Sauerland. Über die Landesgrenze hinweg sollen hunderte Kilometer Mountainbike-Strecken entstehen. Was geplant ist und warum Skiliftbetreiber sich freuen.
Eine Skipiste in Winterberg, ein lauwarmer Tag im August: Statt in Schneeweiß strahlt der Hang im hellen Grün der Wiese und statt Wintersportlern haben andere Spezialisten das Gelände übernommen: Mountainbiker. Wie immer im Sommer. Seit mittlerweile 20 Jahren.
Das Konzept, das manche Skiliftbetreiber – wie zuletzt in Schmallenberg-Gellinghausen – noch neu für sich entdecken, verfolgt der Bikepark Winterberg schon seit gefühlten Ewigkeiten: „Mein Vater hatte damals den Gedanken, seine Lifte auch im Sommer zu nutzen“, erklärt Nico Brinkmann, Geschäftsführer des Mountainbike-Parks. Die naheliegende Sportart: Mountainbike fahren. Spätestens mit Corona, E-Bikes und dem daraus folgenden Fahrradboom dürfte klar sein: Da hatte jemand den richtigen Riecher.
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Projekt über Landesgrenzen von NRW und Hessen
Früher mal war es vor allem der Wintersport, für den das tiefe Sauerland überregional bekannt war. Das mag heute allgemein immer noch so sein, doch die Berge ziehen mehr und mehr junge Leute mit Bikes an. Nico Brinkmann selbst hat in 20 Jahren Betrieb Besucher zuhauf gehabt. Auch einige, die ihm besonders viel bedeuteten: „Es sind des Öfteren mal Besucher aus den Alpen hier“, erklärt er. „Aus den Skigebieten dort. Sie schauen sich unser Konzept an und holen sich Inspiration.“
Und scheinen überzeugt: Viele Mountainbikeparks dort unten seien nach dem Vorbild des Bikeparks Winterberg entstanden – Sauerländer Impulse für die großen Alpen.
Ersetzt das Mountainbike bald die Skier?
Zwei bis drei Monate geht die MTB-Saison noch – ab Dezember ist Skizeit in Winterberg. Ende März ist Schluss mit Schnee. „Viele Biker sind vorher schon ungeduldig und sehen auf unserer Seite die Webcam, die noch Schnee zeigt“ so Brinkmann.
Dass auch in niederschlagsarmen Wintern an etwa 90 Tagen Ski und Snowboard gefahren werden kann, dafür sorgt technische Beschneiung. Brinkmann: „Wenn es im Sauerland keinen Wintersport gäbe, führen die Skifans halt nach Österreich.“
Kein Wunder also, dass in den Ländern NRW und Hessen der Gedanke aufkam, dass auch hier in der Region noch mehr gehen könnte. Erste Planungen für ein riesiges Fahrradwegenetz über die Landesgrenze hinweg laufen seit Längerem. Es soll einzigartig werden, eins der größten in Europa – „Green Trails“ heißt es in Hessen. Die Eröffnung des ersten Abschnitts in Korbach erfolgte Mitte Juli. Im nordrhein-westfälischen Sauerland will man mitziehen – doch ganz so weit ist man noch nicht.
Vielmehr laufen derzeit auf dem gesamten Gebiet des Altkreises Brilon Machbarkeitsstudien. Bedeutet: Während das Land Hessen den Bau der Radwege bereits fördert, werden auf NRW-Seite derzeit Naturschutz-Angelegenheiten geprüft. „Wir halten das auf jeden Fall für eine gute Idee, und möchten da grenzübergreifend zusammenarbeiten“, erklärt Jannik Müller vom Sauerland Tourismus. Auch in den Kommunen sei das Interesse groß.
Doch ist das Ganze überhaupt mehr als ein Trend? „Mountainbiken ist längst mehr als eine Trendsportart“, sagt Brinkmann, der selbst auch ab und zu die Trails in seinem Park entlangfährt. „Die Einnahmen haben sich verschoben“, erklärt er. Das Mountainbiken hole gegenüber dem Wintersport auf – umsatztechnisch seien nun beide Sportarten im Gleichgewicht. Wobei die MTB-Saison etwa doppelt so lang ist wie die Skisaison.
Das Interesse an einer Erweiterung des Angebots ist dementsprechend groß. Ein Beispiel ist die Stadt Brilon. Den eigenen Trail Ground – also bereits vorhandene Radwege im Wald – will die Stadt erweitern, Richtung Willingen, wo die „Green Trails“ entstehen. Damit ist sie weiter als die restlichen Kommunen in NRW: Die ersten Anträge sind hier laut Rüdiger Strenger von der Tourist Information Brilon und Olsberg bereits gestellt, und im Regionalen Wirtschaftsförderungsprogramm des Landes NRW habe die Erweiterung des Wegenetzes eine sehr hohe Punktzahl erreicht – was sehr gute Förderchancen mit sich bringe. „Dafür war es wichtig, die geplante Zusammenarbeit über die Landesgrenze und auch in NRW hinweg deutlich zu machen“, erklärt Strenger. „Es muss das gemeinsame Ganze sein.“
In Brilon ist ein grober Korridor für die Strecken bereits festgelegt – jetzt laufen Großvögelkartierung sowie Artenschutzprüfung, in deren Folge die Naturschutzbehörden zustimmen müssen. Strenger rechnet derzeit im Frühjahr 2024 mit der endgültigen Genehmigung der Förderung. „Dann können wir die Ausführungsplanungen beginnen.“ Vorher geht’s nicht, sonst gibt’s kein Geld. Der Touristiker hofft auf einen Baubeginn 2025. „Wir sind damit in NRW der Vorreiter.“ In Brilon sollen die Strecken um etwa 21 Kilometer erweitert werden. Bis Brilon Wald sollen Mountainbiker dann fahren können – und von dort sei es ja auch nicht mehr weit bis zur hessischen Landesgrenze. „Wir stehen in engem Kontakt mit den Green Trails. Eine Partnerschaft ist auf unserer Seite auf jeden Fall gewünscht.“
Und von der anderen Seite auch: „Wir sind da schon seit Längerem in Gesprächen“, berichtet Matthias Schäfer vom Projekt „Green Trails“. „Es ist nur sinnvoll, sich gegenseitig zu unterstützen“, so seine Devise. In Willigen entstünden voraussichtlich zwölf Kilometer neue Strecke, die Genehmigungen laufen zurzeit.
Die Vorteile des Projekts indes lägen auf der Hand: Mehr Gäste, mehr Wertschöpfung, der Wirtschaftsfaktor. „Außerdem bieten wir unserer Bevölkerung eine neue Freizeitbeschäftigung. Kostenlos.“ Denn die Trails sind öffentlich, und jeder kann sie nutzen. Das Besondere: Im Bikepark braucht der Biker durchaus Erfahrung, auf den Green Trails kann sich jeder ausprobieren – „von 8 bis 88.“
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Green Trails langweilig?
Profitieren würden die Bikeparks trotzdem von dem großen Netz, in Winterberg liegen die bereits bestehenden Trails beispielsweise direkt gegenüber dem Bikepark. Das weiß Nico Brinkmann. Der Bikepark ist anspruchsvoll: Wenn dort die jungen Sportler in den Lift steigen, hängen sie ihre Räder an die Rückseite des Vordersitzes, nehmen den darauffolgenden Sitz nach oben, und sausen den Berg wieder herunter: Hier springen sie über Wurzeln, dort tricksen sie auf Holzschanzen. „Manche Biker sagen sogar, dass ihnen die Trails zu langweilig sind“, sagt Matthias Schäfer aus Willingen lachend über die erste eröffnete Strecke in Korbach. Dabei gehe es ja genau darum – ein niedrigschwelliges Angebot, das Hand in Hand mit Parks für Profis geht.
Wenn es nach den Kommunen und Touristikern geht, ist das Sauerland bald das reinste Mountainbike-Paradies. Das derzeit entstehende Projekt in NRW und Hessen soll zusammenhängend sein und könnte nach dem Vorbild der Sauerländer Walddörfer funktionieren. Jannik Müller von Sauerland Tourismus: „Wir hoffen darauf, die Region mit diesem Sport für eine breitere Gruppe attraktiv zu machen.“