Lüdenscheid. Hiobsbotschaft für die Wirtschaft in Südwestfalen: Kostal will seine gesamte Autoelektronik-Produktion schließen. Die Folgen und Reaktionen.
Es ist ein herber Schlag für den gesamten Wirtschaftsstandort Südwestfalen. Es ist vor allem aber ein herber Schlag für die ohnehin von der Sperrung der Brücke auf der A 45 betroffene Stadt Lüdenscheid: Der Automobilzulieferer Kostal hat angekündigt, bis Ende des Jahres 2024 die gesamte Produktion der Automobilelektronik (KAE) im Märkischen Kreis zu schließen.
Akut gefährdet sind damit rund 800 Stellen in der Produktion an den Standorten Lüdenscheid (650 Stellen), Meinerzhagen (90) und Halver (60). Hinzu, so das Unternehmen, werde es auch einen Stellenabbau in der Verwaltung geben. Beziehungsweise eine Verlagerung in den neuen Unternehmensteil „Kostal Business Services“ in Ungarn, einer zentralen Einheit für unternehmensinterne Dienstleistungen. In Summe, so ein Unternehmenssprecher gegenüber unserer Redaktion, müsse im Märkischen Kreis mit einem Arbeitsplatzabbau im sehr hohen dreistelligen Bereich gerechnet werden.
„Unter deutschen Kostenbedingungen nicht wettbewerbsfähig“
Die Begründung, die die Unternehmensleitung für den radikalen Schnitt anführt: Eine Produktion sei unter den deutschen Kostenbedingungen am Weltmarkt nicht mehr wettbewerbsfähig. Zumindest nicht im Bereich der Automobilelektronik. In den beiden anderen Kostal Unternehmensbereichen – Kontakt-Systeme und Industrieelektronik – soll es in der Produktion nicht zu einem Arbeitsplatzabbau kommen. Das heißt: Der Kostal-Standort in Hagen (Industrieelektronik) und auch die Kontakt-Systeme-Produktion in Lüdenscheid sind nicht betroffen.
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Kostal, dessen Zentrale als markantes Gebäude von der Autobahn A 45 aus deutlich zu sehen ist, wird also nicht ganz aus Lüdenscheid verschwinden. Auch die Unternehmenszentrale an sich und die Entwicklungsabteilung, die auch einen Standort in Dortmund hat, wird in der Kreisstadt bleiben. Dennoch ist die angekündigte Restrukturierung eine Zäsur.
Chef: Effizienzprogramme blieben erfolglos
Aus Sicht des Unternehmens allerdings eine alternativlose: Nur so könne Schaden von der gesamten Kostal-Gruppe, die weltweit 18.000 Beschäftigte hat, abgewendet und der Fortbestand als unabhängiges Familienunternehmen gewährleistet werden. Der Preis- und Wettbewerbsdruck in der Automobilzuliefererbranche sei extrem hoch. Diese Entwicklung habe sich zuletzt durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine verschärft. Eine strikte Kostenkontrolle und der Stellenabbau der Jahre 2018/19 sowie mehrere Effizienzprogramme hätten bisher nicht ausgereicht, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Produktionsstandorte nachhaltig zu sichern.
„In unseren deutschen Produktionswerken machen wir große Verluste. Das wissen auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, sagt Hansjörg Herrmann, Geschäftsführer der KAE und als Chief Operating Officer (COO) verantwortlich für die weltweite Produktion und das Europa-Geschäft. „Gemeinsam haben wir in den letzten Jahren alles versucht, um Schließungen und Verlagerungen zu vermeiden.“ Doch mit den deutschen Produktionskosten kein nachhaltig profitables Geschäft zu erreichen.
Jetzt werde mit dem Betriebsrat im Detail beraten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unverzüglich über die Ergebnisse dieser Beratungen informiert. Die Zeit der Unsicherheit für die Beschäftigten wollten die Verhandlungsführer so kurz wie möglich halten und die Härten sozialverträglich abfedern, so Hermann. Betriebsbedingte Kündigungen seien nicht auszuschließen, man werde sie aber wo immer möglich vermeiden.
IG Metall sieht Chance Arbeitsplätze zu erhalten
Fabian Ferber, der Zweite Bevollmächtigte der IG Metall, glaubt nicht an diese Alternativlosigkeit. Die Kosten- und Produktivitätsdebatte bei Kostal Automobilelektronik gebe es zwar schon länger, sagt der Gewerkschafter. „Aber wir haben doch auch schon über Lösungen gesprochen. Etwa vor vier Jahren in einem Sanierungstarifvertrag über den Aufbau einer Musterfabrik, die Innovationen schaffen soll. Die ist dann aber doch nicht in Lüdenscheid entstanden.“
Auch jetzt sieht Ferber noch lange nicht alle Möglichkeiten erschöpft, um doch noch möglichst viele Arbeitsplätze in der Produktion zu erhalten. Kreative Arbeitszeitmodelle, Abweichungen von Tarifverträgen - schon seit Jahren gebe es Instrumente, um die Probleme anzugehen. „Das haben wir doch schon bei vielen andere Automobilzulieferern im Sauerland bewiesen und damit Tausende von Arbeitsplätzen gerettet.“ Bei Kostal sieht Ferber bislang keine ausreichende Bereitschaft dazu, obwohl das Unternehmen auch Vorbildfunktion habe, gerade als großer Mittelständler.
Gewerkschafter fürchtet schleichende De-Industrialisierung in Südwestfalen
Fabian Ferber, der selbst Lüdenscheider ist und mit dem großen blauen Kostal-Schriftzug in Sichtweite aufgewachsen ist, fürchtet nun, dass Kostal gerade ein schlechtes Signal aussende – auch in Richtung anderer Zuliefer.„Es drohen ein Kompetenzverlust und in der Folge auch der Verlust weiterer Arbeitsplätze für die gesamte deutsche Autoindustrie sowie die schleichende De-Industrialisierung in Südwestfalen.“
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Dabei würden doch gerade die Umstände dafür sprechen, hier in Deutschland zu produzieren: „Insbesondere in der Autoindustrie standen in den letzten zwei Jahren mehrfach wegen gebrochener Lieferketten die Bänder still. Durch die Stilllegung der Fertigung werden Lieferketten noch unsicherer.“ Außerdem sei es schleicherhaft, wie Kostal es schaffen wolle, an anderen Stellen der Welt emissionsarm zu produzieren. Hier lägen doch große Chancen, gerade in Lüdenscheid hochwertige Produkte zu entwickeln und herzustellen, so IG-Metal-Mann Fabian Ferber: „Man muss ja ganz klar sagen: Es handelt sich bei den Kostal-Produkten hier nicht um Teile für den Verbrennungsmotor, den es bald nicht mehr geben soll. Das ist alles zukunftsfähig.“
Scharf kritisiert er auch, dass mit „Kostal Business Services“ die zentrale Dienstleistungseinheit für die gesamte Kostal-Gruppe in einem Ungarn unter Führung von Viktor Orban aufgebaut werde. „Das ist angesichts der Äußerungen der Orban-Administration gegen die ukrainische Führung und der bekannten fragwürdigen Praktiken gegen demokratische Bewegungen und Mitbestimmung, nicht nachzuvollziehen“, so Ferber.
Lüdenscheids Bürgermeister fordert Hilfe
Lüdenscheids Bürgermeister Sebastian Wagemeyer (SPD), den Geschäftsführer Andreas Kostal am Mittwochmorgen persönlich über den geplanten Stellenabbau informierte, fürchtet ebenfalls massive Probleme für Lüdenscheid und ganz Südwestfalen . Nun müssten Lösungen für die betroffenen Menschen und Familien gefunden werden. „Das erwarte ich von dem größten und wichtigsten Arbeitgeber in Lüdenscheid, dessen Wurzeln in dieser Stadt liegen.“
Angesichts der vielen Probleme durch die Sperrung der Rahmedetalbrücke auf der A 45 und nun der Kostal-Hiobsbotschaft appelliert Wagemeyer an Bund und Land, den Blick ab sofort noch stärker auf die Region Südwestfalen zu richten: Es brauche jetzt Unterstützung und Hilfe, wo es nur gehe – und zwar schnell, umfassend und unbürokratisch. „Wir, die Menschen und Unternehmen hier vor Ort, brauchen dringend ein positives Signal und einen klaren Plan, dass es wieder aufwärts geht.“
>> HINTERGRUND: Die Kostal-Gruppe
- Das Unternehmen Kostal wurde 1912 gegründet und hat nach eigenen Angaben einen Umsatz von 2,4 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2021 erzielt.
- Das Familienunternehmen mit Hauptsitz in Lüdenscheid betreibt in allen Geschäftsbereichen 46 Standorte in 20 Ländern auf fünf Kontinenten.
- In 2021 haben nach Unternehmensangaben 18.500 Mitarbeiter einen Umsatz von 2,8 Milliarden Euro erwirtschaftet, davon entfallen 2,4 Mrd. Euro bzw. 86 Prozent auf Kostal Automobil Elektrik.