Paderborn. Homosexualität, Dienstrecht, kein Fortschritt bei der Aufarbeitung des Missbrauchs sind Konfliktthemen im Erzbistum. So war die Diskussion

Am heutigen Samstag gründen Betroffene von sexuellem Missbrauch einen Beirat, um ihre Interessen zu vertreten. Und: Es gibt künftig definitiv keine Kündigungen mehr, wenn queere Kirchenmitarbeiter sich outen, heiraten oder geschiedene Mitarbeiter sich wieder verheiraten. So lauten die zentralen Aussagen der ersten digitalen Podiumsdiskussion, die das Erzbistum Paderborn zu den beiden Fragen Arbeitsrecht/Homosexualität und Missbrauch am Donnerstagabend angeboten hat.

Bischöfe sollen sich schnell bewegen

Dass Generalvikar Alfons Hardt der Begriff Heteronormativität inzwischen flott von der Zunge geht, ist der Initiative #OutinChurch zu verdanken, bei der sich vor zwei Wochen 125 Priester und Kirchenmitarbeiter als homosexuell geoutet hatten. Die Aktion und die begleitende TV-Dokumentation erzeugten einen derartigen Druck auf die Kirche als Arbeitgeber, dass immer mehr Generalvikariate, darunter jüngst auch Paderborn, ankündigten, die bestehende arbeitsrechtliche Grundordnung auszusetzen. Diese ermöglicht eine Kündigung aus moralischen Gründen. Hardt appellierte an die Bischöfe, die Änderung der Grundordnung zügig im Juni vorzunehmen und nicht bis zur Vollversammlung der Bischofskonferenz im Herbst zu warten. Den Vorsitz in der vorbereitenden Arbeitsgruppe hat Kardinal Wölki.

Generalvikar sitzt abseits

Die Debatte offenbarte in Inhalt und Stil über das Gesagte hinaus die Probleme des Erzbistums mit den beiden drängenden Themen. So saß der Generalvikar als „hörender Teilnehmer“ abseits des Podiums, lieferte aber zahlreiche und interessante Redebeiträge. Die offiziellen Vertreter des Erzbistums im Plenum, Monsignore Dr. Michael Bredeck (Leiter Bereich Pastorale Dienste) und Prälat Thomas Dornseifer (Leiter Bereich Pastorales Personal) hielten sich demgegenüber vorsichtig zurück. „Wir beobachten das Problem der Exkulturation, dass wir innerkirchlich den Anschluss verloren haben an gesellschaftliche Entwicklungen“, so Bredeck, der aber auch betonte: „So eine Diskussionsrunde wäre vor kurzer Zeit noch nicht möglich gewesen.“

Der Religionslehrer Maik Schmiedeler, Viola Hellmuth von der queeren Gruppe „Ohana“ Paderborn und Nadine Mersch, Vorsitzende des Diözesankomitees Paderborn und Delegierte des Synodalen Wegs, sorgten dafür, dass die Perspektive der Betroffenen die Debatte prägte. Maik Schmiedeler widersprach entsprechend den Äußerungen der Erzbistums-Vertreter, es habe schon länger keine Schikanen mehr gegenüber queeren Mitarbeitern gegeben. „Das ist nicht die Realität, die wir erleben. Wir haben in Generalvikariaten gesessen und gehört: Sie sollten diese Stelle schon ablehnen. Freunde von mir haben ihre Lehrerlaubnis verloren und ihren Job verloren.“ Zu den Aussagen des Generalvikars: „Das sind Statements, die eine hohe Verbindlichkeit haben. Das nimmt uns erstmal schon viel von dieser großen wirtschaftlichen Angst.“

Segnung von Paaren ausgeblendet

Viola Hellmuth fasste die Meinung der queeren Jugendlichen aus der Gruppe „Ohana“ zusammen: „Wir fühlen uns nicht willkommen, darum gehen wir nicht in die Kirche. Wir sind nicht erwünscht.“ Das angekündigte Thema Segnung von queeren Paaren kam entgegen der Ankündigung nicht zur Sprache.

Ausgesprochen lebhaft ging es parallel im Chat zu. Die Diskussion der Teilnehmer zeigte, dass das Meinungsbild an der Basis sich teilweise durchaus differenziert zum Wunsch nach Respekt, Toleranz und Vielfalt verhält. Einige Teilnehmer warfen den queeren Aktivisten vor, sich zu stark ins Bild zu setzen. „Missbrauchs-Betroffene fühlen sich aus dem Blickfeld der Kirche gedrängt. Es hat fast den Anschein, dass es einfacher ist, sich als homosexuell zu zeigen. Opfer möchte man nicht sehen“, schrieb eine Teilnehmerin im Chat. Ein anderer kommentierte: „Ich fühle mich als jemand, der ein ganz einfaches Leben nach den bisherigen Normen geführt hat, plötzlich als Minderheit und überhaupt nicht mehr vertreten. Ich verstehe die Welt nicht mehr.“

Diskussionsteil zum Thema Missbrauch

Der Diskussionsabschnitt zum Thema Missbrauch gestaltete sich im Vergleich zur Debatte über Homosexualität bleiern. Die Betroffenenperspektive fehlte, als einzige Laienvertreterin war Diözesanratsvorsitzende Nadine Mersch vertreten. So konnten die Diskussionsteilnehmer, neben Bredeck und Dornseifer war das Interventionsbeauftragter Thomas Wendland, das Thema erfolgreich historisieren: Wendland: „Wir haben unglaublich viele Meldungen aus den 1970er Jahren, einige aus den 1990ern, dann sind es weniger“. Das Erzbistum Paderborn kooperiere mustergültig mit der Staatsanwaltschaft. Eine unabhängige Aufklärungskommission sei seitens des Erzbistums vorbereitet. Hardt: „Wir hätten schon lange anfangen können, es fehlen aber noch die Beauftragten des Landes. Wir haben jetzt beschlossen, eine Frist zu setzen, dass die Kommission ohne Vertreter des Landes anfangen kann zu arbeiten.“

Veröffentlichung verzögert sich

Der Generalvikar, von Haus aus Jurist, äußerte sich auch kritisch, dass die Gutachten in anderen Diözesen von Anwaltskanzleien erstellt wurden. Im Erzbistum Paderborn würden demgegenüber zwei Historikerinnen an einem Gutachten arbeiten, die Veröffentlichung verzögere sich wegen Corona bis 2024. Dann sind Erzbischof Becker, der in den 1990ern Personalchef in Paderborn war, und der Generalvikar im Ruhestand.

Begleitend zu diesen von juristischen Argumenten geprägten Wortbeiträgen spiegelte die lebhafte Diskussion im Chat eine andere Realität. Die Teilnehmer führten den aktuellen Fall eines Pfarrers in Ostwestfalen an, der einen 18-Jährigen missbraucht haben soll, welcher ihm dann als Vikar wieder begegnete und ihn beschuldigte. Weitere Teilnehmer kritisierten die mangelnde Transparenz, auch bei vergangenen Fällen.

Klima der Angst und des Schweigens

Andere sprachen von einem Klima der Angst und des Schweigens: „Ich kenne einen Mann, der von einem noch lebenden Priester missbraucht wurde. Das Bistum verbietet diesem Mann, darüber zu sprechen. Der Generalvikar hat ihm einen entsprechenden Brief geschickt und unmissverständlich gedroht“, berichtete ein Chat-Teilnehmer. Moderatorin Kerstin von der Linden blieb mit ihren Fragen harmlos und wohlwollend.

Nadine Mersch fasste die Frustration am Ende zusammen: „Es dauert einfach zu lange.“

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