Neheim. In Neheim steht seit einigen Wochen der erste Bitcoin-Automat Südwestfalens. Wie es dazu kam, was das überhaupt soll und was Kunden sagen.

Die Wände des schmalen Lädchens sind holzvertäfelt, am Eingang steht eine blecherne Milchkanne, in einem Regal, das schon bei Großmutter gestanden haben könnte, liegt „Omis Spritzgebäck“. Willkommen im „Hofladen Sauerland“in der Neheimer Innenstadt, der bestens auf die trendige Bio-Heimeligkeit getrimmt ist. Hier gibt’s Gutes direkt vom Hof: tagesfrisches Obst und Gemüse, Gulaschsuppe aus eigener Fertigung, Kaffee und Apfel-Ingwersaft. Und Bio-Mehl. Und Bitcoins.

Was? Bitcoins? Die Kryptowährung? Echt jetzt?

Bitcoin-Automat wirkt wie ein Alien im Hofladen

Ja, kein Witz. Ganz hinten rechts in der Ecke des Ladenlokals steht ein kleiner orangefarbener Automat, etwa einsfünfzig hoch, schmal, stumm. „Mir ist der Kontrast durchaus bewusst“, sagt Christian Schulte (40), Geschäftsführer der Ladenkette mit Filialen in Arnsberg, Winterberg, Meschede und eben Neheim. „Das Gerät wirkt ja fast ein bisschen wie ein Alien hier.“ Und die Frage, die sich aufdrängt, ist: Warum steht es da? Was soll das?

4000 verschiedene Kryptowährungen gibt es, Bitcoin ist die wohl bekannteste. Ein Bitcoin ist in dieser Sekunde 17322,32 Euro wert, wie das Display des orangefarbenen Aliens wissen lässt. Er wartet darauf, mit Euroscheinen gefüttert zu werden und den Gegenwert in Bitcoins, Litecoins oder Ethereum demjenigen gutzuschreiben, der da am Automaten steht. Voraussetzung dafür: eine digitale Geldbörse, die man zuvor angelegt haben muss.

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Christian Schulte beschäftigt sich seit 2016 mit Kryptowährungen. „Ich möchte mit der Zeit gehen“, sagt er und blickt auf die Kundschaft: „Das Kundenverhalten hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert.“ Vor der Pandemie seien 80 Prozent der Waren bar bezahlt worden, mittlerweile sei das Verhältnis 50 zu 50. Ein Blick ins Ausland genüge, um zu sehen, wohin die Reise gehe. „Versuchen Sie doch mal in Skandinavien bar zu bezahlen…“ Geht nicht, sagt sein Blick.

Deutschlandweit 40 Bitcoin-Automaten: Südwestfalen hat nur einen

Von der gesellschaftlich akzeptierten Kartenzahlung bis zu den neuartigen Bitcoins ist es aber noch ein weiter Weg. Die Hamburger Sutor Bank hat sich zum Ziel gesetzt, den Krypto-Markt auch in Deutschland stärker zu bedienen. Das Geldinstitut arbeitet mit Kuran zusammen, dem europäischen Marktführer in Sachen Bitcoin-Automaten. Laut eigener Landkarte gibt es in Deutschland 40 dieser Geräte: Dortmund, Bochum, Frankfurt, Köln. Und seit fünf Wochen jetzt auch Neheim. Wie viele Kunden ihn schon benutzt haben? „Einer“, sagt Schulte und lacht: „Ich war es nicht.“

Man müsse das als eine Art Testballon sehen. Schon morgen könne er den Automaten wieder abbauen lassen. Aber er mag, dass sich die Leute mit der Sache zu beschäftigen beginnen. Eine Mitarbeiterin, sagt er, habe sich nun eine erste digitale Geldbörse, eine sogenannte Wallet, angelegt. „Und wer weiß, vielleicht haben wir in zehn Jahren dann schon zehn Jahre Erfahrung mit Kryptowährungen.“ Könne ja nicht schaden. Und auch die Kunden sprächen drüber.

Bitcoin? „Damit hat mein Freund zuletzt die Flüge bezahlt“

Nur tun sie das sehr unterschiedlich. Nachfrage bei der jungen Frau, Anfang 20, ob sie den Bitcoin-Automaten wahrgenommen hat. Hat sie nicht. „Aber bei Bitcoin kriege ich gleich lange Ohren, weil mein Freund sich damit beschäftigt.“ Die letzten Flüge in den Urlaub habe er so bezahlt. „Ist wohl eher was für die jüngere Generation“, sagt sie, als gehöre sie nicht genau dazu.

Die beiden Damen nach ihr sind rund 30 Jahre älter. Wahrgenommen haben sie den kleinen Geld-Alien auch nicht. Aber bei den Begriffen Kryptowährung und Bitcoins zucken sie fast etwas zusammen. „Das ist doch, womit die Leute heute Geld zu machen versuchen“, sagt die eine, und die andere führt den Satz unaufgefordert fort: „…und dann im Knast landen.“

Den Ruch des Dubiosen werden die Kryptowährungen zumindest in Deutschland offenbar noch nicht los. Christian Schulte weiß das, verweist aber darauf, dass die Kriminalitätsrate bei Bargeld deutlich höher sei. „Dass das Gerät ausgerechnet in unserem Laden steht, ist vielleicht ein bisschen provokant“, sagt er. Einerseits. Andererseits: „Aber mit der Kreditkarte zu bezahlen ist ja auch eine digitale Art zu bezahlen. Ich will zeigen, dass es geht und dass das auch hier im ländlichen Raum geht. Wenn hier in ein paar Jahren mal jemand seine Brötchen mit Bitcoin bezahlen will, dann will ich sagen können: Klar, kein Problem.“

>> INTERVIEW: Was hinter Kryptowährungen steckt

Die Welt der Kryptowährungen ist komplex. Rainer Baule, Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwirtschaft, an der Fernuni in Hagen, erklärt sie.

Was sind Kryptowährungen genau?

Für viele Menschen sind sie schwer zu greifen. Es ist eine Art digitales Zahlungsmittel, das im Gegensatz zum Dollar oder Euro nicht von einer staatlichen oder supranationalen Institution wie der US-Notenbank oder der Europäischen Zentralbank herausgegeben wird. Ihre Existenz speist sich aus weltweit vielen Millionen Nutzern, die Kryptowährungen als Zahlungsmittel anerkennen.

Rainer Baule, Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Bank- und Finanzwirtschaft, an der Fernuniversität in Hagen
Rainer Baule, Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Bank- und Finanzwirtschaft, an der Fernuniversität in Hagen © WP | Hardy Welsch

Welche Vor- und Nachteile hat das?

Der Wegfall der staatlichen Kontrolle wird von vielen Nutzern sicher als Vorteil betrachtet. Zudem ist die Menge zum Beispiel an Bitcoins begrenzt. Durch das Lösen hoch komplizierter Rechenaufgaben, für die man hohe Computerleistungen braucht, können sie geschürft werden. Die festgelegte Menge führt zu einer gewissen Inflationssicherheit. Ein Nachteil können die hohen Schwankungen des Werts sein.

Sind Kryptowährungen illegal?

Sie sind nicht illegal, aber die mangelnde staatliche Kontrolle erleichtert dubiose Geschäfte, die sich im Halblegalen oder Illegalen abspielen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht will den Kryptowährungsmarkt zukünftig stärker regulieren, um den üblen Geschäften Einhalt zu gebieten. Andererseits: Auch mit Bargeld sind bekanntermaßen dubiose Geschäfte möglich.

Sind Bitcoin und Co. die Zukunft?

Für den Ottonormalverbraucher sehe ich derzeit keine Notwendigkeit, über Kryptowährungen zu verfügen. Obwohl immer mehr Händler sie anerkennen, sind es doch noch vergleichsweise wenige. Als Zahlungsmittel sind sie also kein Argument. Die Wertsteigerung, die man in den vergangenen Jahren mit Kryptowährungen hat erzielen können, sind beachtlich, aber ob sich das so fortsetzt, ist fraglich.

Was brauche ich zum Besitz einer digitalen Wallet?

Während es vor einiger Zeit noch verbreitet möglich war, anonym Wallets zu eröffnen, gerät diese Praxis vermehrt in den Fokus der Regulierungsbehörden. So gelten in Deutschland und wohl auch EU-weit seit 2020 verschärfte Regeln für Kryptoverwahrgeschäfte, welche die Geldwäsche und Illegalität bekämpfen sollen.