da schon fast zwei Jahre lief. „Wir haben stark von den Erfahrungen des Pilotprojekts zehren können“, sagt Personalleiter Pahlke. Seit August sind die beiden Ägypter in Dortmund. Es ging also für das Unternehmen vergleichsweise schnell. „Es gab erfreulich wenig Probleme“, sagt Läzer.
Der Geschäftsführer zeigt sich wie Pahlke sehr zufrieden mit den neuen Mitarbeitern, die sie per Video-Bewerbungsgespräch aus einem Kreis von fünf vorselektierten Kandidaten ausgewählt hätten. Die alleinige Lösung für das Fachkräfteproblem der Dortmunder Eisenbahn und ihrer 250 Mitarbeiter sei das Projekt allerdings nicht. Aber: „Es war für uns ein Test. Wir sind sehr angetan. Wir möchten weitere Fachkräfte auf diesem Weg zu uns holen“, sagt Läzer. Er kündigt die vorzeitige Entfristung der Jahresarbeitsverträge der beiden Ägypter an. Dann ist für sie auch der Familiennachzug möglich.