Wir Geimpften haben alle Maßnahmen mitgetragen. Jetzt reicht es. Warum Redakteurin Monika Willer die Geduld verliert

Wenn ich auf die Landkarte gucke und die Provinzen mit den tiefroten Coronainzidenzen sehe, eine Folge des von der Politik neckisch mit Impftrotz bezeichneten Verhaltens, dann juckt es mich im Portemonnaie. Denn ich weiß genau, wer den Spaß am Ende bezahlen wird. Das sind nicht jene, die in ihrer Diktatur-Nostalgie denken, der Staat hätte unendlich tiefe Taschen, sondern jene, die wissen, dass das Geld von der Arbeit kommt und von sonst nichts. Dann seufze ich und wünsche, wir könnten für die Impftrotzer die Gurtpflicht wieder abschaffen.

Wie? Ich soll nicht spalten, sagen Sie? Oh doch! Es wird höchste Zeit, dass die große gesellschaftliche Gruppe endlich wütend wird, die von Anfang an aus Einsicht und Überzeugung alle Schutzmaßnahmen geduldig mitgetragen hat.

So erschöpft. So frustriert

Ich bin wütend. So erschöpft. So frustriert. Aus der Politik höre ich derzeit absurde Diskussionen über das Für und Wider einer Impfpflicht, da werden die spitzfindigsten Argumente in den Talkshows herumgereicht. Das sind natürlich Stellvertreter-Debatten, um zu übertönen, dass außer der Altkanzlerin fast alle Politiker, und auch die kommende Regierung, das Coronathema gegen die Wand fahren.

Die Ampel-Koalition beschäftigt sich mit sich selbst, jeder kämpft um sein Stück vom Kuchen, und dass da draußen eine Seuche wütet, das kann einem dabei schon mal durchgehen. Ja, aktuelle Maßnahmen wie 2G schützen Geimpfte. Aber sie kommen viel zu spät. Im Juli hätten sie uns die vierte Welle vielleicht erspart. Wir wussten ja, dass sie kommt. Doch da war Wahlkampf.

Mir persönlich ist es egal, ob sich der Esoteriker Jupp Kaputtnik und der Sachse Willi Wichtig eine Spritze setzen lassen wollen. Ich erwarte von der Politik allerdings, dass sie mich vor den Folgen des Verhaltens dieser Leute schützt. Die Politik schafft es mit Leichtigkeit, mich vor Zigarettenrauch und dem Anblick von Steingärten zu schützen. Wieso darf Jupp Kaputtnik im Restaurant nicht rauchen, aber meine Gesundheit und meinen Job mit seiner Impfverweigerung gefährden?

Nicht wie Schlafschafe behandeln lassen

Wir Geimpften müssen mehr einfordern vom Staat und von der Politik. Wir sollten uns nicht länger wie die Schlafschafe verhalten, als die man uns beschimpft. Wir sollten laut werden. Sehr laut. Wir wollen geschützt werden vor dem Trotz der Ungeimpften. Wir wollen die Wirtschaft am Laufen halten. Wir wollen unser Leben zurück. Die vierte Welle kommt nicht aus dem Nichts. Möglich wird sie auch durch Politikversagen.

Die Situation ist irrwitzig. Die Kaputtniks dieser Nation lassen sich in den Arm jagen, was die Pharmaindustrie hergibt, sofern es die Eintrittskarte für eine schöne Kreuzfahrt mit Landgang im Malariagebiet oder eine Fotosafari in einem Staat mit Gelbfieber oder Meningitis ist. Ich habe noch keine Demonstrationen vor Botschaften ferner Länder gesehen, die eine Impfpflicht gegen Tropenkrankheiten eingeführt haben. Geht doch.

Morddrohung gegen den Hausarzt: Wie krank ist das denn?

Neulich, gerade noch rechtzeitig vor der vierten Welle, musste ich zum ersten Mal ins Krankenhaus und ich bin zutiefst dankbar, dass ich Zugang zu Hochqualitätsmedizin hatte, obwohl ich nicht reich bin. Der CT-Termin kam sofort, nicht nach drei Monaten, die Klinik in Hagen war voll mit jungen Medizinern aus aller Welt, die dort ihre Facharztausbildung absolvieren, weil der Ruf so gut ist. Dem Pflegepersonal merkte man die Belastung an, aber alle waren mehr als freundlich.

Wie krank ist es denn, wenn ich in einem Land mit einer der besten medizinischen Versorgungen der Welt, die jedermann unabhängig von seinem sozialen Status zugänglich ist, wenn ich in diesem System schimpfe, der Hausarzt sei ein Nazi, weil er mir zur Impfung rät? Wie krank ist es, dass man in einem Land, wo der erste erfolgreiche Impfstoff gegen die neue Seuche erfunden wurde, die Lungenmaschine oder den Luftröhrenschnitt riskiert und Ärzten, Wissenschaftlern und Journalisten, die sich für die rettende Impfung aussprechen, Morddrohungen schickt?

Man muss exponentielle Zahlen kennen

Jeder Kleinsparer kennt das Prinzip des exponentiellen Wachstums durch den Zinseszins. Denn das ist seine Gewissheit, dass aus wenigen Cent mal viele Euro werden. Bei Epidemien ist es überlebenswichtig, dass man rechnen kann und weiß, was exponentielle Kurven sind. Wenn sich in einem Land die Zahl der Infizierten alle x Tage verdoppelt, verwandeln sich kleine, harmlose Zahlen in Windeseile in unbeherrschbare Monster. Das sind die mathematischen Tatsachen, welche die Wissenschaftler seit nunmehr zwei Jahren versuchen, der Politik beizubringen. Weil außer der Altkanzlerin, die Physikerin ist, keiner zuhört, haben wir die vierte Welle, denn mit Zahlen kann man nicht diskutieren.

Vermutlich die meisten der derzeitigen Corona-Opfer wären durch Impfung vermeidbar gewesen. Der Verschleiß des Pflegepersonals wäre vermeidbar. Der Schaden am Bruttosozialprodukt: vermeidbar. Wir haben die Impfstoffe. Wir wollen sie nicht. Soviel Wohlstandsverwahrlosung muss sich eine Gesellschaft erst einmal leisten können. Können wir uns das auf Dauer leisten? Und noch mal die Frage: Wer bitte spaltet denn hier?