Aus Angst schweigen die Juden in Deutschland. Diese Angst ist real. Die Antisemiten wittern Morgenluft. Das ist unerträglich.

In der Woche vom 7. zum 15. Oktober 2023 gab es 202 antisemitische Vorfälle in Deutschland, 22 Taten jeden Tag, 240 Prozent mehr als im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres. Die Gewerkschaft der Polizei spricht von „einer absolut widerlichen Stimmung“. Und meine jüdischen Nachbarn verstummen. Es wäre so wichtig, jetzt ihre Stimmen zu hören. Aber sie leben in Angst und müssen fürchten, zur Zielscheibe zu werden, wenn sie mit Namen und Bild in den Medien stehen.

Es sind Künstler, Musiker, Ärzte, Journalisten, allesamt fleißige Steuerzahler, sie engagieren sich ehrenamtlich, viele haben Kinder, die meisten sind noch nicht einmal religiös. Jetzt werden sie auf einen einzigen Aspekt ihrer Existenz reduziert. Dass sie Juden sind. Und sie werden bedroht: Weil sie Juden sind.

Und wir, die deutsche Gesellschaft, können sie nicht schützen.

Antisemiten wittern Morgenluft

Die Massaker der Hamas in Israel waren ein Weckruf, durch den Antisemiten in aller Welt ihre Hemmungen, falls sie je welche hatten, über Bord geworfen haben. Wie sicher müssen sich jene Exil-Palästinenser fühlen, die in Berlin trotz Verbots demonstrieren? Wer wirft denn Brandbomben auf Synagogen? Auch die deutschen Antisemiten wittern ja Morgenluft. Die radikalen Gewalttäter kommen ins Fernsehen und in die Zeitung; die verängstigten jüdischen Nachbarn verschwinden aus der öffentlichen Wahrnehmung, wegen der Angst.

Dieses Verstummen aus Angst halte ich für unerträglich.

Was ist mit den anderen arabischen Ländern?

Es kann doch keiner der Exil-Palästinenser glauben, dass Angriffe auf Juden in Deutschland die Situation in Gaza verbessern. Natürlich wird mir derzeit vorgeworfen, ich würde die Völkerrechtsverletzungen Israels ignorieren. Was soll ich darauf antworten? Dass Gaza nicht von Israel umzingelt ist, sondern an ein anderes arabisches Land grenzt, mit dem die Palästinenser längst prosperierende Beziehungen hätten aufnehmen können - gäbe es da nicht noch einen weiteren, diesmal innerarabischen Konflikt? Dass ich den Opfererzählungen der Palästinenser inzwischen misstraue?

Die große Ratlosigkeit

Von Ferne kenne ich einen jungen Araber, der hier als Sohn von Geflüchteten geboren wurde. Er hat die Schule mit Bravour absolviert, studiert, Theater mit Christen und Juden gespielt, also alles, wovon wir sagen, dass es Vorurteile abbaut: Gebt den Leuten Bildung, Kultur, Begegnung, dann werden sie friedlich. Jetzt solidarisiert er sich mit der Hamas und postet wie so viele Fußballstars „Free Palestine“. Damit ist nicht die Befreiung des Gaza-Streifens durch die Hamas gemeint.

Ich weiß nichts mehr.