Netphen. Tierärzte gibt es ohnehin zu wenig. Vor allem aber für Kühe, Schafe und Co.. Woran das liegt und wie Deborah Zink die Herausforderung stemmt.
Tierärztin Deborah Zink ist auf dem Weg zu ihrem dritten Termin an diesem Nachmittag. „Da müssen wir wohl einen neuen Tag aus machen“, ruft der Landwirt schon von Weitem, als sie mit ihrem Wagen auf den Hof fährt. „Ich muss jetzt selbst zu einem anderen Termin.“ Verabredet war 16 Uhr, inzwischen ist es aber schon 16.40 Uhr. Eigentlich sollten seine Kühe heute eine Blutprobe abgeben. „Das gehört leider zum Tierarzt-Sein dazu“, seufzt Deborah Zink. „Manchmal schafft man es einfach nicht pünktlich von einem Termin zum nächsten.“ Sie behandelt Nutztiere – und das tut nur noch eine Minderheit der Tierärzte.
Seit zehn Jahren arbeitet die 39-jährige Tierärztin angestellt in der Praxis von Dr. Christian Moll in Netphen-Nenkersdorf. Die Arbeitsbereiche haben sie sich aufgeteilt: Er versorgt eher die Kleintierpraxis, sie ist viel mobil unterwegs, versorge vor allem Großtiere. Von den derzeit rund 22.000 praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzten in Deutschland arbeiteten laut dem Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) nur noch etwa 3500 in der Versorgung der landwirtschaftlichen Nutztiere. „Es gibt einen ganz klaren Tierärztemangel“, sagt Dr. Ursula von Einem vom bpt. Praxen und Kliniken suchten zum Teil monate- bis jahrelang nach geeigneten Mitarbeitenden. „Besonders im Nutztierbereich fehlt es an Kolleginnen und Kollegen“, erklärt von Einem weiter. „Das wird auch klar verstärkt durch einen demografischen Faktor: zwei Drittel der Nutztierpraktiker gehen aktuell nach und nach in den Ruhestand. Besonders ländliche Regionen sind mangels attraktiver Infrastruktur betroffen.“
Hohen Belastung
„Ich habe glücklicherweise inzwischen donnerstags frei, also eine Vier-Tage-Woche“, sagt Deborah Zink auf dem Weg zu ihrem ersten Termin am Nachmittag. „Dazu kommt dann noch eine Nachtbereitschaft von Dienstag auf Mittwoch und alle drei Wochen ein ganzes Wochenende. Das sind moderate Zeiten im Gegensatz zu früheren Stellen von mir.“ Die Kühe von Landwirt Dominik Schaefer zwischen Siegen und Netphen sind ihre ersten Patienten nach der Mittagspause. „Schätzchen, wenn du nicht stehen bleibst, muss ich halt zwei Mal pieken“, sagt Deborah Zink. Die Kuh vor ihr wirkt noch nicht überzeugt und schnauft verärgert. Mit der Hilfe von Dominik Schaefer schafft die Tierärztin es dann im zweiten Anlauf dem Vierbeiner Blut abzunehmen.
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Zink ist eine von 3280 Tierärztinnen und Tierärzten im Raum Westfalen-Lippe laut Statistik der Bundestierärztekammer aus dem Jahr 2021. 2067 davon sind Frauen. 2011 waren es noch etwas weniger mit insgesamt 2657 Tierärzten in Westfalen-Lippe, davon 1431 Frauen. Zum Vergleich: Im Jahr 2002 waren es insgesamt 1669 Tierärztinnen und Tierärzte. Zweierlei wird deutlich: Die Tiermedizin ist größtenteils weiblich. Aber auch die Zahl der Tierärzte ist in den vergangenen Jahren eher angestiegen. Trotzdem spreche man von einem Mangel, erklärt Ursula von Einem vom bpt: „Da die Anzahl der gehaltenen Tiere in den letzten Jahren gerade im Kleintierbereich stark angestiegen ist.“
Zu wenig Arbeitskräfte
Zudem: In der Altersklasse unter 35 Jahren seien es 70 bis 80 Prozent weibliche Tierärztinnen. „Das bedeutet deutlich mehr Teilzeitarbeit als früher, da es aktuell in Deutschland immer noch zum größten Teil Frauen zukommt, die Kinderbetreuung zu übernehmen“, so von Einem weiter. „Es braucht also prozentual mehr Personen für die anfallende Arbeit.“ Auch das Arbeitszeitgesetz, das dafür sorge, dass Nacht- und Notdienste nur schlecht besetzt werden könnten und dass insgesamt zu wenig Arbeitskräfte verfügbar seien, sei ein Problem. Aufgrund der hohen psychischen und physischen Belastung des Tierarztberufes sei die Anzahl an mentalen Erkrankungen und damit auch von Suiziden im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen höher. Durch die Belastung wechselten viele Tierärztinnen und Tierärzte ihren Beruf.
„Man muss mit Zähnen, Krallen und Füßen rechnen“
„Junge Tierärzte sind nicht mehr bereit das alles mitzumachen“, sagt auch Deborah Zink. „Den meisten ist natürlich klar, dass der Job anspruchsvoll ist. Häufig wird man getreten, das hat mich auch schon mein Kreuzband gekostet. Als Tierarzt muss man mit Zähnen, Krallen und Füßen rechnen und damit, dass die Patienten einen meistens doof finden.“ Auch für sie sind die Arbeitszeiten nicht immer einfach. „Aus Vernunftgründen“ hat sie daher kein eigenes Haustier und ihren Lebensgefährten, der in Düsseldorf wohnt, sieht sie nicht so oft, wie sie gerne würde. Aber auch die Anspruchshaltung der Kunden seien oftmals eine hohe Belastung. „Das fängt teilweise bei Terminwünschen an, die über unsere Öffnungszeiten hinaus gehen. Wenn ein Besitzer gerne einen Termin für seinen Hund abends um 20 Uhr hätte, weil er selbst vorher arbeiten muss, passt das leider einfach nicht.“
Ihr Beruf sei eigentlich eher ein Handwerk, meint Zink. „Es heißt ja nicht umsonst ‚praktischer Tierarzt‘“, sagt sie, während sie eine der sieben Kühe im Stall von Dominik Schaefer zur Seite schiebt, um an ihre nächste Patientin zu kommen. „Wie heißt es? Zwei Gruppen sind für den Tierarzt problematisch. Junge Rinder, weil sie nicht wissen, was passiert und alte Kühe, weil sie genau wissen, was kommt.“ Nach dem Pieks wird noch gestreichelt, dann muss sich die Tierärztin im nahe gelegenen Bach die Gummistiefel sauber machen, bevor sie wieder losfährt. Dominik Schaefer kriegt von Deborah Zink eine Wurmkur für seine Kühe in die Hand gedrückt, bevor es schnell zum nächsten Termin geht.
Schafe mit Schnupfen
„Im Zentrum muss immer die Frage stehen: ‚Was ist das Beste für meinen Patienten?‘“, sagt Deborah Zink, bei den Schafen mit Atembeschwerden auf einem kleinen Hof bei Siegen angekommen. Ein Schaf schnieft, ein anderes hustet. „Hier müssen wir jetzt erst einmal die Lunge abhorchen und die Temperatur messen.“ Lust hat niemand auf die Untersuchung: Die Schafe hüpfen durcheinander, fügen sich dann aber doch ihrem Schicksal. Hütehund Max beobachtet das ganze Spektakel, bellt zwischendurch entrüstet, weil die Tierärztin seine Schafherde stört. „Die Schafe sind zwar beeinträchtigt, aber nicht behandlungswürdig“, stellt diese fest und steigt aus dem Schafstall. Ihren letzten Außentermin des Tages schafft sie nun nicht mehr pünktlich. Es geht also zurück in die Praxis, denn im Wartezimmer warten schon drei Hunde auf ihre Behandlung. Der Tag von Deborah Zink ist noch lange nicht vorbei.