Werne. Ermittlungen nach mutmaßlichen Tierquälereien im Kreis Unna: Tierschützer kritisieren Nähe von Kontrolleuren zu Metzgerei und Schlachterei.
Immer wieder holt der Mann mit seinem rechten Arm aus und drischt mit der langen Rute in der Hand auf den Kopf der auf dem Boden liegenden Kuh ein. Ein anderes Mal sind es zwei Männer, die brutal gegen Kopf und Bauch eines wehrlosen Bullen treten.
Die Grausamkeiten finden sich nach Angaben des Tierschutzvereins „Soko Tierschutz“ in Videoaufnahmen, die in einer Tiersammelstelle in der westfälischen Kleinstadt Werne entstanden sein sollen. Auf Bildern soll auch zu sehen sein, wie Kinder mutmaßliche Tierquälereien verfolgen.
Zwei Metzgerei-Filialen und Schlachtbetrieb vom Kreis geschlossen
Die Tiersammelstelle gehört zu einer Traditionsmetzgerei. Sie wurde wie zwei Filialen und ein Schlachtbetrieb der GmbH inzwischen vom Kreis Unna geschlossen, die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelt wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz.
Damit nicht genug: Die Soko Tierschutz hat einen unappetitlichen Verdacht: Wurden in dem Betrieb kranke, abgemagerte und nicht transportfähige Tiere geschlachtet – was verboten ist – und daraus Lebensmittel für den menschlichen Verzehr hergestellt?
Stellungnahme auf der Internet-Seite
Der Besitzer der Schlachterei und Metzgerei ließ eine Anfrage dieser Zeitung unbeantwortet. Auf der Internetseite der GmbH ploppt nach wie vor eine „Stellungnahme zu den Tierschutz-Aufnahmen“ auf.
Darin heißt es: „In den knapp 100 Jahren seit Bestehen des Familienunternehmens gab es bei uns keine Verstöße gegen den Tierschutz.“
Friedrich Mülln vom Tierschutzverein Soko Tierschutz: „Der Fall in Werne reiht sich in eine Kette von Fällen ein“, sagt er und spricht von einer „unglaublichen Dreistigkeit in der Branche: Auch wenn Schlachtbetriebe auffliegen und Verantwortliche vor Gericht stehen, geht es munter weiter.“
Tierschützer unterstellt „lukratives Geschäft“
Mülln geht so weit, dass er ein „lukratives Geschäft“ unterstellt: „Der Landwirt, der eine (tot-)kranke Milchkuh gegen Bezahlung in eine Tierkörperbeseitigungsanlage geben müsste, wird das Tier in dem Schlachtbetrieb umsonst los oder erhält sogar noch 50 Euro.“
Insider sprächen davon, „dass Leichen laufen lernen: In der dem Schlachtbetrieb angeschlossenen Metzgerei wird das tote Tier dann zu Fleisch und Wurst verarbeitet und zum menschlichen Verzehr oder als Hundefutter verkauft.“ Pro Tier seien so Gewinne von mehreren 1000 Euro möglich.
Sollte sich der Verdacht bei den staatsanwaltlichen Ermittlungen bestätigen, ist für Tierschützer Mülln erwiesen, dass die „Profitgier zu einer Verrohung der Sitten geführt“ hat. Aus seiner Sicht hat die „Milchindustrie die kranken Tiere produziert, weil sie diese mit den herrschenden Haltungsbedingungen systematisch kaputt macht. Und sich dann der Tiere entledigt.“
Die jetzt geschlossene Tiersammelstelle, eine Art Verteilstation, hatte seit 20 Jahren nur eine Zulassung für Pferde, bestätigt der Kreis Unna. „Aber dort wimmelte es“, sagt Mülln und verweist auf die Videoaufnahmen, vor Kühen, aber auch Ziegen, Schafen und Kaninchen – „unüberhörbar, unübersehbar, unüberriechbar. Hier muss von Behördenvertretern systematisch weggeschaut worden sein.“
Kreis sieht keine Versäumnisse
Wie erklärt sich der Kreis Unna, dass nach Angaben der Tierschützer in der Tiersammelstelle auch andere Tiere als Pferde zum Weitertransport untergebracht waren? Sprecher Volker Meier: „Das ist illegal außerhalb der angemeldeten Kontrollen geschehen.“
Versäumnisse in seiner Behörde sieht er nicht: „Die zuständige Abteilung der Kreisverwaltung ist von der übergeordneten Landesbehörde in dieser Sache geprüft worden. Wesentliche Versäumnisse in Bezug auf die vorgeschriebenen Kontrollen wurden nicht festgestellt.“
Es habe in den letzten fünf Jahren drei Betriebskontrollen gegeben („davon zwei unangekündigt“) und in der Regel monatlich durchgeführte Abfertigungskontrollen („zur Abwicklung anstehender Tiertransporte“), so Meier weiter. Ergebnis: „keine Anhaltspunkte“ für Verstöße. Vor jedem angemeldeten Transport habe es Kontrollen zur Tierbeschau gegeben: elf 2020, neun 2021.
Tierschutzverein sieht Fehler im System
Die Tierschützer von der Soko Tierschutz bringen noch einen weiteren Punkt ins Spiel: Bei jeder Schlachtung müsse ein Veterinär dabei sein, sagt Mülln: „Das lässt nur folgenden Schluss zu: Entweder ist der Veterinär nicht gekommen und hat trotzdem abgerechnet – oder er hat weggeschaut und die Vorgänge bewusst nicht gestoppt.“
„Keine Zweifel an Integrität der Tierärztin“
Es gebe einen Fehler im System: „Ein ansässiger Tierarzt konnte offiziell für die Firma tätig sein und dort im nächsten Moment als Amtsperson den ordnungsgemäßen Betrieb kontrollieren.“ Würde dieser den Betrieb wegen Tierschutz-Verstößen stilllegen, fielen für ihn gleich zwei Einnahmemöglichkeiten weg.
Die Ärztin, die den Betrieb kontrollierte, ließ unsere Anfrage unbeantwortet. Kreissprecher Meier sagt, „dass an der Integrität der Tierärztin bislang keine Zweifel bestehen“.
Dem Veterinäramt sei bekannt gewesen, dass sie „auch Überwachungsaufgaben im Rahmen der behördlich angeordneten Eigenkontrollen im Futtermittelbetrieb in Werne übernommen hatte“. Grundsätzlich: „In welchen Geschäftsbeziehungen die vom Kreis Unna beauftragten Veterinäre neben diesen Beauftragungen stehen, liegt nicht im Ermessen des Kreises.“
Soko Tierschutz: Weitere „Baustellen“ im Bundesgebiet
Laut Meier ist der Einsatz von amtlich beauftragten Tierärzten in der Schlachttier- und Fleischuntersuchung seit vielen Jahren gängige Verwaltungspraxis. Sie habe sich insbesondere in Klein- und Kleinstbetrieben bewährt und sichere diesen „unter anderem durch die größere zeitliche Flexibilität der amtlich beauftragten Tierärzte die wirtschaftliche Existenz“.
Werne ist derzeit nicht die einzige „Baustelle“ der Soko Tierschutz. „Wir haben Hinweise auf zwölf weitere Betriebe im Bundesgebiet, die illegal mit kranken Tieren handeln“, sagt Friedrich Mülln, der eine neue Systematik erkennt. „Weil der Kontrolldruck auf große Schlachthöfe gestiegen ist, dienen nach unseren Recherchen mittlerweile kleine Metzgereien und Schlachtbetriebe – der vorgebliche Metzger des Vertrauens – als Schlupfloch für den illegalen Handel mit kranken Tieren.“
Aufwendige Ermittlungen
Die Aufnahmen mit den mutmaßlichen Tierschutzverstößen liegen jetzt bei den Behörden. „Die Ermittlungen sind angesichts der Fülle an Videomaterial sehr aufwendig“, so Henner Kruse von der Staatsanwaltschaft Dortmund. Man ermittele „derzeit“ gegen den Firmenbesitzer, Mitarbeiter sowie Verantwortliche von zwei Zuliefererbetrieben.
Auch beim Fleischerverband NRW wird man die Ergebnisse aufmerksam verfolgen: „Wir verurteilen Verstöße gegen das Tierschutzgesetz aufs Schärfste“, so Landesinnungsmeister Adalbert Wolf. Nach Werne hat der Verband seinen Mitgliedern „Betriebschecks vom Stall bis zur Ladentheke“ ans Herz gelegt: „Wir dürfen uns unseren guten Ruf nicht durch schwarze Schafe kaputtmachen lassen.“