Arnsberg. 42 Cent für ein Brötchen – das lohnt noch immer nicht für den Bäcker, aber die Kunden werden weniger. Warum Theo Tuschmann die Notbremse zieht.

Je näher der Tag rückt, umso schwerer wird es für Theo Tuschmann. „Es ist traurig“, sagt der 59-Jährige. Am 31. März schließt er seine Bäckerei und Konditorei in Arnsberg-Bruchhausen für immer. Die Geschichte eines vor mehr als 140 Jahren gegründeten Familienbetriebs endet. „Es hat keinen Sinn mehr“, sagt Theo Tuschmann, „das Geschäft läuft eigentlich gut. Aber man kann nicht arbeiten und kein Geld verdienen.“

Der Konditormeister führt den Betrieb in vierter Generation. Vater, Großvater und Urgroßvater hießen schon Theo und standen mitten in der Nacht in der Backstube. Theo junior und Ehefrau Beatrix, die den Laden vor der Backstube auf dem eigenen Grundstück führt, haben sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Angesichts der gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten aber unumgänglich: „Für notwendige Investitionen hätten wir sonst an unsere Altersvorsorge gemusst.“

Der Traditions-Bäcker muss eingestehen: „Es ist unwirtschaftlich geworden“

Der Chef war immer gerne in seiner Backstube. Dort, wo Brötchen noch mit der Hand gemacht werden. Gerade hat er eine Mailänder Marzipantorte und einen Frankfurter Kranz gezaubert, jetzt steht Theo Tuschmann vor dem Ofen mit dem Aufdruck „Matador“, nur ein Jahr jünger als er. „So lange hält heute kein Ofen mehr“, sagt er. In seinem Handwerk scheint vieles vergänglich geworden zu sein. Wie soll ein kleiner Familienbetrieb die ausufernden Kosten stemmen, wenn man viele verschiedene Brot-, Brötchen, Torten- und Kuchensorten in überschaubarer Menge mit (zu) vielen Mitarbeitern produziert? „Handwerk in unserer Größenordnung passt nicht mehr in die Zeit“, sagt Theo Tuschmann, „es ist unwirtschaftlich geworden.“

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Gerade die Konditorei ist kosten- und zeitintensiv: „Früher haben wir für Kommunionfeiern am Weißensonntag 130 Torten hergestellt“, schildert der Chef, „heute lässt man sie von Verwandten, Freunden oder Nachbarn machen. Nur die komplizierten kauft man noch bei uns.“

Traditionelle Handwerkskunst: Theo Tuschmanns Mailänder Marzipantorte.
Traditionelle Handwerkskunst: Theo Tuschmanns Mailänder Marzipantorte. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

Deutschland ist das Land des Brotes. Das Register des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks führt 3000 Sorten. Theo Tuschmann war sich stets darüber bewusst, dass er mit ehrlicher Arbeit seinen Beitrag für die Grundversorgung der Bevölkerung leistet. „Die Probleme der Traditionsbäcker begannen mit den Aufbackstationen in Supermärkten und Discountern“, sagt er. Brot und Brötchen wurden zum Billigprodukt, entstanden aus in Niedriglohnländern hergestellte Tiefkühl-Teiglinge.

Bei 42 Cent für das Brötchen ging die Kundenzahl zurück

Als die Tuschmanns im vergangenen Sommer wegen gestiegener Kosten den Preis für das normale Weizenbrötchen auf 42 Cent erhöhen mussten, ging die Kundenzahl zurück. „Eigentlich hätten wir mehr Geld verlangen müssen“, sagt Theo Tuschmann und erzählt, dass es in den letzten Jahren wegen der Kosten- und Konkurrenzsituation immer schwieriger geworden sei. Sieben Tage in der Woche wurde produziert, selbst Betriebsferien waren nicht mehr drin. Tuschmanns Tochter hat früh signalisiert, dass sie als Nachfolgerin nicht zur Verfügung steht. „Sie hat gesagt, dass sie nicht so ein Leben wie meine Frau und ich ohne freie Wochenenden führen wolle“, sagt Tuschmann, „das fand ich in Ordnung.“

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1960 gab es 55.000 Bäckereien in Deutschland, heute nur noch knapp 10.000. Und es werden fast wöchentlich weniger, insbesondere die kleinen Betriebe trifft es. „Es geht viel Handwerkstradition verloren“, sagt Theo Tuschmann. Für seinen Käsekuchen hat er die Cremefüllung im Kupferkessel gekocht. „Dass ist in Großbäckereien nicht möglich. Sie fahren dann eher ihr Angebot zurück.“

Zumal der Personalmangel noch dramatischer werde: „Die Bereitschaft zur Wochenendarbeit wird immer geringer“, sagt Tuschmann. Er erlebt zunehmend Stellenbewerber, die nicht zum vereinbarten Termin kommen. „Ohne sich abzumelden. Das gab es früher nicht.“

Selbst beim Ausverkauf erwartet er keine großen Erlöse: „Der Markt ist tot“

Das Lob der vielen Stammkunden hat die Tuschmanns in all den Jahren so manchen Ärger – zum Beispiel über „die ausufernde Bürokratie“ – vergessen lassen. Sie würden sich am liebsten bei jedem einzeln für das entgegengebrachte Vertrauen bedanken. Und natürlich bei ihren Mitarbeitern. Zuletzt waren es noch zwei Aushilfen im Verkauf, eine Konditorin, ein Bäcker und eine Aushilfe in der Backstube. „Ihnen zu kündigen, war schlimm.“

Ab dem 5. April wird die Bäckerei Jürgens aus Arnsberg-Holzen ihre Backwaren im Laden der Tuschmanns anbieten. Die Backstube wird komplett ausgeräumt, die Einrichtung verkauft. Theo Tuschmann erwartet keine großen Erlöse: „Der Markt ist tot.“

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Für den 59-Jährigen geht ein Lebensabschnitt zu Ende. Man sieht ihm an, dass ihm der Schritt nicht leicht fällt. Karfreitag wird er zum ersten Mal seit vielen Jahren nicht arbeiten müssen: „Man muss positiv denken und die Vorteile sehen: ein bisschen Zeit zu haben.“ Vielleicht schaffe er es, seine Cousine in der Bundeshauptstadt zu besuchen. „Ich war noch nie in Berlin“, sagt er, „es hat nie geklappt.“