Arnsberg. Die Städte Arnsberg, Sundern, Soest fördern den Ausbau zur Global Smart Region. Warum Stefan Slembrouck in Arnsberg einen Thinktank aufbaut

Der Klimawandel stellt den ländlichen Raum vor größte Herausforderungen. In der Fläche soll mit dem Wind einerseits die Energie der Zukunft erzeugt werden, ohne andererseits Tourismus, Naturschutz und Lebensqualität zu beschädigen. Gleichzeitig müssen Digitalisierung und neue Technologien zusammengeführt werden, ohne dass sich diejenigen abgehängt fühlen, die nicht wissen, was ein Hub oder eine Smart City ist. Wie sich Regionen nachhaltig aufstellen können und dabei an Zukunftsfähigkeit gewinnen, das erforscht das Projekt Global Smart Regions für Südwestfalen, bei dessen Aufbau die Bezirksregierung Arnsberg sowie die Städte Sundern, Soest und Arnsberg mitwirken. Der Arnsberger Philosoph, Digitalunternehmer und Grünen-Politiker Stefan Slembrouck moderiert die Initiative.

Was ist unter Global Smart Regions zu verstehen?

Stefan Slembrouck: Wir bauen derzeit einen Kooperationsverband von Regionen auf. Da können wir als Südwestfalen viel Kompetenz einbringen, zum Beispiel bei den Themen Dauerwald oder autonomes Fahren auf alten Gleisen. Derzeit werden einige stillgelegte Verbindungen für diese neue Technologie geprüft. Südwestfalen kann eine Vorreiterrolle bei neuen Technologien zum Klimaschutz einnehmen. Darin stecken große Chancen für unsere Wirtschaft. Die internationale Ausrichtung des Projektes soll das Licht auf Südwestfalen lenken, mit Blick auf die sehr global ausgerichteten hiesigen Unternehmen.

Top Smart City

In welcher Organisationsform soll das funktionieren?

Wir wollen in Arnsberg einen Thinktank aufbauen und mit fünf Regionen starten: Kopenhagen-Südschweden, Oberösterreich, Südpolen und Brescia. Die juristische Form müssen wir noch finden, sie soll auf jeden Fall gemeinnützigen Charakter haben. Wir orientieren uns an einem Beispiel aus Dänemark, Bloxhub, die Nachhaltigkeit weltweit unterstützen; Kopenhagen ist zum Beispiel eine Top Smart City. Regionen, die ähnliche Voraussetzungen haben, aber nicht unbedingt benachbart sind, werden ihr Knowhow austauschen, um eine mutige, aber auch innovationsfördernde Verantwortung für den Klimaschutz zu entwickeln.

Der Erfindergeist der südwestfälischen Unternehmen ist legendär. Können sie vom Klimaschutz profitieren?

Südwestfalen hat wirtschaftlich sehr gute Zukunftschancen, weil ein Schwerpunkt in der Elektrotechnik liegt. Der Automotive-Sektor ist noch sehr verbrennerlastig. Es ist eine Herausforderung, Rahmenbedingungen zu schaffen, um diese Unternehmen auf ihrem Weg zu neuen Produkten zu unterstützen.

Konflikt um Windkraft

Aus Sicht der Bürger hat die Windkraft das größte Konfliktpotenzial.

Das Ziel ist es, als Region eine Strategie zu entwickeln, wie wir Klimaneutralität erreichen können. Dafür muss erst einmal definiert werden: Was heißt das, klimaneutral? Ein Ziel ist es, grünen Strom zu verbrauchen, der möglichst ortsnah erzeugt wird. Für die Energiebedarfe der Industrie benötigen wir ein weltweites Wasserstoffnetzwerk.

Zwei Prozent aller verfügbaren Flächen für die Windindustrie zu nutzen, das klingt harmlos. In Zahlen umgerechnet, bedeuten zwei Prozent für eine kleinere Kommune in Südwestfalen mindestens 90 Windräder, und zwar nur für diese eine Kommune. Das sind enorme Eingriffe in das Landschaftsbild.

Es wird eine große Auseinandersetzung geben, wo Windräder gebaut werden können. Es geht darum, dass wir auf den Kalamitätsflächen klimastabile Wälder wachsen lassen und einen kleinen Teil davon umweltverträglich zur Gewinnung von Windstrom nutzen. Windräder können heute so gebaut werden, dass sie sich bei Sonnenuntergang oder bei Vogelflug automatisch abstellen. Wir sind auf dem Weg zum intelligenten Windrad. Wichtig ist die Einzelfallbetrachtung. Wir werden immer wieder in Zielkonflikte kommen und wir müssen abwägen, was es uns wert ist, eine Klimakatastrophe abzuwenden. Wir müssen wieder lernen, Kompromisse zu finden.

Das Land als Abstellplatz

Genau darin besteht ja ein Konflikt: Die Großstädter machen sich mit ihrer Windkraft-Ideologie einen schlanken grünen Fuß, während das platte Land mit Windindustrieanlagen vollgestellt wird.

Nur wenn die Regionen sich fair behandelt fühlen, werden sie bereit sein, die Städte mit Energie zu versorgen. Die Wertschöpfung aus der Erzeugung grüner Energie muss in der Region bleiben, das ist ganz wichtig. Aber die Region braucht auch weitere Zuschüsse aus den Städten, um ihre Infrastruktur zu modernisieren und auf Augenhöhe zu bleiben. Nur dann kann ich Solidarität erwarten.

Die Positionen scheinen beim Thema Windkraft unversöhnlich. Wie wollen Sie das moderieren?

Beim Thema Klimaschutz ist ethische Kompetenz ganz wichtig. Wir müssen Verständnis für unterschiedliche ethische Positionen entwickeln. Das Problem ist, dass wir endlos lang immer die gleiche Diskussion führen, weil wir glauben, dass es möglich sein muss, den anderen davon zu überzeugen, dass ich Recht habe. Wir werden viel häufiger in diese Konflikte hineinkommen, weil die Dynamik zunimmt, siehe die Flutkatastrophe vom Sommer. Deshalb brauchen wir mehr ethische Kompetenz, um Kompromisse nicht als Verlust, sondern als Gewinn einzuordnen. Es geht darum, Diversität zu stärken, statt Konformität zu fordern. Ich finde es irritierend, wie wenige Politiker das zu begreifen scheinen. Die digitale Technik wird uns die politischen Entscheidungen nicht abnehmen, vor denen wir stehen. Wir müssen zu einer politischen Kultur zurückfinden, und auch wieder den gesellschaftlichen Wahrheitskonsens stärken, der im Moment zu zerbrechen droht.