Wetter/Hagen. Die Frau aus Wetter, die im Verdacht steht, ihren neun Jahre alten Sohn getötet zu haben, kämpft vor dem Arbeitsgericht gegen ihre Entlassung.

Vor dem Sitzungssaal 1 im Hagener Arbeitsgericht wird die nächste Sache aufgerufen. Eine Frau, 42 Jahre alt, hat Kündigungsschutzklage eingereicht. Sie will weiterbeschäftigt werden und um ihren Arbeitsplatz kämpfen. Doch die Klägerin kann zum Gütetermin nicht selbst erscheinen: Sie sitzt seit Anfang Februar in Untersuchungshaft. Es ist die Mutter aus Wetter, die ihren neunjährigen Sohn in der Badewanne ertränkt haben soll.

In der Badewanne ertrunken: Schwurgerichtsprozess beginnt am 17. Juli

Dem Prozess, der am 17. Juli vor dem Schwurgericht Hagen beginnt, wird sie nicht fernbleiben können. Verhandelt wird dort der gewaltsame Tod eines Kindes, ein wahrscheinliches Familiendrama, das weit über die Stadtgrenzen von Wetter hinaus für Schlagzeilen und in der Bevölkerung für große Anteilnahme gesorgt hat: Was musste passieren, dass – von diesem schrecklichen Szenario geht bislang die Staatsanwaltschaft aus – eine Mutter ihrem Kind eine Bratpfanne so fest gegen den Hinterkopf schlägt, bis es nahezu bewusstlos ist? Wie konnte sie sich dazu durchringen, anschließend den Neunjährigen in die Badewanne zu legen und ihn ertrinken zu lassen?

Die Anklage stützt sich dabei auf Spurenauswertungen am Tatort, die Obduktionsergebnisse des Rechtsmediziners und ein vorläufiges psychiatrisches Sachverständigengutachten. Die Staatsanwaltschaft hat nach erster juristischer Bewertung Totschlag, aber nicht Mord angeklagt.

Wie groß war die Verzweiflung der Mutter?

Zurück ins Arbeitsgericht. Dort hat Richter Fabian Wißner inzwischen ins Protokoll diktiert, wer von den Parteien zum Gütetermin erschienen ist: Auf Arbeitgeberseite die Geschäftsführerin des beklagten kirchennahen Vereins und deren Anwalt. Auf der Seite gegenüber fehlt die Klägerin in Person. Sie befindet sich in Untersuchungshaft im Frauengefängnis Gelsenkirchen und kann deshalb nicht persönlich anwesend sein. Verständlich, dass sie als hinreichend entschuldigt gilt. Zumal ihr Lüdenscheider Anwalt Dirk Löber erschienen ist, der ihr auch im nahenden Totschlagsverfahren als Verteidiger zur Seite stehen wird. Mit den unterschiedlichen Rollen seiner Mandantin hat er keine Schwierigkeiten: Hier, im Arbeitsgericht, ist sie die Klägerin. Und zwei Wochen später, im Schwurgericht, ist sie die Angeklagte.

Der gewaltsame Tod des eigenen Kindes ist ein schwerwiegender Vorwurf. Wie bringt eine Mutter so etwas fertig? Klar ist: Einige Wochen vor der Tat soll die Beziehung zu dem Vater des Jungen in die Brüche gegangen sein. Das könnte ein Motiv sein, doch das ist reine Spekulation. Rechtsanwalt Philippos Botsaris (Hagen) vertritt im Schwurgerichtsverfahren als Nebenkläger den Vater: „Dieser ist zutiefst traumatisiert, sein Schmerz ist nicht in Worte zu fassen. Die Tat hat meinem Mandanten den Boden unter den Füßen weggezogen.“

Mutter hatte wohl versucht, sich selbst das Leben zu nehmen

Die Beschuldigte hat bislang dazu geschwiegen. Vielleicht öffnet sie sich im Schwurgerichtsverfahren, vielleicht vertraut sie sich auch dem neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen an. Die Kammer hat den erfahrenen Facharzt Dr. Nikolaus Grünherz (Hagen) als Gutachter beauftragt. Es geht vor allem um die Frage der Schuldfähigkeit. Wie groß war ihre damalige Verzweiflung?

Nach dem ihr vorgeworfenen Tötungsdelikt hatte sich die Beschuldigte zunächst wohl selbst das Leben nehmen wollen. Dann wählte sie die 112. Es war ein früher Freitagmorgen im Februar, kurz nach 6 Uhr, als die Rettungskräfte mit Blaulicht vor dem schmucken Ziegelsteinhaus eintrafen. In der Wohnung in der obere Etage entdeckten sie die Familientragödie: Die schwer verletzte Mutter und in der Badewanne das leblose Kind. „Zuvor verletzt durch stumpfe Gewalteinwirkung“, so der Rechtsmediziner, „der spätere Tod ist eingetreten durch Ertrinken“.

Sechs Verhandlungstermine im Totschlagsverfahren

Im Arbeitsgericht dreht es sich inzwischen um eine ganz andere Frage: Wie stellt sich die Klägerin vor, jemals in der Einrichtung in Wetter weiterarbeiten zu können? Seit fünf Monaten fehlt sie aufgrund der Untersuchungshaft an ihrem Arbeitsplatz und ob sie jemals wieder dorthin zurückkehren kann, erscheint angesichts des massiven Vorwurfs doch sehr unwahrscheinlich.

Das Schwurgericht hat für das Totschlagsverfahren vorerst sechs Verhandlungstermine angesetzt, ein Urteil soll erst nach den Sommerferien am 12. August fallen und erst dann gäbe es Klarheit über ihre weitere Zukunft.

Selbst im Fall eines Freispruchs, fiele es einem kirchennahen Arbeitgeber schwer, sie weiterhin in der Betreuung von behinderten Menschen einzusetzen: „Das verstößt gegen unsere Verantwortung und gegen unsere ethischen und moralischen Grundsätze“, so die Kündigungsbegründung.

Anwalt Löber stimmte schließlich einem richterlichen Vergleichsvorschlag zu: Das Arbeitsverhältnis wird durch durch eine fristgerechte Kündigung zum 30. Juni beendet, bis dahin bekommt die Klägerin auch ihr Gehalt (monatlich 2500 brutto) ausgezahlt. Und sie bekommt ein wohlwollendes, qualifiziertes Zeugnis, über Leistung und Verhalten mit der Gesamtnote „gut“.