Hagen. Im Prozess gegen eine Jugendbande belasten zwei Beschuldigte ihre Mitangeklagten. Es geht um Schusswaffen, brutale Überfälle und eine Hochzeit.
Die Frage des Tages kam vom Vorsitzenden Richter Jörg Weber-Schmitz, der sich an diesem zweiten Verhandlungstag im Raubserienprozess gegen eine brutale Jugendbande überhaupt gut aufgelegt zeigte. Nicht ohne eine Portion Süffisanz erkundigte sich Weber-Schmitz also, wieso denn zwei der vier Angeklagten mit Schreckschusswaffen zur Hochzeit ihrer Schwester fahren wollten, etwa um „den Bräutigam zu erschießen“?
Das war wohl nicht beabsichtigt, zumal der Bräutigam der Bruder eines Mitangeklagten sein soll. Nein, in ihrer syrischen Heimat sei es vielmehr Brauch, dass man bewaffnet zur Hochzeit antrete. „Es wird in die Luft geschossen, vor Freude“, ließ der ältere von zwei Brüdern über seinen Dolmetscher ausrichten: „Das gehört zu unserer Tradition.“
Die Traditionen hierzulande unterscheiden sich davon etwas, und auch deshalb müssen sich derzeit drei Syrer – darunter die zwei Brüder – und ein Marokkaner wegen einer Serie von teils bewaffneten Raubüberfällen vor der 1. Großen Jugendstrafkammer des Landgerichts Hagen verantworten. Zudem soll der 18-jährige Marokkaner aus den Reihen seiner Mitangeklagten bezichtigt werden, für den tödlichen Schuss auf der Lüdenscheider Kirmes verantwortlich zu sein, der im Mai ein Zufallsopfer gefordert hatte; dies ist Gegenstand einer weiteren Ermittlung (wir berichteten), kam aber am Mittwoch nicht zur Sprache.
Angeklagter sorgt für Unterbrechung
Dafür ging es am zweiten Verhandlungstag im Raubserienprozess um die Überfälle, welche die heute zwischen 18 und 23 Jahre alten Angeklagten zwischen Januar und Juni dieses Jahres in Lüdenscheid, Hagen und andernorts in unterschiedlicher Besetzung und teils mit unbekannten Mittätern begangen haben sollen. In der Anklage gegen das Quartett, das in Untersuchungshaft sitzt, ist von neun Überfällen die Rede, durchgeführt zum Teil mit Messern und Schreckschusswaffen. Beute: gut 16.000 Euro.
Die Prozess-Fortsetzung verlief zwar ruhiger als der von Tumulten überschattete Prozessauftakt vor drei Wochen, aber nicht störungsfrei. Der dritte syrische Angeklagte, ein 22-Jähriger, wurde wie schon Ende November in Handschellen, Fußfesseln, mit Helm und Spuckschutz sowie fixiert an einen Rollstuhl und in Begleitung von etlichen Justizbeamten in den Gerichtssaal gebracht. Außerdem wurde er von einem neuen Pflichtverteidiger begleitet, da sein bisheriger Anwalt aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur Verfügung steht, wie das Gericht erklärte.
Als die beiden syrischen Brüder nacheinander aussagten und eine Beteiligung an den ihnen zur Last gelegten Taten gestanden, musste die Verhandlung zwischenzeitlich für etwa zehn Minuten unterbrochen werden, nachdem der 22-Jährige unruhig geworden war. Sein Mandant habe starke Kopfschmerzen, erläuterte Verteidiger Martin Düerkop. Später wurde der Angeklagte, der sich aus Protest gegen seine Inhaftierung selber verletzen soll und bei dem der Vorwurf des Simulierens im Raum steht, von den Beamten zusätzlich fixiert. Die weitere Verhandlung ging danach ohne größere Störung über die Bühne.
Ein Arzt soll dreimal Opfer gewesen sein
Die beiden syrischen Brüder, 18 und 23 Jahre alt, präsentierten sich bei ihren Aussagen eher als Mitläufer. Treibende Kraft waren demnach die anderen zwei Angeklagten, so etwa bei einem Überfall auf eine Fast-Food-Filiale in Düsseldorf. Normalerweise, bemerkte Richter Weber-Schmitz, betrete man ein Schnellrestaurant ja, „wenn man Hunger hat“. In dem Fall war das offenbar anders. „Wir haben die“, sagte der jüngere Bruder auf Deutsch, „überfallen. Ich habe mitgemacht.“
Als es um einen anderen Überfall ging (auf einen Paketshop), entfuhr es Weber-Schmitz: „Warum denn das schon wieder?“ Antwort des jüngeren Bruders: „Wir hatten kein Geld, ich hatte keine Arbeit.“ Die Taten seien ohne große Planung durchgeführt worden, eher spontan. Mehrere Schreckschusswaffen habe er in einem Laden in Hagen gekauft.
Haftstrafe von mehr als zehn Jahren droht
Laut der detaillierten Aussage einer Lüdenscheider Polizistin sei man den Angeklagten auf die Schliche gekommen unter anderem über Zeugen, Aufnahmen bei einer Geschwindigkeitsmessung, ein geklautes Kfz-Kennzeichen und ein erbeutetes Hörgerät. Dieses sei bei einer Wohnungsdurchsuchung bei einem Beschuldigten in Lüdenscheid gefunden und über die Registrierungsnummer des Herstellers einem Opfer zugeordnet worden. Dieses Opfer, ein älterer Arzt, sei gleich dreimal heimgesucht und dabei übel zugerichtet worden. Laut der Beamtin habe das Opfer über die Täter ausgesagt: „Warum hat man nicht aufgehört, mich zu schlagen? Ich habe doch alles gegeben.“
Der Mann habe so schwere physische und psychische Schäden erlitten, dass er nicht mehr praktizieren könne. Die Beamtin bestätigte im Übrigen, dass die beiden angeklagten Brüder nicht wie der Kopf der Bande wirkten.
Für den Jüngeren werden vom Gericht drei bis vier Jahre Jugendstrafe vorgeschlagen. Dem marokkanischen Angeklagten, der möglicherweise bei der Prozessfortsetzung am 4. Januar aussagt, drohen bis zu mehr als sechs Jahre. Für die beiden anderen Beschuldigten ist hingegen Erwachsenenstrafrecht vorgesehen. Bei dem 22-Jährigen, der als Initiator der Raubserie gilt, steht eine Haftstrafe von zehn Jahren oder mehr im Raum. Sein 23 Jahre alter Mitangeklagter könnte für mehr als fünf Jahre im Gefängnis landen.