Wilnsdorf. Die Brückensprengung auf der A45 in Rinsdorf war eine Deutschland-Premiere. Warum Bewohner des Ortes das Bauwerk vermissen werden. Mit Videos.
Vier Sekunden. Es dauert nur vier Sekunden, und dann liegt das völlig zerstört am Boden, was Petra Pfeiffer fast ein ganzes Leben lang begleitet hat: Die Autobahn-Brücke Rinsdorf, benannt nach dem Ort, in dem die 62-Jährige aufgewachsen ist und immer noch wohnt. 55 Jahre davon hat sie mit dieser Brücke gelebt, die 1967 eingeweiht wurde und mit 486 Metern Länge und einer maximalen Höhe von 72 Metern das Dorf mit seinen rund 900 Einwohnern prägt.
Sprengmeister Michael Schneider wird später von einer 100-prozentig erfolgreichen Sprengung sprechen („Wenn es 110 Prozent gäbe, würde ich sogar 110-prozentig sagen“). Petra Pfeiffers Fazit ist da erst einmal knapper: „Wahnsinn!“ Und gleich danach kommt mit einem Hauch von Wehmut: „Es fehlt schon etwas.“
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Sie und ihr Mann Paul Gerhard (65) haben Verwandte und Freunde an diesem Tag im Garten ihres Hauses zu Gast. Es gibt Kaffee, Bockwürstchen und auch ein Bierchen. Und während ein paar Hundert weitere Schaulustige, Kameraleuten, Fotografen und Reporter bei heftigem Regen und Wind dem Wetter trotzen müssen, gibt es hier unter einem Carport ein trockenes Plätzchen – und das mit Logen-Blick auf die Sprengung.
Als Kind ist Petra Pfeiffer schon über die Brücke gegangen
Vielleicht eine Entschädigung für all die Jahre, die man mit der Last und dem Lärm der Autobahnbrücke leben musste. Obwohl: Ein schlechtes Wort verliert hier keiner über die Brücke. „Ach, da hat man sich doch dran gewöhnt“, sagt Petra Pfeiffer, die sich noch erinnern kann, wie sie als Kind vor der Einweihung über die Brücke spazieren durfte. Und ihr Mann Paul Gerhard sagt: „Früher, da hat man an jedem Pfeiler die Übergänge der Fahrbahnen gehört, wenn ein Fahrzeuge drüber gefahren ist. Ta Tack. Ta Tack. Bei der neuen Brücke gibt es die vielen Übergänge nicht mehr, nur noch hinten und vorne einen.“
Überhaupt: Die neue Brücke lässt zu viel Verlustschmerz gar nicht erst aufkommen. Die erste Hälfte steht schon, die zweite wird in den kommenden zwei Jahren gebaut werden. Ein Puzzleteil des Mega-Projekts „Neue Sauerlandlinie“. Gut 50 Jahre ist diese so wichtige Nord-Süd-Autobahn, die das Ruhrgebiet mit dem Rhein-Main-Gebiet verbindet, alt. Und sie muss quasi komplett erneuert werden. Und weil in Rinsdorf die erste Hälfte der neuen Brücke schon steht, muss die Sprengung umso genauer erfolgen.
Im Garten der Pfeiffers ist man sich bewusst, dass man hier im Siegerland einem historischen Moment beiwohnt: Noch nie ist in Deutschland solch eine hohe Brücke gesprengt worden. Damit das möglich wird, haben Sprengmeister Michael Schneider und sein Team 120 Kilogramm Sprengstoff in 1850 Bohrlöchern verstaut. Er hat während dieser vier Sekunden, in denen die Brücke gefallen ist, ganz konzentriert auf einen Pfeiler geblickt. „Ich habe auf die Abdeckung der Bohrlöcher geschaut“, sagt der Sprengexperte. Denn deren exakte Berechnung hat am Ende dafür gesorgt, dass die Pfeiler wie ein Zollstock zusammengeklappt sind und die Brücke quasi senkrecht fallen konnte. „Wir werden jetzt ganz genau die Sprengung hier analysieren“, sagt Schneider. „Damit wir für andere Fälle lernen können.“ Und die wird es schon bald an der A 45 geben: Ende des Monats, am 27. Februar, wird die nahe Talbrücke Rälsbach gesprengt, im Oktober die Brücke Eisern und im Februar 2023 die am Landeskroner Weiher.
Brückensprengung in Rinsdorf Generalprobe für Rahmedetalbrücke?
Und haben wir hier im Siegerland die Generalprobe für die Sprengung der Rahmedetalbrücke bei Lüdenscheid gesehen, dem derzeit wohl schlagzeilenträchtigsten Bauwerk in ganz Deutschland? Anfang Dezember 2021 musste sie wegen zu großer Schäden komplett gesperrt werden. Seitdem klafft quasi ein Loch in der Sauerlandlinie, der Verkehr quält sich durch Umleitungen. Wie es der Zufall will, ist die Rahmedetalbrücke fast genauso lang, hoch und alt wie die Talbrücke Rinsdorf. Doch Elfriede Sauerwein-Braksiek, Chefin der Autobahn GmbH Westfalen, winkt ab. „Noch ist gar nicht klar, ob die Brücke überhaupt gesprengt werden kann.“ Und zudem komme es auf die genaue Bauweise, die Umstände vor Ort an. „In Lüdenscheid steht Wohnbebauung viel näher an der Brücke.“
Gleichwohl: Die Autobahn-Chefin verspricht für den A-45-Neubau, dass man auf innovative Ingenieurskunst setze und lädt ein, in zwei Jahren einem weiterem Schauspiel in Rinsdorf beizuwohnen. Dann wird die schon existierende Brücke komplett mit Pfeilern um 20 Meter verschoben. Das hat es bislang noch nicht gegeben in der Republik. Im 900-Einwohner-Ort Rinsdorf wird es wieder eine Deutschland-Premiere geben. Mit Familie Pfeiffer auf dem Logenplatz.
>> HINTERGRUND: Schutt-Beseitigung dauert noch
- Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Überreste der alten Talbrücke Rinsdorf tatsächlich verschwunden sind. Die riesigen Brocken müssen nun zerkleinert und zur Wiederverwertung sortiert werden. Zehn bis zwölf Wochen sind dafür veranschlagt.
- Die Landesstraße 907 zwischen Rinsdorf und Wilnsdorf, auf die die Brücke fiel, soll bereits Ende des Monat wieder befahrbar sein.
- Bei der Sprengung anwesend war auch Oliver Luksic, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium.