OP am offenen Herzen: Wie der Umzug einer Klinik abläuft
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Arnsberg. Das Klinikum Hochsauerland zieht um – und zwar ins neue Notfallzentrum. Ein einmaliger Kraftakt mit Intensivpatienten und hoch sensiblen Geräten.
Ein langer Gang, Linoleum-Boden. Unter der Decke die roten Zahlen der Digitaluhr. Kein Piepen, kein Klappern, kein Wuseln. Einfach Stille. Der vorletzte Patient auf Station 3 liegt auf Zimmer Nummer 154. Werner Korf heißt der Mann, vor wenigen Tagen operiert worden, aber auf dem Wege der Besserung. Liegend-Transport ist angesagt.
24 Stunden Zeit für den Umzug von sensiblen Geräten und Patienten
„Was soll man machen?“, fragt er lächelnd und zuckt mit den Schultern, kurz bevor er auf die Trage gehoben wird. Ändern kann er ja eh nichts daran, dass heute ein absolut außergewöhnlicher Tag ist: Das Krankenhaus, in dem er liegt, zieht um. Und er damit auch. „Ob ich jetzt hier liege oder da, ist egal – solange die Ärzte und alles, was man sonst braucht, auch dort sind.“
Genau darum geht es in diesen 24 Stunden zwischen Donnerstag und Freitag 12 Uhr mittags, in denen das Klinikum Hochsauerland den Standort Marienhospital in Arnsberg leerzieht, um am Standort Arnsberg-Hüsten das neu aufgebaute Notfall- und Intensivzentrum (siehe unten) vollständig in Betrieb zu nehmen.
Markus Bieker trägt sein Telefon in der Brusttasche seines weißen Hemdes. Kriegt er einen Anruf, blinkt das Handy wie eine Alarmleuchte. Er ist für die Infrastruktur des Krankenhauses zuständig, hat den Umzug seit vier Monaten geplant. Deswegen blinkt sein Hemd oft.
Krankenhaus abgemeldet: „Das macht man nur einmal im Leben“
Er öffnet eine App auf dem Ipad: Es ist kurz nach 12 Uhr am Donnerstag, soeben hat er das Krankenhaus auf dem „Informationssystem Gefahrenabwehr NRW“ abgemeldet. „Ausgelastet“, steht jetzt da in Rot hinter jeder Abteilung, weil die komplette Abmeldung einer Klinik in der Bedienmaske gar nicht vorgesehen ist. „Das“, sagt Bieker, „macht man nur einmal im Leben.“ Ein Umzug, das weiß jeder, ist stressig genug. Aber mit Geräten, die hoch sensibel und Millionen wert sind? Und unter Wahrung der Patientensicherheit? Wie geht das?
Sauerland- Krankenhaus in Arnsberg zieht um
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„Ich kenne das Unternehmen. Die machen nur Spezialumzüge. Nur wenige Unternehmen in Deutschland können das“, sagt Bieker über die Firma Pfleiderer aus Aalen in Süddeutschland. Deren Chef ist Martin Deis, ein Mann mit Brille, hoher Stirn und schwäbischem Dialekt.
Geräte transportieren, die eine Viertelmillion wert sind
25 Leute hat er vor Ort darunter einen eigenen Mechaniker, der sofort mögliche Schäden an Fahrzeugen und Geräten beheben kann. Denn Zeit, um zu warten, hat hier niemand. Dazu: 5 Lkw in allen Größen, manche davon besonders luftgefedert, damit das medizinische Equipment keinen Schaden nimmt. Spezialanhänger. Spezial-Container. Insgesamt 4000 Kubikmeter Fracht werden bewegt, sagt Deis.
Die Fracht ist wertvoll. Zum Beispiel ein OP-Mikroskop, mannsgroß, 400 Kilogramm schwer, mehr als eine Viertelmillion Euro teuer, hoch sensibel für Erschütterungen. Oder ein Röntgengerät: 1,5 Tonnen schwer. Für das Navigationsgerät, das bei Hirn-OPs zur Orientierung nötig ist, kommt extra der Hersteller, um es ab- und wieder aufzubauen.
Umzug bei laufendem Betrieb: eine Operation am offenen Herzen
„Das hier ist wie Olympia“, sagt Deis und meint damit: etwas Einmaliges. Er hat eigentlich nicht viel Zeit, aber auch Freude daran zu erzählen, wie das hier alles läuft. Wie er mit dem Teleskoplader gleich an das Haus ranfahren wird, um weniger empfindliches Material durchs Fenster ins Freie zu heben. „Einmal hoch und ab und weg“, sagt er. „Das spart Zeit.“ Die OP-Säulen, der untere Teil des OP-Tisches und 250 Kilogramm schwer, hätten längst verladen sein sollen, wurden aber länger gebraucht als gedacht, sagt Deis. „Ist eben so. Jetzt müssen wir improvisieren. Geht aber.“ Ein Lächeln.
Die Strecke zum etwas mehr als zehn Kilometer entfernten Karolinen-Hospital ist er mehrfach vorher abgefahren, damit er weiß, wann am Tag auf welcher Strecke wenig Verkehr herrscht. „Die große Herausforderung ist, dass hier der Betrieb aufrecht erhalten bleiben muss, während gleichzeitig der Umzug vollzogen wird.“ Operation am offenen Herzen, um im Bild zu bleiben.
Knie- und Hüftprothesen – alles abgezählt, damit hinterher nichts fehlt
Krankenpflegerin Dorothea Freiburg-Neuhaus kommt gerade von Station 8. „Die ist schon komplett leer“, sagt sie. In der Anmeldung von Station 3 liegen die Kruzifixe, die über den Türrahmen der Zimmer hingen, auf dem Tresen. Wo einst der Dienstplan hing, klaffen Löcher in der Wand. Am Morgen musste noch ein Patient außerplanmäßig operiert werden: Arm gebrochen.
Auf Transportwagen im Flur von Station 3 liegt alles, was noch nach Hüsten muss: Plastikhandschuhe, Bettpfannen, Nierenschalen. Eine Abteilung weiter sind die Schränke mit den Knie- und Hüftprothesen schon leergeräumt. Alles abgezählt, damit hinterher nichts fehlt. Computer, Drucker, Kühlschränke, Mehrfachsteckdosen, Bilder von der Wand. Kanülen, Verbände, Spuckbeutel.
Seit 38 Jahren im Marienhospital: Pflegepersonal hat Tränen in den Augen
Seit 38 Jahren arbeitet Schwester Dorothea im Marienhospital, ihre Ausbildung hat sie dort gemacht, drei Generationen Chefärzte erlebt. Ihr bisheriges Arbeitsleben packt sie gerade in Kartons und auf Gitterwagen. „Das ist sehr emotional. Man denkt an alles, was man hier erlebt hat.“ Ihren Schlüssel muss sie wie alle anderen heute abgeben. Sie hat Tränen in den Augen.
Am Mittwoch wurde schon Material transportiert. 16 Patienten von der Normalstation müssen am Donnerstag nach Hüsten gebracht werden, am Freitag folgen 22 Intensivpatienten, deren Transport medizinisch begleitet werden muss. In der Zeit von Donnerstag bis Freitag 12 Uhr werden alle unfallchirurgischen Notfälle vom Rettungsdienst ins St. Walburga-Krankenhaus in Meschede gebracht – ebenfalls ein Standort des Klinikums Hochsauerland. Ein OP-Raum im Marienhosital bleibt betriebsbereit, bis alle Patienten weg sind. Für alle Fälle.
Nach dreieinhalb Jahren Bauzeit wurde das neue Notfall- und Intensivzentrum des Klinikums Hochsauerland am 14. Juli 2023 offiziell eingeweiht. Rund Insgesamt 90 Millionen Euro kostete der Bau – mit 28 Millionen Euro förderte das Land NRW die Maßnahme, mit der eine der größten Notaufnahmen der Region entsteht.
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