Sexistisch und rassistisch: Die Fernuniversität Hagen hat ein Glasbild von Hans Slavos mit einer Scheibe verhängt. Dafür gibt es viel Kritik.
Hagen. Die Fernuniversität Hagen hat ein Glasgemälde des Hagener Künstlers Hans Slavos (1900-1969) mit einer mattierten Scheibe verhängt - oder wie die Fernuni es lieber formuliert wissen will: Vor ein Glasfenstergemälde teilweise eine mattierte Scheibe gehängt. Für diese Entscheidung gibt es viel Kritik von Künstlern und Bürgern. Unsere Redaktion hat darüber mehrfach berichtet. Die Fernuni reagiert auf das Echo mit dem Wunsch, ihre Position darzustellen. Ihr Standpunkt lautet: Es solle „der koloniale Blick auf das Kunstwerk gebrochen“ werden. Die Fernuniversität wertet das Glasgemälde aus Sicht der Kulturredaktion weniger als Kunstwerk mit eigener Schöpfungshöhe denn als Auftragsarbeit für das frühere Verwaltungsgebäude der Firma Hussel in Hagen, die vom Zweck der Firma nicht zu trennen ist: dem Kaffeehandel mit seinen schlechten Arbeitsbedingungen. Fernuni-Rektorin Prof. Dr. Ada Pellert, Historiker Dr. Fabian Fechner vom Arbeitskreis „Hagen postkolonial“ und Fernuni-Sprecher Stephan Düppe erläutern den Eingriff in das Bild.
Frage: Sie halten die Reaktionen auf Ihren Umgang mit dem Glasgemälde für überzogen?
Prof. Ada Pellert: Uns wurde unterstellt, die Fernuni sei mit dieser Aktion ins Mittelalter zurückgefallen, uns wurde Kunstzensur vorgeworfen und dass wir ein Kunstwerk beschädigt hätten. Das trifft uns. Das Glasgemälde ist als Leihgabe zu uns gekommen, weil wir damit einen postkolonialen Lernort einrichten wollten, einen Ort, der daran erinnert, dass auch in Hagen Spuren der postkolonialen Geschichte zu finden sind.
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Frage: Das Glasbild zeigt zwei schwarze Protagonistinnen, davon eine halbnackt, es ist an Harmlosigkeit kaum zu übertreffen, gemessen an dem, was heute im Werbefernsehen zu sehen ist. Warum müssen die Betrachter davor geschützt werden?
Dr. Fabian Fechner: Das Bild befindet sich nicht in einem Museum, sondern in einem Flur der Fernuniversität, den Mitarbeitende und Besucher begehen. Es gab unterschiedliche Stimmen innerhalb der Fernuniversität dazu. Wir haben das Bild nicht beschädigt, sondern wir möchten mit der vorgehängten Scheibe den unkommentierten Fernblick brechen, den direkten Fernblick auf das Werk verhindern. Vom eigentlichen Flur her, aus etwa sieben Metern Entfernung, ist die Darstellung sehr klar zu sehen. Je näher man tritt, desto milchiger wird das Licht durch dieses Glas. Erst von der Seite kann man das Glasgemälde unverstellt betrachten. Es geht nicht darum, generell Nacktheit zu verhüllen.
Kunst im öffentlichen Raum
Frage: Sie könnten eine etwaige Problematik des Bildes ja auch diskutieren, ohne den Blick des Betrachters einzuschränken, etwa, indem Sie andere Künstler einladen, das Werk zu bespielen.
Fabian Fechner: Wir haben es hier mit dem öffentlichen Raum zu tun, mit einer großen Flursituation gleich gegenüber dem Haupteingang. Da müssen die Leute durch. Das Glasgemälde konfrontiert Leute mit einer Thematik, die sie sonst nie gesehen hätten. Dann muss mit Objekten anders umgegangen werden als im Museum. Der Farbeindruck wird durch die Glasscheibe nicht beschädigt. Es gibt gangbare kuratorische Beispiele, wie man damit umgehen kann. Der Vorwurf des Ikonoklasmus (Bildersturm) trifft es nicht, der hat unwiederbringlich mit Zerstörung zu tun. Meine Äußerungen wurden in Ihrer Berichterstattung übergangen. Das empfinde ich als tendenziös.
Frage: Gab es Drohungen gegen das Bild? Oder Aufforderungen, es zu zerstören?
Ada Pellert: Wir haben hier an der Uni einen guten Diskurs dazu gehabt. Drohungen zum Bild hat es nicht gegeben. Wir haben uns an gängiger kuratorischer Praxis orientiert.
Stephan Düppe: Die Frage ist doch, warum der Blick irritiert wurde, was das für ein Blick ist. Dabei spielen auch Rassismus und Sexismus eine Rolle. Wir werden noch Diskussionsveranstaltungen zu dem Bild anbieten, bei denen auch diese Aspekte thematisiert werden können.
Angriffe der Klimakleber
Frage: Glasscheiben werden in Museen vor Bilder gehängt, um sie vor Angriffen zu schützen. So befindet sich die Mona Lisa in einem schusssicheren Glasgehäuse. Viele Museen denken derzeit darüber nach, ihre Exponate mit vorgehängten Glasscheiben vor Attacken der Klimaaktivisten zu schützen. Aber die Betrachter mit einer Milchglasscheibe vor dem Kunstwerk zu schützen, das ist sehr ungewöhnlich.
Fabian Fechner: Es gibt viele mögliche Ansätze: In Dortmund gab es bis Mitte Oktober die Ausstellungswerkstatt „Das ist kolonial“, dort waren streitbare Objekte mit einer Triggerwarnung versehen. In Freiburg waren leere Vitrinen ausgestellt, um zu demonstrieren, dass der betreffende sakrale Gegenstand niemals für die Öffentlichkeit gedacht war. Am treffendsten ist der Fall der Süsterkirche in Bielefeld, wo Kriegerdenkmäler – darunter die Gedenktafel für einen gefallenen Kolonialsoldaten – durch bemalte und beschriftete Glasscheiben verändert werden.
„Es wollte sonst keiner haben“
Frage: Bilder lassen sich auf mehreren Ebenen interpretieren. Ich lese dieses Glasgemälde völlig anders, ich kann darin keine sexistischen oder rassistischen Merkmale erkennen. In den Kirchenfenstern von Slavos sind die Gottesmutter Maria und der Verkündigungsengel mit den gleichen Gesichtern dargestellt wie die Protagonistinnen dieses Bildes. Können Sie noch einmal erläutern, in welchen Kontext Sie das Glasgemälde stellen?
Ada Pellert: Wir stellen das Glasgemälde im Kontext Postkolonialismus aus und nicht im Kontext Hans Slavos. Deshalb haben wir es überhaupt vorübergehend als Leihgabe übernommen. In dem Gemälde ist vieles drin, was man zum Postkolonialismus lernen kann. Das Glasgemälde war Teil der Unternehmenszentrale der Firma Hussel und ist nicht von diesem historischen Kontext zu trennen. Sonst würde es für unseren Kontext als Lernort zur postkolonialen Geschichte keinen Sinn machen. Wir wollten einen Gegenstand haben, der sich darauf bezieht. Es ist exotistisch und etwas süßlich. Ohne die Brechung des kolonialen Blicks wäre das Werk Deko.
Fabian Fechner: Es wollte ja auch sonst keiner haben, wegen dieser problematischen Thematik. Das Allerwelthaus zum Beispiel hat eine Installation abgelehnt. Das Stadtmuseum hätte es für das Depot nehmen können.
Der unbekannte Künstler Hans Slavos
Dr. Fabian Fechner von der Fernuniversität Hagen forscht über die postkoloniale Geschichte in Hagen und ist Mitglied im Hagener Heimatbund.
Frage: Im Zusammenhang mit Ihrem Umgang mit den „Kaffeepflückerinnen“ wird der Hagener Künstler Hans Slavos dem Vergessen entrissen. Warum ärgert Sie das?
Fabian Fechner: Die Kunst der 1950er Jahre wird langsam erst als denkmalwürdig betrachtet. Das betrifft auch baubezogene Kunst von Hans Slavos, die besonders gefährdet ist. Noch zu dessen Lebzeiten wurde 1965 sein wichtigstes Werk im öffentlichen Raum zerstört, ein großes mehrteiliges Glasfenster im Rathaus, das Zerstörung und Wiederaufbau der Stadt thematisiert. Auch seine anderen Kunstwerke wurden oft mit den Füßen getreten. Jetzt betonen viele ihre Liebe zu Slavos, aber was passiert wirklich? Das wichtigste Werk wurde zerstört. Ich wünsche mir eine produktive Debatte und ein gemeinsames Ergebnis könnte sein, dass der Blick für den Erhalt von baubezogener Kunst weiter geschärft wird.
Frage: Kunst am Bau ist besonders bedroht von Zerstörung.
Fabian Fechner: Ja, und Slavos‘ Werke werden im öffentlichen Raum missachtet. Seine Sgrafitti verschwinden, wenn Fassaden renoviert oder gedämmt werden, dann sind sie einfach weg. Der Hagener Heimatbund hat viel für Slavos getan, Glasfenster werden gesichert und ein Sgrafitto in der Buscheystraße wurde mit einer Informationstafel versehen. Wenn überhaupt etwas passiert ist für diesen Künstler, dann durch den Heimatbund.
Frage: Biographisch ist wenig bekannt?
Fabian Fechner: Wir wissen sehr wenig, es gibt verdienstvolle, aber nur wenige Forschungsartikel über ihn. Wir wissen zum Beispiel kaum etwas über seine ersten Lebensjahrzehnte, er war auch Illustrator, Graphiker. Über 20 Jahre, von 1945 bis 1967, war Hans Slavos Vorsitzender der Künstlervereinigung Hagenring. Was dringend fehlt, wäre ein Werkverzeichnis.