Hagen. Angriffe und Randale: Sechs Rettungskräfte erzählen, wie sehr sie die Bilder aus der Silvesternacht erschüttern: „Es reißt einem das Herz raus.“
Die Gewaltexzesse in deutschen Städten in der Silvesternacht sorgen bundesweit für Entsetzen. Rettungssanitäter, Polizisten und Feuerwehrleute fürchteten bei Angriffen mit Raketen und Böllern um ihr Leben. Was macht das mit jenen, die beruflich oder ehrenamtlich Dienst schieben, um anderen zu helfen? Wir fragten in der Region nach.
Die Feuerwehrleute
Die Fernsehbilder aus der Silvesternacht in Berlin haben sich in Christian Hengstebecks Kopf geradezu eingebrannt. „Da wurden Kameraden in einen Hinterhalt gelockt und dann gezielt mit Böllern attackiert“, sagt der Olper Feuerwehrmann hörbar fassungslos. Ein Angriff auf Leib und Leben: „Es reißt einem das Herz raus.“
Zum Glück, sagt der Brandbekämpfer, sei in Südwestfalen Gewalt gegen Einsatzkräfte noch eher die Ausnahme. Aber: Vor seiner Olper Station sei er 13 Jahre in Dortmund als Feuerwehrmann tätig gewesen, erzählt Hengstebeck. „Damals wurde auch schon einmal mit Böllern auf Menschen geschossen. Aber das waren Einzelfälle. Heute sind in Großstädten verbale Entgleisungen bis hin zu körperlichen Angriffen fast schon an der Tagesordnung.“
Hengstebeck spricht von einer Verrohung der Gesellschaft. Er hält nichts von Pauschalisierungen, fragt sich dennoch: „Was muss das für eine Verachtung, für ein Hass auf den Staat und auf die Gesellschaft sein, wenn Ehrenamtliche, die anderen helfen wollen, also Dienstleistung an Mitmenschen betreiben, aggressiv angegriffen werden?“ Ähnliches gelte für die Plünderungen von Einsatzfahrzeuge. „Darin befindet sich unser Handwerkszeug. Was machen die bloß?“
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Und das in einer Zeit, in der es immer schwieriger wird, junge Menschen für ein Ehrenamt zu begeistern. „Wer solche Bilder sieht“, sagt Hengstebeck, „wird sich schon überlegen, ob er sich so etwas antut.“ Man dürfe nicht vergessen, dass das System der Feuerwehren im deutschsprachigen Raum nur mit dem Engagement auch freiwilliger Kräfte funktioniere. „Wenn die Ehrenamtler nicht mehr wollen, wird es teuer für die Kommunen.“
Die Bilder, die an Silvester in Hagen und anderen Städten in Deutschland entstanden sind, ärgern Klaus Langenberg, Stadtbrandinspektor bei der Freiwilligen Feuerwehr in Bad Berleburg: „Ehrenamtliche und hauptamtliche Helfer anzugreifen ist absolut unterirdisch.“ Alkohol und Böller, sagt er, seien eben eine gefährliche Mischung, die sich in der Silvesternacht geballt entlädt. Vor Ort in Bad Berleburg habe die Feuerwehr in der Nacht zum neuen Jahr allerdings keine Einsätze gehabt.
Es sind vor allem Ballungszentren, so Langenberg, in denen sich Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst beim Einsatz Aggressionen und Gewalt ausgesetzt sehen. Und die gingen von bestimmten Personen aus: „Das ist eine Klientel, die sich generell abgehängt fühlt und an Silvester dann mal Dampf ablassen will.“
Dashcams für den Schutz der Einsatzkräfte als Lösung sieht der Stadtbrandinspektor skeptisch wie auch ein allgemeines Verbot von Böllern: „Verbote bringen nur dann was, wenn das Ganze auch umsetzbar ist.“ In Wittgenstein, betont Langenberg, sehe das anders aus. „Hier in der Region haben wir das Problem nicht, hier bekommen wir noch den nötigen Respekt.“
Der Katastrophenschützer
Das Maß ist voll. „Wir fühlen uns zwar nicht von der Politik zu wenig beachtet oder zu wenig anerkannt“, sagt Andre-Marcelle Hubert vom Ortsverband Wetter des Technischen Hilfswerks (THW). Aber: „Nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht brauchen wir jetzt ein deutliches Signal: ,Wir stehen hinter Euch‘.“
Die Bilder von teils brutalen Angriffen auf Mitarbeitende von Rettungsdienst, Feuerwehr und Polizei haben Hubert nachdenklich gemacht. „Ich habe kein Verständnis dafür. Es gibt keinen Grund, der solche Attacken rechtfertigen könnte.“ In den vergangenen Jahren, so hat der THW-Mann festgestellt, sei die Grundstimmung in der Bevölkerung aggressiver geworden. Beispiele an Einsatzstellen? Wildes Hupen vor abgestellten THW-Fahrzeugen, das Missachten von Absperrungen, wüste Beschimpfungen und Beleidigungen. „Das erschreckt uns“, sagt Hubert, „das kannten wir so nicht.“
Der Rettungssanitäter
Marvin Michi ist Rettungssanitäter beim Regionalverband Ruhr-Lippe der Johanniter. Einsatzort: Hagen. Auch in der Silvesternacht saß er in einem der Rettungsfahrzeuge und musste miterleben, wie ein Böller aus einem oberen Stockwerk eines Hauses auf die Motorhaube geworfen wurde. „Ich denke, es war Absicht. Das macht mich wütend. Wir kommen auch an Tagen zum Dienst, an denen andere feiern – weil wir Menschen in Not helfen wollen. Und dann schlägt uns so etwas entgegen.“
Einmal, so erzählt Michi, habe er erleben müssen, wie bei einem Einsatz ein Angreifer auf seine Kollegen und ihn mit dem Messer zugekommen sei. Es ist letztlich nichts passiert. Dennoch: „Man steckt das nicht einfach so weg.“
Michi ist den Johannitern nicht nur beruflich, sondern auch ehrenamtlich verbunden. „Allen Organisationen im Land fehlen Ehrenamtliche“, sagt er. Die Rekrutierung neuer Helfer werde nicht dadurch einfacher, dass sich potenzielle Kandidaten nach einer Silvesternacht fragen müssten, warum sie ihre Freizeit opfern sollten, um sich später bespucken, beleidigen oder bedrängen zu lassen.“
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Marcus Sting ist beim Kreisverband Siegen-Wittgenstein des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) beschäftigt, der auch zu Rettungseinsätzen ausfährt. In seiner Heimat sei man noch in der „glücklichen Lage“, dass es meist „nur“ verbale Angriffe auf Einsatzkräfte gebe. „Die Situation ist nicht wie in der Großstadt. Aber wenn das so weiter geht, wird es bald nicht mehr ohne stichfeste Westen, Nahkampfausbildung und Polizeischutz gehen.“
Man hört das Kopfschütteln durch den Telefonhörer, als Marcus Sting von Silvester erzählt. „Solche Bilder wollen wir nie wieder sehen“, sagt er, „Helfer, die nur ihren Job machen wollen und am Jahreswechsel nicht bei ihren Familien sein können, werden brutal angegriffen. Das kann doch nicht sein.“
Für den DRK-Mann kann es nur eine Antwort geben: „Die Täter müssen mit aller Härte bestraft werden. Sie müssen wissen, dass Angriffe auf Helfer oder Diebstähle von lebensrettenden Geräten aus Fahrzeugen keine Bagatellen sind.“
Was machen Gewaltaktionen mit einem Einsatzteam? „Es hört sich paradox an“, sagt Marvin Michi, der Hagener Rettungssanitäter, „es schweißt noch mehr zusammen, man achtet noch mehr aufeinander, wenn man beispielsweise eine Wohnung betritt.“ Aber: „Ich bleibe dabei: Körperliche Angriffe sind überflüssig wie ein Kropf.“