Hilchenbach/Hagen. Gefälschte Impfpässe sind nicht erst seit dem Verdacht gegen Fußball-Trainer Markus Anfang ein Thema. Apotheker aus Südwestfalen erzählen.

Hat das Trainer-Team von Fußball-Zweitligist Werder Bremen, Markus Anfang und Florian Junge, gefälschte Impfnachweise verwendet? Die Staatsanwaltschaft Bremen ermittelt. Anfang beteuert, er habe sich zwei Mal in einem Impfzentrum impfen lassen, „die entsprechenden Aufkleber im gelben Impfpass bekommen“ und „anschließend in der Apotheke digitalisieren lassen“.

Es gilt die Unschuldsvermutung, doch es gibt immer wieder Versuche von Ungeimpften, sich gefälschte Impfnachweise zu erschleichen. Das wissen auch heimische Apotheker.

Praxis-Logo mit Hilfe eines Baukastenstempels nachgemacht

Der Mann wollte besonders schlau sein. Er hatte mit einem Baukastenstempel das Logo einer vermeintlichen Arztpraxis nachgemacht und dieses im Impfpass verewigt – direkt neben den Impfstoff-Aufklebern für die erste und zweite Coronaschutzimpfung.

Das gewünschte digitale Impfzertifikat bekam er dennoch nicht: Der Apotheker war misstrauisch geworden, weil die Arztpraxis ihren Sitz in 400 Kilometern Entfernung hatte („Warum sollte jemand wegen eines Impfnachweises extra nach Südwestfalen fahren?“). Zugleich hatte der mutmaßliche Fälscher die Daten der beiden Impfungen in einem zeitlichen Abstand von nur zwei Wochen eingetragen.

Bundesweit tausende Ermittlungsverfahren

Christof Werner von der Stadt-Apotheke in Hilchenbach kennt solche Geschichten. „Ein, zwei Mal in der Woche melden sich Kolleginnen und Kollegen aus dem Kreis bei mir und warnen, dass Fälscher aufgetaucht sind“, so der Vorsitzende der Bezirksgruppe Siegen des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe.

Nach dem zwischenzeitlichen Ende kostenloser Corona-Tests hatten viele Bundesländer verstärkt Schwindel mit gefälschten Impfnachweisen registriert. Dem ARD-Magazin Report Mainz zufolge laufen bundesweit tausende Ermittlungsverfahren. In der polizeilichen Kriminalstatistik tauchen solche Fälle noch nicht gesondert auf.

Der Apotheker aus dem Siegerland kann seine Wut über solch kriminelle Machenschaften nicht verbergen. „Das ist an Skrupellosigkeit nicht zu überbieten“, sagt Christof Werner, „wenn einer sich nicht impfen lassen will, muss er dazu stehen und die Konsequenzen tragen. Und schon gar nicht soll er mit einem manipulierten Impfnachweis andere gefährden, wenn er sich so Tür und Tor für Veranstaltungen oder Restaurantbesuche öffnet.“

Personal noch wachsamer

Werner liegt es fern, die Schwindelmaschen öffentlich zu machen. Aber er weiß, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Apotheken im Land noch wachsamer geworden sind, je mehr Fälle bekannt wurden.

Und sei es, wenn Menschen im Ladenlokal einen Impfpass vorzeigen, in dem lediglich die beiden Coronaimpfungen eingetragen sind oder die angebliche Chargen-Nummer vom Hersteller des Impfstoffs nicht richtig ins Format des Dokuments passt.

Apotheken-Personal kennt Unterschrift von Ärzten

Hilfreich sei immer, so Werner weiter, dass das Apotheken-Personal die handelnden Personen im Ort oder in der näheren Umgebung kennt: „Wir wissen, wie die Unterschriften der Ärzte und die Praxisstempel aussehen.“ Wenn die Angaben nicht ausreichend plausibel seien und man Restzweifel hege, so Werner weiter, stelle man kein Zertifikat aus.

Behält man dann den Impfpass ein und ruft die Polizei? „Uns beschäftigt sehr die Frage, wie wir uns bei einem Fälschungsverdacht verhalten“, sagt Christof Werner. Zum einen sei es gar nicht geregelt, ob man den Impfpass bei einem Verdacht – also kein Beweis – überhaupt einkassieren dürfe.

Aggressive Kunden

„Zum anderen sehe ich die Gefahr, dass mein Team in eine brenzlige Situation geraten könnte. Ich kann doch von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht verlangen, dass sie die direkte Konfrontation suchen.“ In Branchendiensten habe es wiederholt Berichte gegeben, dass zurückgewiesene Kunden aggressiv geworden sind, so der Apotheker aus Hilchenbach.

Apotheken und Impfstellen versuchen unterdessen, potenziellen Fälschern die Arbeit so schwer wie möglich zu machen. Eine Maßnahme: „Die Chargen-Nummern des Impfstoffs werden zwischendurch immer mal wieder verändert“, schildert Werner.

Ampel-Parteien wollen härtere Strafen

Beobachter befürchten, dass die Zahl der Fälschungsversuche angesichts verschärfter Corona-Regeln (2G im öffentlichen Raum) weiter steigen könnte. Auch dem sollen Pläne der Ampel-Parteien entgegenwirken: Demnach soll Fälschern von Corona-Tests, Genesenen- oder Impfnachweisen in Zukunft bis zu fünf Jahren Haft drohen.

Mit einer Gesetzesänderung soll eine „Strafbarkeitslücke“ geschlossen werden. Diesen Begriff hatte das Landgericht Osnabrück in einem bundesweit vieldiskutierten Urteil benutzt.

Fälschungen sind kein Kavaliersdelikt

Das Gericht hatte die Ansicht­ vertreten, dass nach derzeitiger­ Rechtslage das Vorlegen eines gefälschten Impfausweises in einer Apotheke nicht strafbar sei, wenn das manipulierte Dokument von einer Privatperson erstellt wurde­.

Till Ossenkop von der Schiller-Apotheke in Iserlohn begrüßt die Aktivitäten des Gesetzgebers. „Die Fälschungen sind keine Bagatelle, alles andere als ein Kavaliersdelikt. Es ist höchst verantwortungslos, wenn man sich durch eine kriminelle Handlung Zugang zu Räumen verschafft und andere, geimpfte Menschen in Gefahr bringt und gegen deren Willen zu Multiplikatoren des Coronavirus’ macht.“

Wird es Fälschern zu einfach gemacht?

Die offenbar viel zu leichten Fälschungen von Impfnachweisen sind Wasser auf die Mühlen von Kritikern, die Deutschland und insbesondere sein Gesundheitssystem in einer Digital-Wüste wähnen. Angeprangert wird unter anderem, dass die elektronische Patientenakte noch nicht flächendeckend eingeführt wurde.

Mit einer solchen digitalen Akte, die Arztpraxen, Apotheken und auch Impfstellen miteinander vernetze, habe man die „sichere Möglichkeit“, so der Hilchenbacher Apotheker Christof Werner, Fälschungsversuche bereits im Keim zu ersticken. „Das Ausstellen von Impfnachweisen darf doch nicht zur Mega-Einladung für Kriminelle werden.“

Hintergrund

Dem Landeskriminalamt (LKA) NRW zufolge nutzen Impfpassbetrüger auch das Internet für ihre kriminellen Machenschaften. Es gebe Fälle, die auf einen größer angelegten Handel mit gefälschten Impfnachweisen schließen ließen.

„In sozialen Netzwerken und Messengerdiensten kursierten bereits Angebote über Impfpässe mit einem Eintrag der Covid-19-Impfung“, heißt es bei der Düsseldorfer Behörde. Die Betrüger nutzten dabei auch Daten über den Impfstoff oder die Chargennummer aus privaten Posts sowie darin verbreitete Wohnungsanschriften, um ihre Impfpass-Fälschungen möglichst originalgetreu aussehen zu lassen. Diese würden im Netz zum Verkauf angeboten.

Nach LKA-Angaben ist nicht nur das Herstellen und Vertreiben gefälschter Impfnachweise strafbar, sondern auch der Kauf sowie die Nutzung.

Die möglichen Gewinnspannen sind offenbar so attraktiv, dass dem LKA zufolge auch ein Täterspektrum angesprochen werde, „das zum Teil auch professionell agiert“. In München legten jüngst Ermittler einer Betrügerbande das Handwerk, dass Hunderte gefälschte QR-Codes für den digitalen Impfnachweis hergestellt und für einen Stückpreis von 350 Euro im Internet an Ungeimpfte verkauft haben soll.