Hagen/Iserlohn. Ein Ordnungsamtsmitarbeiter der Stadt Iserlohn erhielt eine 250.000-Euro-Abfindung. Jetzt muss er sich vor dem Landgericht Hagen verantworten.

Warum haben Verantwortliche der Stadt Iserlohn einem Außendienstmitarbeiter des Ordnungsamtes eine Abfindung in Höhe von 250.000 Euro brutto bezahlt? Durfte Ü. (41) das Geld überhaupt annehmen?

Vier Jahre nachdem die sogenannte Iserlohner Abfindungsaffäre ihren Ursprung nahm, ist am Mittwoch, 1. März, der Strafprozess vor der 9. Strafkammer des Landgerichts Hagen gestartet. Ü. muss sich wegen Beihilfe zur Untreue verantworten. Zweiter Angeklagter ist der frühere städtische Personalreferent G. (57), der über den Aufhebungsvertrag verhandelt hatte. Ihm wird schwere Untreue vorgeworfen.

Zwei Angeklagte und drei Anwälte

Mit Saal 101 ist einer der größten Verhandlungsräume im Landgericht reserviert. Am ersten Verhandlungstag sind die Besucherplätze eher überschaubar besetzt.

Die „Öffentlichkeit“ blickt links auf die Anklagebank, an der die beiden Angeklagten und drei Rechtsanwälte Platz genommen haben. Auf dem Gerichtsflur haben sich zuvor Ü. und G. mit einem freundlichen Nicken begrüßt, ein Wort fällt an diesem Tag nicht zwischen den Angeklagten.

Sichtlich angespannt

Beide sind sichtlich angespannt. Die lange Zeit bis zum Prozess scheint Spuren hinterlassen zu haben. Nicht nur äußerlich, auch wenn man sieht, dass Ü. im Laufe der Jahre mächtig an Gewicht verloren hat.

Dass es kein einfaches Verfahren wird, zeigt sich bereits kurz nach der Eröffnung des Prozesses. Ü.’s Verteidiger Dr. Holger Rostek (Bielefeld) moniert, dass mit dem Leiter des Rechtsamtes der Stadt Iserlohn ein Mann auf einem der Besucherplätze sitzt, der als potenzieller Zeuge in Frage komme.

Verteidigung erwartet Freispruch

Der Sauerländer Jurist hatte mit Ü. zwischenzeitlich über eine Rückabwicklung des Aufhebungsvertrages verhandelt. Ein Einwand von Rostek wird vom Vorsitzenden Richter jedoch deutlich zurückgewiesen.

Der erfahrene Strafverteidiger Rostek erwartet am Ende des Prozesses einen Freispruch für seinen Mandanten. Er verweist auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts in Hamm, das vor einem Jahr in einem Arbeitsrechtsverfahren festgestellt hatte, dass der zwischen der Stadt Iserlohn und Ü. verabredete Aufhebungsvertrag wirksam sei.

Staatsanwaltschaft: „Motivation bleibt letztlich offen“

Und: Die Höhe sei nicht zu beanstanden, Ü. habe das „ihm vorteilhaft erscheinende Angebot annehmen dürfen“. Rostek: „Das Landesarbeitsgericht vertrat die Auffassung, dass die üblichen Maßstäbe für eine Abfindung in diesem Fall nicht gelten, weil die Stadt Iserlohn ihren Mitarbeiter loswerden wollte.“

Das „Warum?“ dürfte eine der spannendsten Fragen des Prozesses sein. „Die eigentliche Motivation“ des einstigen Bürgermeisters und des früheren Personalreferenten zu der hohen Abfindung, so heißt es in der Anklageschrift, „bleibt letztlich offen“.

Rücktritt des damaligen Bürgermeisters

Im Zuge der Affäre nahm der damalige Bürgermeister A. im Mai 2019 seinen Hut. Er soll vier Monate zuvor den Aufhebungsvertrag mit dem kommunalpolitisch engagierten Ordnungsamtsmitarbeiter in Auftrag gegeben haben, Ende März des Jahres soll aus Haushaltsmitteln eine Netto-Summe in Höhe von etwas mehr als 177.000 Euro auf das Konto von Ü. geflossen sein.

Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Hagen steht die Höhe der Abfindung in einem „völligen Missverhältnis“ zu den üblich gezahlten Summen. Ü. habe dies wissen müssen.

Keine Verständigung nach Rechtsgespräch

Der erste Prozesstag ist nach der Verlesung der Anklageschrift und einem 80-minütigen Rechtsgespräch zwischen Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft recht schnell beendet. „Die Sache eignet sich nicht für eine Verständigung“, beschreibt der Vorsitzende Richter Christian Oesmann anschließend das Ergebnis des Austausches.

Für die Öffentlichkeit und das Protokoll wird der Inhalt in wenigen dürren Sätzen zusammengefasst. Unter anderem habe die Frage der Verhältnismäßigkeit der Höhe der Abfindung eine Rolle gespielt.

Anklageschrift im Dezember 2019 bei Gericht eingereicht

Keine Möglichkeit einer Verständigung zwischen den Prozessbeteiligten also: Ein schnelles Ende der Hauptverhandlung hätte auch nicht zum bisherigen Verfahrensverlauf gepasst. Die Staatsanwaltschaft Hagen hatte bereits im Dezember 2019 die Anklageschrift bei der Kammer eingereicht. Diese hatte zunächst die Prozesseröffnung gegen Ü. abgelehnt. Die Entscheidung hatte die nächste Instanz, das Oberlandesgericht Hamm, verworfen.

Der Fall ging zurück zum Landgericht Hagen, das zwischenzeitlich unter anderem ein Gutachten zur Verhandlungsfähigkeit eines Hauptangeklagten einholen musste. Ergebnis: Eine Erkrankung lässt dauerhaft die Teilnahme des früheren Iserlohner Bürgermeisters am Prozess nicht zu. Die Staatsanwaltschaft hatte das ehemalige Stadtoberhaupt ebenfalls wegen schwerer Untreue angeklagt.

Fünf Verhandlungstage bis zum 29. März

Die strafrechtliche Aufarbeitung der Iserlohner Abfindungsaffäre dürfte am Hagener Landgericht mit Blick auf die zeitlichen Abläufe bereits einen Spitzenplatz einnehmen, vergingen doch zwischen der Anklageerhebung im Dezember 2019 und dem Prozessauftakt Anfang März 2023 mehr als drei Jahre. Der im Januar 2019 unterzeichnete Aufhebungsvertrag mit der hohen Abfindung hat damals hohe Wellen geschlagen und die Stadt im Märkischen Kreis in schwere Turbulenzen gebracht.

Die 9. Strafkammer hat fünf Verhandlungstage bis zum 29. März eingeplant. Am kommenden Mittwoch sollen die Zeugenbefragungen beginnen. Den Auftakt macht der frühere Rechtsbeistand von Ü., der bei den Verhandlungen zum Aufhebungsvertrag dabei war.