Hagen.
Ein neues Jahr ist wie eine neue Beziehung. Wird es harmonisch? Oder gibt es statt Himmel voller Geigen fliegende Fetzen? Die Hagener Philharmoniker unter Generalmusikdirektor Joseph Trafton wissen, wie sie die Zukunft zum Klingen bringen können. Denn beim traditionellen Neujahrskonzert in der ausverkauften Stadthalle dreht sich alles um die Liebe. Liebe im Dreivierteltakt, Liebe mit Csardasfeuer, Liebe mit einer kleinen Blues-Träne, kurz: Das Beste, was Operette und Musical zum Thema hergeben. Das Publikum ist schon nach wenigen Takten restlos glücklich, denn die beiden Solisten Emily Newton (Sopran) und Kenneth Mattice (Bariton) singen nicht nur zum Niederknien gut; sie verkörpern auch selbst eine besonders schöne Liebesgeschichte.
In der Welt der Musik ist die Liebe ein universales Gefühl, eine Himmelsmacht fernab aller seichten Tändeleien. Entsprechend entführen die Philharmoniker mit den Solisten das Publikum auf eine Reise, die zwar heiter ist, aber nichts auslässt, weder das „Fass mich bloß nicht so am Zipfel“ des unwilligen Junggesellen (Josef, ach Josef, was bist du so keusch aus „Madame Pompadour“) noch Männer auf der Pirsch (Da geh‘ ich zu Maxim aus „Die lustige Witwe“). Kenneth Mattice schenkt all diesen Lebemännern und verhinderten Freiern mit viel Charme und klangvollem Bariton jenes Fünkchen Sexappeal, welches das Spiel zwischen Mann und Frau erst prickelnd macht.
Es bleibt ja nicht beim Flirten
Und es bleibt ja nicht beim Poussieren, manchmal stellen sich auch Folgen ein. So besingt Mattice im Monolog des Karussellarbeiters Billy (Soliloquy aus „Carousel“) zwar großspurig, aber dennoch voller Freude seine erwartete Vaterschaft. Was wird er alles seinem Jungen beibringen, und was, wenn es ein Mädchen wird? Das hübscheste, netteste Mädchen der Welt!
Kenneth Mattice gehört zu den Publikumslieblingen am Theater Hagen. Emily Newton war an der Dortmunder Oper engagiert und singt jetzt am Staatstheater Nürnberg. Die Sopranistin ist eine überwältigend gute Sängerin und Darstellerin. Entsprechend stark sind die Frauen, denen sie ihre Stimme verleiht. Die hassen Männer (I hate Men aus „Kiss Me Kate“), träumen voller Sehnsucht von der verlorenen Kindheit (Klänge der Heimat aus „Die Fledermaus“), haben Liebhaber und Liebhaberinnen (Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben aus „Eine Frau, die weiß, was sie will“) und könnten die ganze Nacht tanzen (I Could Have Danced all Night aus „My Fair Lady“).
Auch privat ein Liebespaar
Auf der Bühne hat Kenneth Mattice nichts zu lachen neben dieser selbstbewussten Partnerin. Privat sind die beiden schon lange verheiratet. Kennengelernt haben sie sich bei einer Carmen-Inszenierung in New York. „Carmen ist als Oper eine Tragödie, doch für uns gab es ein Happyend“, verrät Emily Newton. Und Kenneth Mattice ergänzt: „Sie ist in Nürnberg, ich in Hagen, das ist nicht einfach für uns. Solange es funktioniert, bleiben wir in unseren Engagements. Wenn es nicht mehr funktioniert, machen wir etwas anderes. Aber diese Ehe, die bleibt immer.“
GMD Joseph Trafton dirigiert ohne Stab. Dadurch entsteht eine intime Verbindung mit dem Orchester und den Solisten, viel Blickkontakt, alle hören intensiv aufeinander, musizieren wie Freunde. Entsprechend frei und lebendig pulsiert auch die Musik, die Philharmoniker bestechen durch Präzision und Leidenschaft und durch glänzende Solopassagen. Der Humor kommt ebenfalls nicht zu kurz, wenn in „Seventy-Six Trombones (aus „The Music Man“) das Blech groß auffährt. Der Marsch ist so schwungvoll, dass er später auch die Zugaben einleitet. Moderatorin Claudia Belemann (WDR) ist irritierend schlecht vorbereitet und gleicht dies durch ein gewisses Bestreben aus, das Publikum politisch zu belehren.
Beim Walzer tanzt die Seele mit
Doch was sind solche Kleinigkeiten angesichts der großen Gefühle, mit denen die Philharmoniker auf das neue Jahr einstimmen. „Bei jedem Walzer tanzt auch die Seele“ mit, so heißt es in dem Duett „Lippen Schweigen“ (aus „Die lustige Witwe“). Wenn alle die amourösen Irrungen und Wirrungen endlich zum guten Ende gekommen sind, dann beginnt die Zeit der Träume: ein gutes Leben aufbauen, Kinder großziehen, gemeinsam die Zukunft gestalten (Wheels of a Dream aus „Ragtime“). Jedes Neujahrskonzert schlägt eine neue Seite voller Verheißungen auf. So geht das Glücksversprechen der Musik.
Als Zugabe gibt es neben den „Seventy-Six Trombones“ Irving Berlins „Cheek to Cheek“ mit der berühmten Zeile „Heaven, I’m in Heaven“. Und natürlich den Radetzky-Marsch, bei dem endlich auch das Publikum klatschend mitmusizieren kann.