Hagen/Hilchenbach. Nicht nur in Hagen, Dortmund, Wuppertal und Hilchenbach müssen geimpfte und ungeimpfte Musiker zusammen spielen. Harmonisch. Geht das überhaupt?
Während das Publikum teils mit 2G+ und Maske im Parkett sitzt, kommt es hinter den Kulissen zu Zerreißproben. Viele Orchestermusiker lassen sich nicht impfen. Das bringt einige Philharmonien derzeit organisatorisch und menschlich an den Rand ihrer Spielfähigkeit und die Disponenten in große Nöte, was Diensteinteilung und Aufstellung betrifft. Denn Homeoffice funktioniert bei Musikern nicht, im Graben ist es eng, und die Konzertorchester spielen oft dicht an dicht auf kleinen Podien in Schulaulen oder Mehrzweckhallen.
Zurück in die Vor-Corona-Zeit
Öffentlich wurde das Thema der ungeimpften Musiker durch das Manifest „Musik in Freiheit“, in dem Hunderte von deutschen Orchestermusikern fordern, zum Status quo der Vor-Corona-Zeit zurückzukehren. Während Gesetzgeber und Gesundheitsbehörden das Impfen als Voraussetzung für den Spielbetrieb sehen, fordern die Unterzeichner: „Musik kann ihre Kraft nur dann entfalten, wenn alle Menschen freien Zugang zu Konzertveranstaltungen haben, unabhängig von Bedingungen und Einschränkungen; jeder Einzelne frei entscheiden kann, unter welchen Umständen ein Konzertbesuch verantwortungsvoll möglich ist; Künstler ihre Kunst ungehindert ausüben können.“ Unterschrieben haben das Manifest auch Philharmoniker aus NRW, darunter aus Hagen und Hilchenbach.
Viele Konfliktfelder
Die Konfliktfelder sind weit gefächert. So fordern einige Musiker etwa, dass der Aufwand für die erforderlichen Testungen als Dienstzeit gilt. Bei den Wuppertaler Sinfonikern wird dafür laut Orchestermanager Raimund Kunze ein freier Tag in der Spielzeit extra gewährt. Wuppertal hat laut NRW-Orchesterflurfunk bei 88 Planstellen 17 ungeimpfte Musiker, eine Zahl, die Kunze aus Datenschutzgründen weder bestätigen noch widerlegen darf, aber sie sei nicht richtig. „Die Angst ist natürlich, dass wir auch als Kollektiv auseinanderbrechen“, so Kunze. Seit im November erlassen wurde, dass ungeimpfte Musiker einen PCR-Nachweis brauchen, um ihren Dienst ausüben zu können, hat man an der Wupper Pool-Testungen eingeführt. Die zahlt der Arbeitgeber.
Vor diesem Schritt haben sie in Hagen und Hilchenbach Angst, denn PCR-Tests sind teuer und die Budgets knapp. „Es wäre ein Problem, wenn wir PCR-Tests zahlen müssten für Leute, die sich impfen lassen könnten, das aber nicht tun. Das kann ich auf Dauer nicht bezahlen“, konstatiert Michael Nassauer, Intendant der Philharmonie Südwestfalen (66 Planstellen). Nassauer hält sich mit seiner privaten Meinung zum Impfen zurück. „Ich positioniere mich nicht, das treibt die Sache nur noch mehr auseinander. Ich mache das, was die gegenwärtige Verordnungslage erfordert. Auf der Bühne gilt 3G am Arbeitsplatz, das wird ganz konsequent eingehalten, wir machen Testungen ohne Ende. Ungeimpft bedeutet, dass der Musiker, die Musikerin mit Maske spielen muss.“ Auch viele geimpfte Musiker spielen übrigens mit Maske, weil sie sich damit sicherer fühlen.
Bläser können nicht mit Maske spielen
Bläser hingegen können nicht mit Maske musizieren, und damit fangen für Orchesterdirektorin Antje Haury vom Philharmonischen Orchester Hagen (58,5 Planstellen) die Probleme an. Wenn ein Stück groß besetzt ist, sitzen viele Instrumentalisten im kleinen Hagener Orchestergraben eng nebeneinander. Die vorgeschriebenen Abstände zu ungeimpften Bläsern können nicht eingehalten werden; sie betragen zwei Meter in alle Richtungen. Wenn ungeimpfte Bläser nicht spielen können, müssen die geimpften Bläserkollegen mehr Dienste machen. „Das sorgt natürlich für einen gewissen Unfrieden“, so Antje Haury. Im Sinfoniekonzert auf der großen Bühne können die Abstände eingehalten werden, dort sitzen ungeimpfte Bläser zusätzlich hinter Spuckschutzwänden. „Wir müssen ja alle Mitarbeiter schützen, auch die ungeimpften.“
Insgesamt ist es der Hagener Orchesterdirektorin wichtig zu betonen, dass in Zusammenarbeit mit den Behörden die Sicherheitskonzepte nicht nur penibel eingehalten, sondern sogar übererfüllt werden. „Wir gehen über die Regelungen des Gesundheitsamtes hinaus. Wir legen zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen an.“
In zwei Bussen zum Gastspiel
Unter Orchestermusikern sind die Konflikte zwischen geimpften und ungeimpften Kollegen ein großes Thema. In der Dresdner Staatskapelle soll es 30 bis 40 Prozent Ungeimpfte geben. Es wird von Orchestern berichtet, die in zwei getrennten Bussen zu Gastspielen fahren, in einem sitzen die Geimpften, im anderen die Ungeimpften. Aber mit Namen zitieren lassen möchte sich kein Musiker. Zu groß ist die Angst, Zielscheibe von weiterem Streit zu werden. Das Fazit lautet: „Die Impfverweigerung ist eine absolute Katastrophe für die gesamte Branche. Es gibt in NRW Orchester, in denen keine Dienstpläne gemacht werden können, weil es zu viele Impfverweigerer gibt. Sich nicht impfen zu lassen, ist respektlos den Kollegen gegenüber.“
Alexander Schwalb, Klarinettist und Betriebsratsvorsitzender am Theater Hagen, macht die Herausforderung deutlich: „Wir haben eine hohe Impfquote am Haus, was die Arbeit sehr erleichtert. Solange wir keine Impflicht haben, kann ich niemanden zwingen, seinen Impfstatus zu offenbaren. Wir versuchen zu schauen, dass die Zusammenarbeit weiter kollegial und sachlich bleibt.“
Erheblicher Mehraufwand
Dorothea Stahlke, Orchesterinspektorin der Dortmunder Philharmoniker (100 Planstellen), schätzt, dass sie und ihre Kollegen aus dem Management durch die zusätzlichen Planungen Mehrarbeit im Umfang einer vollen Stelle leisten müssen. „Es ist auch bei uns nicht immer einfach, aber wir haben uns ganz gut eingependelt. Die geimpften Kollegen haben allerdings eine höhere Arbeitsbelastung. Wir führen viele vermittelnde Einzelgespräche und haben ein allgemeines Testmonitoring eingeführt.“ Auch in Dortmund zahlt der Arbeitgeber die PCR-Tests. „Der Mehraufwand bringt uns an die Grenze sämtlicher Ressourcen.“
Bei der Neuen Philharmonie Westfalen löst sich das Problem laut Sprecher Mark Mefsut von selbst. „Von 117 Musikern hatten wir zu Beginn der Spielzeit 5, die nicht geimpft waren. Von denen sind inzwischen fast alle genesen. Unser Orchester ist eine großartige Solidargemeinschaft.“
Das Publikum zögert noch
Während einige Ensembles aus der freien Szene wohl an der Impffrage zerbrechen werden, weil sie nicht mehr vertrauensvoll gemeinsam musizieren können, droht den kommunalen und staatlichen Orchestern die wahre Bewährungsprobe erst noch. Denn das Publikum kommt nicht oder nur sehr zögerlich zurück. Viele Kulturfreunde haben Angst, sich trotz der umfassenden Sicherheitskonzepte anzustecken. Um diese Sorge vertrauensbildend zu entschärfen, ist der Deutsche Bühnenverein als Arbeitgeberorganisation überzeugt: „Der Weg aus der Pandemie ist die Impfung.“