Werne. Tierquälerei bei einem Metzger? Der Chef und zwei Mitarbeiter sind angeklagt. Eine Expertin sagt, warum Verstöße eher milde bestraft werden.

Die Totenstarre bei dem abgemagerten Rind hatte der Staatsanwaltschaft Dortmund zufolge schon eingesetzt. Und doch soll es auf das Gelände einer Metzgerei in Werne an der Lippe (Kreis Unna) gebracht und dort geschlachtet worden sein. Das tote Tier soll dann noch zu Wurst und Fleisch verarbeitet und im Laden an Kunden zum Verzehr verkauft worden sein.

Es ist eines von zahlreichen unappetitlichen Details in der 20-seitigen Anklageschrift zu dem mutmaßlichen Tierquäler-Skandal in Westfalen. Der Chef der Metzgerei und Schlachterei – laut Anklage soll er Misshandlungen und mangelnde Versorgung mit Futter und Wasser „gebilligt haben“ – sowie zwei Mitarbeiter sind wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz angeklagt.

Auch der Firmeninhaber muss sich verantworten

Beobachter zeigten sich überrascht, dass sich auch der Inhaber verantworten muss. Firmenspitzen treffe es eher selten. Tierschützer befürchten dennoch, dass das Trio angesichts einer in ihren Augen allgemein sehr milden Rechtsprechung bei Tierschutzdelikten mit einem blauen Auge davon kommt.

Der Metzger hat sich der Staatsanwaltschaft zufolge – im Gegensatz zu seinen beiden Mitarbeitern – im Rahmen der Ermittlungen nicht zu den Vorwürfen geäußert. Warum ist die Anklageschrift an ein Amts- (Lünen) und nicht an ein Landgericht (Dortmund) gegangen? Staatsanwalt Henner Kruse verweist auf gesetzliche Vorgaben: „Bei einer Straferwartung unter vier Jahren sind in der Regel Amtsgerichte zuständig.“

Am 13. August 2021 hatte das Veterinäramt des Kreises Unna die beiden Filialen der Metzgerei und die Schlachterei schließen lassen. Wochen vorher waren Videoaufnahmen bekannt geworden, die die Tierschutzorganisation „Soko Tierschutz“ gemacht hatte. Als besonders brutal entpuppte sich die Szene in der Tiersammelstelle, bei der ein Firmenmitarbeiter einem offenbar kranken Rind so lange mit einem Knüppel gegen den Kopf schlug, bis es zusammenbrach.

Strafen auf Bewährung und Geldbußen

Offenbar kein Einzelfall in der Branche: Im August 2022 wurden drei Ex-Mitarbeiter eines Schlachtbetriebs vom Amtsgericht Bad Iburg (Niedersachsen) zu Bewährungsstrafen und Geldbußen verurteilt, weil sie kranke Rinder misshandelt und illegal geschlachtet haben sollen. Auch an diesem Ort war die Soko Tierschutz tätig.

Vorstand Friedrich Mülln kritisierte das Urteil: „Die Justiz lässt die Aufklärung versanden, Täter kommen selbst mit monströsen Taten davon.“ Ähnliches befürchtet er jetzt auch in Werne.

Oft werden Tierschutzverstöße nicht bekannt

Johanna Hahn, Doktorandin an der Juristenfakultät der Universität Leipzig, hat 2022 zusammen mit Lehrstuhlinhaberin Prof. Elisa Hoven die Studie „Strafrechtliche Verfolgung von Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft“ veröffentlicht. „Verstöße gegen das Tierschutzrecht bei Haltung, Transport und Schlachtung von Nutztieren“, sagt sie, „werden unzureichend verfolgt und bestraft.“

Die Gründe seien vielschichtig: „Die Staatsanwaltschaften erfahren oft nichts von den Verstößen. Die Quälereien passieren hinter verschlossenen Türen und die Opfer können nicht sprechen.“ In den allermeisten Fällen seien es die Mitarbeiter oder Betriebsinhaber, die Quälereien begingen – „wer also soll Anzeige erstatten?“

Ermittlungen häufig nach Hinweisen von Tierschutzorganisationen

Wenn es doch zu einer Anzeige komme, „meist weil eine Tierschutzorganisation heimlich die Taten gefilmt hat“, liefen Ermittlungen oft schleppend. Tierschutzstrafrecht sei eine Spezialmaterie, die wenigsten Staatsanwälte kennten sich gut aus. Und: „Die betroffenen Tiere sind zur Zeit der Ermittlungen schon geschlachtet und können nicht mehr begutachtet werden.“

Dass gewerbliche Tierquäler oft straffrei bleiben oder sehr milde verurteilt werden, hängt nach Auffassung von Johanna Hahn auch damit zusammen, „dass wir in Deutschland Tierhaltung nicht mehr weiter so betreiben könnten, wenn das Gesetz konsequent angewendet und alle Taten abgeurteilt würden“. Viele übliche Haltungsformen wie das Dasein von Sauen in zu kleinen Kastenständen oder die ganzjährige Anbindehaltung von Rindern seien eigentlich strafbar, „denn sie fügen den Tieren länger anhaltende erhebliche Leiden zu“.

700 Millionen Tier werden pro Jahr in Deutschland geschlachtet

Wird ein Skandal bekannt, wird stets die Rolle der Veterinärämter hinterfragt. In Deutschland würden jährlich mehr als 700 Millionen Tiere geschlachtet, sagt Johanna Hahn, „bei dieser Anzahl ist es gar nicht möglich, dass die Behörden auch nur annähernd alle Betriebe im Blick haben. Selbst mit besserer Personalausstattung.“

Aber: Auch wenn amtliche Tierärzte Misshandlungen sähen, schritten sie oft nicht ein. Die Doktorandin fordert konsequentes Einschreiten, „zur Not mit Unterstützung der Polizei, das sind typischerweise keine einmaligen Vorkommnisse“.

Eineinhalb Jahre ermittelt

Im Werner Tierquäler-Skandal hat die Staatsanwaltschaft Dortmund eineinhalb Jahre ermittelt. Tierschützer wie Friedrich Mülln sehen schleppende Ermittlungen an der Tagesordnung, weil viele Strafverfolger an Kavaliersdelikte dächten.

Staatsanwalt Kruse verweist auf die aufwendigen Auswertungen des umfangreichen Videomaterials. Und auf die Ermittlungen in einem anderen Fall: Im April 2022 wurde Anklage gegen Verantwortliche eines Schlachtbetriebs in Selm erhoben. Dort sollen Tiere illegal geschächtet worden sein.

Gegen Veterinäramtsmitarbeiter wird kaum vorgegangen

Zur Strafverfolgung sagt Johanna Hahn: „Es gibt einzelne engagierte Staatsanwälte, aber insgesamt entstand für uns doch der Eindruck, dass bei Tierquälerei oft nicht konsequent ermittelt wird. Einige Vorschriften des Tierschutzstrafrechts werden gar nicht geprüft, die Staatsanwaltschaften gehen selten selbst in die Betriebe, stellen Verfahren oft vorschnell ein.“

Und was ist mit den Veterinärämtern, denen bei Missständen Versagen vorgeworfen wird? „Gegen Behördenmitarbeiter“, so Johanna Hahn, gehen die Staatsanwaltschaften unserer Erfahrung nach kaum vor. In den etwa 150 Verfahren, die wir untersucht haben, wurde in keinem einzigen Fall gegen Mitarbeiter des Veterinäramts überhaupt ermittelt.“