Lünen. Ein Wohnhaus aus dem 3D-Drucker: So könnte die Zukunft der Baubranche aussehen. Das Pilotprojekt in Lünen verspricht Wohnraum zum günstigen Preis
In gleichmäßigen Bewegungen fährt die Düse des 3D-Druckers über die Baustelle und zieht eine Spur aus dickflüssigem Beton hinter sich her. Runde um Runde bewegt sich das Gerät im Kreis und Schicht um Schicht wachsen die Betonmauern in die Höhe. Der Rohbau des dreistöckigen Mehrfamilienhauses, das hier in Lünen im 3D- Betondruckverfahren gebaut wird, soll in weniger als 100 Stunden fertig sein - die nackten Wände und die Decke des Erdgeschosses stehen bereits.
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Deutschlandweit ist dies das erste Bauprojekt aus dem 3D-Drucker, das von der Landesregierung öffentlich gefördert wird. Sechs Wohnungen mit einer Größe zwischen 61 und 81 Quadratmetern sollen in dem neuen Gebäude entstehen, die gemäß der Bestimmungen der Wohnraumförderung für maximal sechs Euro pro Quadratmeter vermietet werden sollen. Mit dem knapp 1,9 Millionen Euro teuren Projekt wolle man in Lünen einen Beitrag für mehr bezahlbaren Wohnraum leisten, erklärt Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns. Rund 1,7 Millionen Euro Förderung erhält die Wohnungsbaugesellschaft Lünen vom NRW-Ministerium für Bau und Digitalisierung. „Wer baut, vertraut auf die Zukunft“, erklärt Ministerin Ina Schnarrenbach, als sie die Dokumente zur Förderung an den Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft Lünen überreicht, „Mit dem Pionierprojekt in Lünen zeigen wir, dass öffentlicher Wohnungsbau trotz dieser herausfordernden Zeit schnell, modern und nachhaltig entstehen kann.“
Ein Haus aus dem 3D-Drucker: Pilotprojekt in Lünen
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Mit mehreren Achsen und einer beweglichen Düse sieht der überdimensionale 3D-Drucker dem klassischen, kleineren Apparat für den häuslichen Gebrauch verblüffend ähnlich. In nur vier Minuten und 38 Sekunden hat die große Düse eine neue Schicht Baustoff auf die Wände aufgetragen und setzt direkt zur nächsten Runde an. Die schwulstigen Betonschichten, die auf diese Weise Zentimeter für Zentimeter in die Höhe wachsen, wirken instabil und feucht, wie die Türme einer Sandburg. „Bis heute Abend ist das hier alles ausgehärtet“, erklärt Lena Zimmermann, Bauingenieurin und Projektleiterin der 3D-Baufirma Peri. Mit einem Laptop, den sie auf dem Arm trägt, überwacht die 26-Jährige den Druckfortschritt und kontrolliert die Geschwindigkeit, mit welcher das zähflüssige Zementgemisch durch den Schlauch des Druckers gepumpt wird und aus der Düse fließt. „Für das ganze Stockwerk benötigen wir insgesamt sechs Drucktage“, erklärt sie. Bis Mitte November solle der 3D-Druck des Gebäudes abgeschlossen sein.
Bei dem Beton, der aus der Düse quillt, handelt es sich um einen besonderen Baustoff, der von der Firma Heidelberg Materials speziell für die Verwendung zum Gebäudedruck entwickelt wurde. „Auf der technischen Seite muss der Baustoff eine Menge können“, erklärt Dr. Jörg Dietrich, , Leiter des Produktmanagements der Firma. Er müsse sowohl in Hinblick auf Fließ- und Pumpeigenschaften für den 3D-Druck viele Anforderungen erfüllen, gleichzeitig aber schnell aushärten und formstabil sein. Eine weitere Besonderheit des Materials: Aufgrund der mineralischen Bestandteile soll der Beton vollständig recycelbar sein, wenn das Gebäude in der Zukunft wieder abgerissen wird. Im Vergleich zum herkömmlichen Zement aus Klinker und Gips soll der Druckbeton bis zu 55 Prozent weniger CO2 verursachen.
Digitalisierung der Baustelle: Weniger Personal nötig
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Für den Gebäudedruck ist nur ein kleines Konstruktionsteam nötig. „Wir haben hier zwei Bauingenieure, zwei Maschinenbauer und einen Bautechniker“, erklärt Lena Zimmermann. Der digitalisierte Bauprozess mache es möglich, mit weniger Fachkräften auszukommen. „Ich habe zum Beispiel keine Maschinenbaukenntnisse und kann trotzdem mit dem 3D-Drucker arbeiten“, sagt sie. Auch hält die junge Frau es für möglich, dass die Baubranche durch die Digitalisierung für mehr Frauen zu einem attraktiven Berufsfeld werden könnte: „Ich bin zwar derzeit die einzige Frau in unserer Abteilung, aber ich glaube, dass das in Zukunft zunehmen wird.“
Das Bauprojekt in Lünen solle für die Bauindustrie als Wegweiser dienen, erklärt Alexander Rychter, Direktor des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen e.V.. Während das Land NRW viel zur Förderung von Bauprojekten wie dem neuen Mehrfamilienhaus leiste, wünsche er sich auch von der Bundesregierung mehr Unterstützung. „Wir machen uns große Sorgen um den Wohnungsbau in unserem Land“, sagt Rychter, „Mit solchen Projekten wollen wir ein Signal setzen.“