Werne. Vor einem Jahr wurde der Tierquäler-Skandal in Werne bekannt. Gibt es noch einen illegalen Handel mit kranken Tieren? Was ein Tierschützer sagt.
Seit einem Jahr gehen ihm die Bilder nicht aus dem Kopf, die seine Kamera in der Tiersammelstelle einer Traditionsmetzgerei und Schlachterei in Werne (Kreis Unna) festgehalten hatte. In der Verteilstation schlägt ein Mitarbeiter immer wieder einem Rind mit einem Knüppel gegen den Kopf. So lange, bis das abgemagerte Tier bewusstlos zusammenbricht.
„Es war das Brutalste und Sadistischste von Seiten einer Person, was ich bislang erlebt habe“, sagt Friedrich Mülln. Vor einem Jahr hat der Vorstand des Vereins „Soko Tierschutz“ mit seinem Team die mutmaßlichen Misshandlungen in der Kleinstadt aufgedeckt, die als Tierquäler-Skandal bundesweit für Schlagzeilen sorgten.
Seit einem Jahr besteht auch der Verdacht, dass mit kranken Tieren nicht nur illegal gehandelt wurde, sondern diese zu Wurst und Fleisch verarbeitet wurden. Seit einem Jahr ermittelt die Staatsanwaltschaft Dortmund gegen den Inhaber der Metzgerei sowie sechs weitere Personen, darunter Mitarbeiter des Betriebes. „Wir sind in der Endphase“, sagt Staatsanwalt Henner Kruse. Warum die lange Dauer? „Es mussten Unmengen an Videomaterial gesichtet und beurteilt werden.“
Darauf angesprochen, hört sich Müllns Lachen gequält an. „Wir haben für die Auswertung des Videomaterials drei Wochen gebraucht“, sagt er, „Tierschutzverstöße scheinen in der Justiz keine Priorität zu haben.“
Ebenso ratlos lassen ihn Versäumnisse in Behörden zurück. Vier Aktivisten seien sie bei der Soko Tierschutz, sagt Mülln. „Es kann doch nicht sein, dass wir mehr Verstöße aufdecken als ein großer Behördenapparat. Die Landkreise behaupten zwar immer nach Skandalen, dass man personell aufgerüstet habe. Aber ich erkenne keine grundlegende Veränderung.“
Metzgerei dicht gemacht
Nachdem die Soko Tierschutz die Videoaufnahmen aus Werne öffentlich gemacht hatte, hatte das Veterinäramt des Kreises Unna am 13. August 2021 die beiden Filialen der Metzgerei sowie die Schlachterei am Hauptsitz per Ordnungsverfügung schließen lassen. Zudem wurde gegen den Chef sowie Mitarbeiter ein Umgangsverbot mit Tieren verhängt.
Der Kreis musste eingestehen, dass die Tiersammelstelle in Werne seit 20 Jahren nur eine Zulassung für Pferde hatte. Den Tierschützern zufolge wimmelte es dort von Kühen, Ziegen und Schafen.
Unsere Zeitung wollte von der Kreisverwaltung wissen, wie dies sein konnte. Und: ob Konsequenzen aus dem Fall in Werne gezogen wurden; ob Schlachtbetriebe und Metzgereien jetzt anders, häufiger, womöglich intensiver kontrolliert werden; ob man Versäumnisse sehe; ob eine Tierärztin in einer Geschäftsbeziehung zu der Metzgerei stand und gleichzeitig als Amtsperson den Betrieb kontrolliert hat; und was man zu dem Vorwurf von Tierschützern sagt, dass von Behördenseite systematisch weggeschaut worden sein muss.
Die Antwort des Kreises ist sehr knapp gehalten. Zu den Konsequenzen schreibt Sprecher Volker Meier: „Der Kreis Unna hat mit organisatorischen Veränderungen im fraglichen Bereich auf veränderte gesetzliche Rahmenbedingungen reagiert und stockt in diesem Zusammenhang auch das zuständige Personal auf.“ Wegen der laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen könne man die weiteren Fragen nicht beantworten.
Tierschützer Mülln ist konkreter. Er sieht im Fall Werne „ein systematisches Versagen der Aufsichtsbehörden. Das Veterinäramt des Kreises Unna war ein Totalausfall bis an die Grenze zur Befangenheit.“
Grundsätzlich gelte: Der illegale Handel mit kranken Tieren werde weitergehen, „solange der Behördensumpf nicht trockengelegt wird“. Man müsse davon ausgehen, dass im Bundesgebiet täglich kranke Tiere illegal zu Wurst und Fleisch verarbeitet werden: „Das Geschäftsmodell lebt auch davon, dass örtliche Tierärzte, die in einer Geschäftsbeziehung zu den kriminellen Schlachtern, Händlern oder Metzgern stehen, von den Kreisen als amtliche Kontrolleure eingesetzt werden.“
Die Veterinäre wüssten: Machen sie einen Betrieb dicht, fällt ihnen eine bisweilen existenzielle Einnahmequelle weg. Mülln: „Also schauen sie weg oder machen mit. Es muss klar sein: Man kann wirtschaftlich abhängigen Menschen keine hoheitlichen Aufgaben übertragen. Es bedarf Kontrolleure mit einem gewissen Status, um sich in der mafiösen Branche durchzusetzen.“
Was der Metzger aus Werne jetzt macht, weiß Tierschützer Mülln nicht. Es gebe viele Gerüchte. „Dass er mit Hilfe von Strohmännern wieder mit Tieren handelt, kann ich nicht bestätigen.“ Der Anwalt des Metzgers reagierte auf eine Anfrage dieser Zeitung nicht.
Grundsätzlich habe die Vergangenheit gezeigt, so Mülln weiter, dass selbst Verurteilte in der Branche wieder aktiv geworden seien. „Es sind in der Regel sehr umtriebige Menschen, die sich durch eine Verurteilung nicht abschrecken lassen.“ Am illegalen Handel mit kranken Tieren seien häufig „dreiste Typen ohne Reue und Fehlerbewusstsein beteiligt“.
Metzger klagt vor Gericht
Der Metzger aus Werne klagt vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gegen die Ordnungsverfügungen des Kreises Unna, nach denen ihm jeglicher Umgang mit Tieren (Handel, Schlachten, zu Fleisch verarbeiten und Verkaufen) untersagt ist. Am Firmensitz sieht es noch wie vor einem Jahr aus. Am Laden ein Schild, obere Zeile: „Gesch“, darunter: „lossen“. In diesem Fall nur ein Verstoß gegen Trennregeln.
Hintergrund:
Vorwurf: Tiere illegal geschlachtet
Drei ehemalige Mitarbeiter eines Schlachthofs sind am Montag vom Amtsgericht in Bad Iburg (Niedersachsen) wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz zu Bewährungsstrafen und Geldbußen verurteilt worden. Sie sollen kranke Rinder misshandelt haben. Anschließend sollen die Tiere illegal geschlachtet worden sein. Die Soko Tierschutz hatte die Vorgänge aufgedeckt. Sie kritisiert auch dieses aus ihrer Sicht zu milde Urteil: „Die Politik schweigt, die Justiz lässt die Aufklärung versanden, die Veterinärämter schauen weiter weg, und Täter kommen selbst mit monströsen Taten davon.“