Siegen. 1500 Prozent mehr für Gas – das droht Wäscherei-Chef Dirk Petri. Er fühlt sich von der Politik alleingelassen und fordert schnelle Hilfen.
Der Spiel-Treff ist gleich nebenan, und in gewisser Weise passt das zu dem, was Dirk Petri derzeit macht, machen muss. Zocken. Auf das Beste hoffen. Mit schlechten Chancen allerdings.
Der Geschäftsführer des gleichnamigen Textilservices in Siegen-Geisweid verbraucht mit seiner Wäscherei sehr viel Energie, vor allem Gas, aber auch Strom. Neun Waschmaschinen, jede koste so viel wie ein Kleinwagen, 14 Trockner, Heißmangel, Bügelautomat, zweieinhalb bis drei Tonnen Wäsche pro Tag. Es geht um sehr viel heiße Luft, und die ist sauteuer geworden.
Vertrag läuft aus – Verfünfzehnfachung des Gaspreises?
Zum Jahresende laufe der Vertrag mit seinem Gasversorger aus. Ihm liege ein Angebot vor, bei dem er sich noch nicht sicher ist, ob er es annehmen soll, annehmen kann – vielleicht muss er es aber auch annehmen, weil’s sonst noch schlimmer kommt. Petri ringt noch mit sich. Nebenan, in der Spielhalle, stünden seine Gewinnchancen wohl auch nicht schlechter.
Die genauen Konditionen des Angebots möchte er nicht verraten, der 46-Jährige ist recht zurückhaltend, wenn’s um Details geht, aber er spricht von einer Verfünfzehnfachung. 1500 Prozent plus. Der Preis ist heiß, möglicherweise zu heiß. Was also tun?
„Eine Verfünfzehnfachung des Gaspreises wäre wirtschaftlich eine Katastrophe. Das könnten wir auf Dauer nicht aushalten“, sagt Petri, „aber wenigstens hätten wir für den Moment Planungssicherheit. So aber weiß ich nicht, worauf wir uns einstellen müssen.“
Von der Politik alleingelassen
So ergeht es derzeit vielen Betrieben, insbesondere denen, die viel Energie benötigen. Wie eben Petri. Oder Tom Rötz, Bäcker aus Olpe. Er zahlte im August trotz eines ähnlichen Verbrauchs wie im Juli 1600 Euro zusätzlich – nur für Strom.
25 Kilometer nördlich von Petris Wäscherei, die Filialen und Annahmestellen in NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz betreibt, versucht Rötz, den Familienbetrieb fortzuführen. Backleidenschaft in der vierten Generation, das ist das Motto. Durch Corona und die aktuelle Krise leidet die Leidenschaft aber.
„Die Leistungsträger werden in den Arsch getreten“
Gas-Ofen in der Backstube, Elektro-Ofen im Verkaufsraum. „Ich bin also sowohl auf Strom als auch auf Gas angewiesen“, sagt Rötz, der auch hätte sagen können: Ich bin doppelt gestraft. Wobei, doppelt gestraft reicht noch nicht. Wenn man mit dem Bäcker Rötz und dem Textilreiniger Petri spricht, dann wird schnell klar, dass es die Vielzahl an gleichzeitig auftretenden Problemen ist, die sie zermürbt. Dazu gehört auch die ausbaufähige Unterstützung durch die Politik.
„Ich habe mir das Entlastungspaket, diese 65 Milliarden Euro, angeguckt und mich gefragt: Wann kommt was für die Unternehmen? Aber es kommt nichts, kein Wort zu uns“, sagt Petri, der Leute wie sich nicht zum ersten Mal in den politischen und gesellschaftlichen Diskussionen vergessen fühlt. „Es geht nur noch um Randgruppen. Die Leistungsträger aber – damit meine ich alle, die zur Arbeit gehen – werden in den Arsch getreten. Ich fühle mich von der Politik alleingelassen“, sagt der zweifache Familienvater, der fordert: „Es braucht einen Strom- und einen Gaspreisdeckel.“
Weg vom Gas? Nicht möglich
Zu den explodierenden Energiekosten, bei denen kein Ende in Sicht ist, kommen steigende Rohstoffkosten, zum Teil schon lange vor dem Ukraine-Krieg, steigende Löhne (oder Wünsche nach mehr Lohn) wegen der Inflation, dazu ab Oktober der auf zwölf Euro erhöhte Mindestlohn. Corona ist noch nicht allzu lange her. Ach ja, die Gasumlage gibt’s ja auch noch. Fast vergessen. Die bedeute für seinen Betrieb eine Preisverdopplung, erzählt Petri und sagt. „Das ist irre.“ Als Hauptproblem aber nennt er etwas anderes: „Man kann vieles ertragen, wenn man Planungssicherheit hat. Aber die gibt es derzeit nicht.“
Wie Rötz, der Bäcker, fühlt er sich ein Stück weit machtlos, überlegenen Kräften ausgeliefert. Warum steigen sie nicht auf andere Energieträger um? Kaum möglich, bemerken beide. Außerdem wollte er, sagt Petri, eine PV-Anlage auf dem Hallendach installieren, aber Corona sei dazwischengekommen. „In der Pandemie haben wir entschieden, dass jeder Euro im Haus bleibt“, erklärt er, der den Familienbetrieb mit 43 Mitarbeitern zusammen mit seinem Bruder führt. Auch ihre Mutter, 86, packt noch mit an.
Kann dann zumindest der Bäcker mal den Ofen abschalten? Das mache keinen Sinn, das Aufheizen dauere eine Stunde. „Die Aufheizkosten sind höher als ihn anzulassen“, sagt Rötz, der seit drei Jahren an vielen Fronten zu kämpfen hat.
Die Preisfrage: Wie stark können sie ihre Preise erhöhen
In seiner Bäckerei seien die Energiekosten im Vorjahr um fast 20.000 Euro gestiegen, die Warenkosten um 16.000 Euro. Außerdem auf seiner Liste des Leidens: „Zucker“, sagt Rötz, „war bislang ein Billigprodukt.“ Ab Oktober nicht mehr, dann werde der Preis von 40 Cent pro Kilo auf über einen Euro steigen. Weizen kostete im Vorjahr 36 Cent pro Kilo, liegt derzeit bei 64 Cent. Und Butter, sagt Rötz, „Butter ist katastrophal geworden“. Heißt: von 4,50 Euro auf 9 Euro pro Kilo.
Natürlich hat er seine Preise erhöhen müssen, etwa bei den Brötchen ging’s von 37 Cent im Dezember über 40 im Januar auf 45 Cent seit August. Gut wären 50, besser 55 Cent, sagt der 39-Jährige. Aber zahlt das dann noch jemand? Schon jetzt habe er 50 Kunden weniger – pro Tag. „Die Leute“, sagt der dreifache Familienvater, „haben keine Kohle mehr.“ Die Preisfrage stellt sich auch Petri. Wer ein einzelnes Hemd reinigen lässt, zahlt 2,30 Euro. Noch. Er wird erhöhen, will aber unter drei Euro bleiben. Vielleicht müssten es fünf Euro sein. Dann sage aber jeder: „Da stelle ich mich zu Hause hin und bügele selber.“
Pleitewelle ab Januar?
Bei seinen Kunden spürt er die Auswirkungen der Krise wohl noch nicht so stark wie der Bäcker. Die Auftragslage sei sehr gut. Im Empfangsraum reihen sich Hemden und Blusen wie Hühner auf der Stange, im Betrieb stehen überall Aluwagen voller Wäsche rum. Dazu Teppiche, Decken, Arbeitskleidung, Schuhe. Container für Großkunden, Körbchen für kleine Auftraggeber, erklärt Petri später in seinem Büro.
Dort ertönt immer, wenn ein Kunde die Petri-Zentrale betritt, ein Ton, der wie eine Sirene klingt. Petri sagt, dass er noch zuversichtlich sei. Aber dann schlägt er, passend zum Signalton, noch mal Alarm. Falls nicht schnell ein Entlastungspaket für Unternehmen komme, „werden die Firmen ab Januar reihenweise pleitegehen“, sagt er.