Hagen. Die Debatte um Zuwanderung wird immer emotionaler. Ein Experte spricht über die Gründe und den Eklat um eine Flüchtlingseinrichtung in Arnsberg.

Er kommt aus Mülheim, die jüngsten Diskussionen um Beschwerden von Anwohnern über eine große Flüchtlingsunterkunft in seiner Heimatstadt hat Dr. Olaf Jann daher genau verfolgt. Dass es nun auch in Arnsberg-Oeventrop Ärger um eine geplante – und nun gescheiterte – Einrichtung einer Unterkunft für Geflüchtete gibt, überrascht den Soziologen der Uni Siegen nicht. Auch nicht, dass sich am Montagabend auf der Bürgerversammlung Szenen wie in einem Fußballstadion ereigneten, es Buhrufe oder lauten Jubel gab.

„Es ist nicht das erste Mal, dass versucht wird, solch ein Vorhaben zu stoppen, auch mit einer solch großen Emotionalität. Man sieht daran, dass die affektiven Potenziale immer weiter steigen“, sagte Jann im Gespräch mit dieser Zeitung. Deutschland sei „polarisiert“ und „stark gespalten“. Viele Bürger hätten das Gefühl, dass ihre Interessen und Bedürfnisse insbesondere von der Bundespolitik nicht berücksichtigt würden. Das Vertrauen gehe verloren.

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„Die gesellschaftliche Stimmung ist aggressiver geworden. Das hat nicht nur mit dem Migrationsthema zu tun, sondern auch mit der Klimapolitik, dem Ukraine-Krieg, der Inflation usw. Je krisenhafter eine Gesellschaft ist, desto depressiver ist die Stimmung“, sagte Jann, der betonte: „Die Bundesregierung muss sich schon überlegen, was das Ziel ihrer Flüchtlingspolitik ist. Will man alles so weiterlaufen lassen? Es wirkt so, als glaube die Bundesregierung, das Problem löse sich von selbst. Aber das wird nicht passieren, wie man an den aktuellen Ereignissen sieht. Die Stimmung wird sich immer weiter aufheizen.“

Sieht ein „gespaltenes“ Deutschland: Der Soziologe Dr. Olaf Jann, von der Uni Siegen.
Sieht ein „gespaltenes“ Deutschland: Der Soziologe Dr. Olaf Jann, von der Uni Siegen. © Olaf Jann/Uni Siegen

Kleinere Unterkünfte von Vorteil für beide Seiten

Der Wissenschaftler ließ Verständnis für die Skepsis gegenüber größeren Flüchtlingsunterkünften insbesondere in kleinen Gemeinden erkennen. In Mülheim-Raadt etwa gebe es keine Supermarkt, keinen Kiosk, nur das Wohngebiet, wo eine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet werde, „nur ein paar Meter von den Grundstücken der Eigenheimbesitzer entfernt. Da werden Unsicherheiten produziert. Das liegt in der Natur der Sache. Ob dann die befürchteten Probleme wie Lärmbelästigung oder Kriminalität wirklich eintreten, sei dahingestellt. Aber es gibt erst einmal ein großes Unsicherheitspotenzial. Das wird als Einbruch in eine heile Welt wahrgenommen“, erläuterte Jann, der kleinere Flüchtlings-Einrichtungen für sinnvoller hält.

„Kleinere Einrichtungen provozieren weniger dieses hohe Ablehnungspotenzial in der Bevölkerung“, sagte Jann zum einen. Zum anderen seien kleinere Einrichtungen auch für die Flüchtlinge von Vorteil. „In den Unterkünften treffen sehr verschiedene Menschen aus sehr verschiedenen Kulturen aufeinander. Diese Menschen leben dort zusammen – und das nicht nur für kurze Zeit, sondern teils über Jahre. Das ist für diese Menschen eine enorme psychische Belastung“, so der Soziologe.