Schmallenberg. Markus Krähling (42) und Sohn Nico (3) sind unheilbar an Krebs erkrankt. Wie die Familie aus Schmallenberg trotzdem Glücksmomente erlebt
Natürlich will Nico dem Gast sein Zimmer zeigen. „Komm mit!“, sagt er und steuert quietschfidel seinen erst eineinhalb Wochen alten Mini-E-Rollstuhl so sicher durch die Wohnung, als habe er nie etwas anderes gemacht. Der Dreijährige aus Schmallenberg zeigt seine Musiksammlung, besonders die Lieder von „Feuerwehrmann Sam“ haben es ihm angetan. Er kann sie auswendig mitsingen, selbstverständlich will er Feuerwehrmann werden.
Kurz nach Nicos Geburt waren sich die Ärzte nicht sicher, ob der querschnittsgelähmte, unheilbar an Krebs erkrankte Junge seinen ersten Geburtstag erleben würde. Im Februar wird er vier.
Wegen seiner Tumore in Kleinhirn und Rückenmark musste er bereits fünf Operationen, zehn MRT-Untersuchungen unter Vollnarkose und 60 Chemotherapie-Sitzungen über sich ergehen lassen. Die Nebenwirkungen erschütterten seinen Körper.
Glücklich im Kindergarten
Seit August ist er in einem Kindergarten. „In einem ganz normalen“, sagt seine Mutter Daniela Krähling (38), „er liebt es dort.“ Nicos Vater Markus (42) schaut seinen aufgeweckten Sohn beseelt an: „Nico ist unser Sonnenschein. Wenn er lacht, weiß ich, wofür ich kämpfe.“
Markus Krähling ist ebenfalls unheilbar an Krebs erkrankt. Ein anderer als bei Nico, ein bösartiger Tumor des Weichteilgewebes. Bei dem „Liposarkom“ ist das Risiko hoch, dass es wiederkommt. Bei der ersten OP in Meschede 2017 wurde ein 24 x 17 Zentimeter großer Tumor im Bauch entfernt. Seitdem kehrte der Krebs zwei Mal zurück.
Während Nico auf seinem Halt gebenden Sitz auf dem Sofa Platz genommen hat und seinen Papa anlächelt, zeigt Daniela Krähling das Fotoalbum von den ersten Lebenswochen ihres Sohnes. Unter einem Bild steht: „Ein holpriger Start in mein Leben.“
Zwei Tage nach der Geburt die erste Operation
Zwei Tage nach seiner Geburt im Hüstener Krankenhaus – Voruntersuchungen hatten keine Hinweise auf einen Tumor gegeben – wurde Nico in der Kinder-Onkologie des Universitätsklinikums Münster operiert, am dritten Lebenstag begann die erste Chemotherapie. „Manche Ärzte hätten ihn vielleicht aufgegeben“, sagt Daniela Krähling, „wir hatten immer das Glück, in den richtigen Momenten auf die richtigen Menschen zu treffen.“
Betreuung durch den Palliativdienst des Universitätsklinikums Münster
Ehemann Markus wird seit der zweiten von drei Krebsoperationen in Münster vom Palliativdienst des Universitätsklinikums betreut. „Vom Krebsgeschehen her geht es derzeit gut“, sagt er und räumt mit dem Vorurteil auf, dass jüngere Palliativ-Patienten wie er „gleich sterben werden, auch wenn ihre Lebenserwartung geringer sein mag als bei anderen Menschen“. Es gehe um eine höhere Lebensqualität durch medizinische, psychologische und organisatorische Hilfe.
Bei Krählings letzter Krebs-OP am Universitätsklinikum Heidelberg im Sommer 2021 musste großflächig Tumormasse entfernt werden. „Alles, was damit in Kontakt war“, wie er sagt. Er verlor eine Niere, 40 Zentimeter seines Dickdarms, Muskeln und Nervenbahnen am linken Bein.
Eine Orthese gibt dem linken Bein Halt
Die Ärzte hatten ihn vor dem Eingriff darauf vorbereitet, dass er anschließend sehr wahrscheinlich ein Leben im Rollstuhl führen müsse. Markus Krähling kämpfte sich Schritt für Schritt ins Gehen zurück.
Eine Orthese über der Jeans gibt ihm Halt. Er sei zwar nicht mehr der alte, sagt er, weniger leistungsfähig, aber zufrieden mit dem bisher Erreichten. Er schaut auf Nico: „Der kleine Mann ist meine stetige Motivation, er hält uns gut auf Trab.“
Hartnäckigkeit zahlt sich aus
Insbesondere seitdem der Junge mit Hilfe des Mini-E-Rollstuhls mobil geworden ist und nicht mehr von seinen Eltern von A nach B gehoben bzw. getragen werden muss. Am Beispiel des Hilfsmittels zeigt sich, dass Deutschland bei der Inklusion trotz aller Beteuerungen noch nicht da ist, wo es stehen könnte.
„Irgendjemand sagte mir, ich bräuchte es nicht zu versuchen. Es sei nicht üblich, schwerkranke dreijährige Kinder mobil zu machen“, sagt Daniela Krähling. Wenn sie Nico jetzt so vergnügt umherfahren sieht, weiß sie, dass sich ihre Hartnäckigkeit ausgezahlt hat.
Nordsee-Urlaub dank des Vereins „Lächelwerk“
An der Wohnzimmerwand hängt ein Bild vom Urlaub an der Nordsee. Eine glückliche Familie. Die einzige Reise seit Nicos Geburt. Sie wurde den Krählings mit Hilfe des Vereins „Lächelwerk“ in Schmallenberg ermöglicht.
Auf der Facebook-Seite des „Krebs- und Sozialprojekts“ will Daniela Krähling künftig aus Nicos Leben erzählen: „Wir wollen anderen Menschen Mut machen, dass ein schwer krankes Kind kein Weltuntergang ist, dass es viele tolle Momente gibt.“ Sie will aber auch aufzeigen, wo Probleme und Herausforderungen rund um die Inklusion auftauchen.
„Wir haben ,Lächelwerk‘ so viel zu verdanken“, ergänzt Ehemann Markus. Bis vor zwei Wochen habe die Familie noch im Dachgeschoss im Haus seiner Eltern gewohnt, erzählt er. „Durch die doppelte Krebserkrankung mussten wir unsere Wohnsituation komplett umdenken.“ Ein Spendenaufruf von „Lächelwerk“ ermöglichte einen behindertengerechten und barrierearmen Umbau des Erdgeschosses.
Bei Ukraine-Hilfstransport dabei
Als die Hilfsorganisation vor einiger Zeit einen Transport in die Ukraine organisierte, fuhr Markus Krähling in einem Klein-Lkw mit. Eine Selbstverständlichkeit für ihn, auch wenn die Strapazen noch eine Woche nachwirkten: „Ich hatte das Bedürfnis, etwas zurückzugeben.“
Durch intensives Training und Therapien hätten ihr Mann und ihr Sohn in den vergangenen Monaten „große Fortschritte“ gemacht, berichtet Daniela Krähling, wohl wissend, dass ihre Lieben es mit unberechenbaren Krebsarten zu tun haben, die von heute auf morgen das Leben wieder verändern können.
Eltern und Freunde unterstützen die Familie
„Wir waren noch nie pessimistische Menschen“, sagt sie, „natürlich ist das alles schrecklich, aber Aufgeben ist keine Option für uns.“ Die Familie gibt sich gegenseitig Halt und bekommt viel Unterstützung von Eltern und Freunden.
Während Nico glücklich und vergnügt zwei Spielzeug-Hubschrauber aus seinem Zimmer holt und stolz präsentiert, berichten seine Eltern, dass sie auch Phasen des Haderns haben. „Weihnachten wird sehr emotional“, sagt Daniela Krähling, „wir werden daran denken, was gerade mit uns passiert, uns die Frage ,warum wir?’ stellen und keine Antwort bekommen.“
Nico nimmt zum ersten Mal das Christkind bewusst wahr
Wenn aber die Krählings vor dem geschmückten Weihnachtsbaum in Nicos leuchtende Augen schauen, werden sie demütig sein. „Dann wird uns noch mehr klar, dass uns ein großartiges Kind geschenkt worden ist“, sagt die Mutter, „Nico zeigt uns, worauf es im Leben ankommt.“
Der Dreijährige wird zum ersten Mal das Christkind bewusst wahrnehmen. Er wird sein strahlendes Lächeln zeigen, davon ist auszugehen.
Das Lächeln, das seinen Eltern Kraft für eine positive Lebenseinstellung gibt und ihnen den Alltag „meist fröhlich“ meistern lässt. „Nico hat genauso glückliche Momente verdient wie andere Kinder“, sagt Daniela Krähling und streicht ihrem Sohn liebevoll übers Haar.