Hagen. Seit Juli ist es unattraktiver geworden, Kurzarbeit einzuführen. In Südwestfalen nimmt sie gegen den Trend zu. Experten finden das alarmierend.
Gegen den bundesweiten Trend steigt die Kurzarbeit im industriestarken Südwestfalen. „Es ist noch nicht die Riesenwelle, aber ab dem Herbst wird Kurzarbeit weiter zunehmen“, schätzt Wirtschaftsexperte Dr. Volker Verch. Der Geschäftsführer des Unternehmensverbands Westfalen Mitte mit Sitz in Arnsberg wird in seiner Einschätzung durch ein aktuelle Befragung der Industriegewerkschaft Metall in NRW bestätigt, an der rund eintausend Betriebsräte teilgenommen haben.
Anstieg im September gegenüber Mai
„Es gibt einen Anstieg im September gegenüber dem Mai“, sagt Mike Schürg, Sprecher der IG Metall NRW. In neun Prozent der befragten Betriebe findet bereits seit längerem Kurzarbeit statt. Im Mai waren es lediglich 6,7 Prozent. Rechnet man aktuell die Betriebe hinzu, in denen Kurzarbeit konkret geplant ist oder mindestens zwischenzeitlich stattfindet, kommt man auf knapp 20 Prozent der Unternehmen. Hauptsächlich betroffen sei die Metall- und Elektrobranche, heißt es aus Düsseldorf.
Bundesweit ist die Zahl der Kurzarbeiter trotz der allgemein schwachen Konjunktur weiter gesunken. 110.000 Menschen bezogen im August Kurzarbeitergeld, im Mai waren es noch 150.000, wie das Münchener Ifo-Institut mitteilte. „Eine Rolle mag dabei spielen, dass die erleichterten Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld Ende Juni ausgelaufen sind“, erklärte Ifo-Arbeitsmarktforscher Sebastian Link.
Die Hürden für die Unternehmen sind wieder höher geworden, ebenso wie die Kosten von Kurzarbeit. Die meisten Kurzarbeiter entfallen laut Ifo-Institut auf die Industrie. In einzelnen Branchen gab es Anstiege, etwa in der Metallerzeugung und im Maschinenbau.
Autozulieferer besonders betroffen
Besonders viel Kurzarbeit gibt es in der Regel bei zeitweisem Auftragsmangel. Dies trifft offenbar besonders auf die Autozulieferindustrie zu, weil am Standort Deutschland die Autobauer die Produktion zurückfahren. Das tangiert nicht nur Südwestfalen als Automotive-Region. „Wenn Volkswagen Zwickau weniger Autos baut, dann können die Zulieferer dort auch nur weniger Teile hinliefern“, sagte Dirk Vogel vom Branchennetzwerk AMZ der DPA. Es sei zu erwarten, dass die Firmen ebenfalls mit Kurzarbeit oder Stellenabbau reagieren müssen – in welcher Größenordnung, das sei noch unklar. Allgemein gilt, dass an jedem Arbeitsplatz bei Autoherstellern noch einmal drei bis vier Jobs bei Zulieferbetrieben hängen.
Neben dem Nachfragetief belasten vor allem den nicht international produzierenden Mittelstand die weiter hohen Energiepreise. „Die Unternehmen wollen alle ihre Leute halten, aber der Druck wird schon stärker“, erklärt Wirtschaftsexperte Verch. Schwache Umsätze und hohe Kosten – Gewerkschafter und Unternehmensvertreter drängen weiter auf einen Brückenstrompreis, auch, um Beschäftigung zu sichern.
Seit Juli gelten alte Regeln
Seit Juli gelten bei der Anmeldung und Durchführung von Kurzarbeit wieder die Vor-Corona-Regeln. Zur Erinnerung: Um in der Pandemiezeit möglichst viele Arbeitsplätze zu retten, galten erleichterte Bedingungen zur Durchführung von Kurzarbeit und es gab zwischenzeitlich sogar eine Aufstockung der Beträge, wenn Beschäftigte über einen längeren Zeitraum mit deutlich weniger Lohn und Gehalt auskommen mussten. In der Spitze waren in der Pandemiezeit bundesweit sechs Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit. Arbeitsmarktexperten gehen davon aus, dass so letztlich mehr als zwei Millionen Jobs gesichert werden konnten.
Weil die angemeldete und durchgeführte Kurzarbeit zu Beginn dieses Jahres stark zurückgegangen war, lief die „Corona-Regelung“ Ende Juni aus. Seitdem ist es für Betriebe wieder schwieriger, die Voraussetzungen für Kurzarbeit zu erfüllen – und auch teurer. Bereits die Frühjahrsdaten der Bundesagentur für Arbeit deuteten an, dass mindestens in Industrieregionen wie Südwestfalen der Bedarf, Arbeitszeiten zu reduzieren, höher ist als im Landesschnitt. Im März stieg die Quote in Südwestfalen an, statt wie eigentlich erwartet zu sinken.
Bereits Mitte August hatte der Märkische Arbeitgeberverband (MAV) eine ähnliche Befragung seiner Unternehmen im Raum Hagen, im Märkischen Kreis und dem südlichen Ennepe-Ruhr-Kreis durchgeführt wie die IG Metall jetzt in NRW. Ergebnis: Bereits 20 Prozent der antwortenden Betriebe nutzte Kurzarbeit. Mehr als ein weiteres Drittel plante Kurzarbeit. Und: Rund 20 Prozent beschäftigten sich demnach bereits mit Entlassungen.
Sommerferien verlängert
„Es hat vor allem mit der Automobilindustrie zu tun“, ist die Beobachtung des Hagener IG-Metall-Bevollmächtigten Jens Mütze, in dessen Bezirk es eine Vielzahl von Unternehmen gibt, die von den Autobauern abhängig sind. Einige Betriebe hätten zwischenzeitlich sogar Werksstillstände vereinbart, also etwa die Sommerferien verlängert. „Die Unternehmen ziehen alle Register, um ihre Leute halten zu können. Das gilt auch für die Übernahme von Auszubildenden“, lobt der Gewerkschafter das Verhalten der Arbeitgeber, wenn es um ihre Fachkräfte von heute und morgen geht.
Die anhaltende Wirtschaftsflaute trifft nicht nur die Automobilzulieferindustrie in Südwestfalen. Auch namhafte Firmen aus der Sanitärbranche wie Grohe oder Keucohaben bereits Arbeitszeiten reduziert. Anhaltend hohe Energiepreise, die das energieintensive Gießen deutlich teurer machen, die hohe Inflation, die zu Kaufzurückhaltung führt und die gestiegenen Kreditzinsen, die zu einem regelrechten Einbruch in der Bauwirtschaft geführt haben, lassen die Nachfrage in der Branche dahindümpeln. Der Sauerländer Armaturen- und Heizungstechnikhersteller Oventrop aus Olsberg hatte jüngst bereits angekündigt, Produktion ins Ausland zu verlagern und Arbeitsplätze im Sauerland abzubauen.
„Wir müssen jetzt höllisch aufpassen“, warnt Gewerkschafter Mütze. Der Standort Deutschland brauche jetzt eine gewisse Zeit, um Beschäftigung für die Zukunft zu sichern. Und für diese Zeit brauche es einen Brückenstrompreis: „Ansonsten schaffen wir uns in der Industrie selbst ab.“