Dernau/Ahrtal. Christian Bernshausen aus Bad Laasphe-Feudingen gehörte zu den Helfern der ersten Stunde im Ahrtal. Mittlerweile ist er Teil des Krisenstabs.

Christian Bernshausen muss überlegen. Offenbar hat er noch nicht so wahnsinnig oft darüber nachgedacht, warum er das eigentlich alles macht. Warum er auf Geld und Freizeit verzichtet, warum er stundenlang im Auto sitzt, um dort zu sein, wo die Fluten während des Hochwassers im Juli am verheerendsten wüteten: im Ahrtal, Rheinland-Pfalz, gleich an der Grenze zu NRW.

„Ich weiß nicht, was mir das gibt“, sagt Bernshausen, Bauunternehmer aus Feudingen, einem kleinen Ort im Kreis-Siegen-Wittgenstein, zweieinhalb Autostunden entfernt vom Ahrtal: „Ich weiß nur, dass ich denen helfen muss.“ Und weil alles eine große Baustelle ist, wird auch nicht jedes Wort handverlesen: „Wir sind die, die die Menschen hier am kacken halten.“

Der Krisenstab von Dernau setzte sich eher zufällig zusammen

Dernau an einem Morgen in dieser Woche. 8 Uhr, Sonnenstrahlen verdrängen langsam den Dunst im Tal. Der Wind schlägt von außen gegen ein Zelt, in dem sieben Männer bei schwarzem Pappbecherkaffee und Zigarettenqualm an einer Bierzeltgarnitur zur Lagebesprechung sitzen: einer von der hiesigen Deponie, einer von der Raiffeisen, einer mit üppigem Kinnbart, einer mit Mütze, der Bauunternehmer Christian Bernshausen und sein Vorarbeiter Tilo Genieser sowie ein Mann, dessen Handy mit der Melodie von Knight Rider klingelt: Martin Schell (37). Auf dem Tisch: Stadtpläne, Auftragsbücher.

Auch interessant

Zusammen sind sie der Krisenstab in Dernau und den benachbarten Orten Marienthal und Rech. Bei Schell laufen die Fäden zusammen. Er wohnt in der Gegend, liebt das Ahrtal. Seine drei Kinder sollen hier leben können, wenn sie mal groß sind, sagt er. Seinen sicheren Job als Projekt- und Personalleiter in einer Werbeagentur hat er gekündigt. Aufbau-Koordinator nennt er sich jetzt. Er schüttelt lächelnd den Kopf, weil er das selbst noch ein bisschen erstaunlich findet.

Aufträge daheim in Siegen-Wittgenstein mussten warten

„Wir haben uns eher zufällig zusammengefunden“, sagt Bernshausen, der wenige Tage nach der Flut am 14. Juli mit Radladern, Lastern und anderen Maschinen sowie einem Teil seines Personals anrückte, um nach der Katastrophe ehrenamtlich helfen zu können. Aufträge in der Heimat mussten warten. Seine Frau und die beiden Kinder – zwei Jahre und fünf Monate alt – ebenfalls.

Sechs Tage am Stück blieben sie zunächst, vier Stunden schlief er in der Zeit, sagt er. Auf der Reise in die Heimat schickte ihm der Ortsbürgermeister Alfred Sebastian ein Dankes-Video. „Ich habe dich als Macher kennengelernt, der direkt alles in die Hand nahm, Flächen geschaffen hat und hier mal versucht hat, ein bisschen Struktur reinzubringen. Hier ist noch immer Land unter, aber dank deiner Hilfe nicht mehr so schlimm, wie es mal war.“

90 Prozent des Ortes kaputt: Ein Zirkuszelt zur Betreuung der Kinder

Fast drei Monate her ist das alles. Das Dernau, in dem Bernshausen jetzt steht, mag im Vergleich schon ordentlich wirken, aber in Wirklichkeit ist es anders. Das Chaos hat jetzt nur eine gewisse Struktur. 16 Menschen verloren in dem Ort ihr Leben. Die Häuser, in denen Menschen starben, erhielten schwarze Striche an die Fassade – zumindest wenn diese noch vorhanden war. „Hier stand ein Hotel“, sagt Martin Schell im Vorbeifahren, „platt.“ Eine Ruine aus ein bisschen Holz und Beton ragt aus dem Boden.

An anderen Häusern, die noch stehen, ist in zartem Braun die Wasserlinie noch zu sehen: auf der Mitte der ersten Etage. Türen und Fenster sind herausgebrochen. „Einsturzgefahr“ steht auf einem Plakat an einem Haus. Der Kindergarten, die Schule, die Eisdiele, der Campingplatz, die Sportanlage, 90 Prozent des Ortes – kaputt.

Bernshausen ist ehrenamtlich jede Woche in Dernau gewesen, zum Teil mehrere Tage. Er und seine Leute haben Flächen freigeräumt, Straßen befahrbar und Gefahrenstellen unschädlich gemacht. Derzeit stellen sie die Kanäle wieder her – und asphaltieren eine Fläche, auf der ein Zirkuszelt steht, in dem zukünftig Kinder betreut werden können.

Bundespräsident Steinmeier kommt ins Ahrtal: gegen das Vergessen

„Gerade am Anfang wurde nicht groß gefragt, da wurde einfach gemacht“, sagt Bernshausen. Als sie Schotter brauchten, aber keiner zu kriegen war, buddelten sie die ohnehin ruinierten Bahngleise aus und nahmen die Steine von dort. Über Schell haben sie eine Anbindung an Gemeinde und Kreis. „Aber von der öffentlichen Hand gibt es hier keinen. Keine Ahnung warum, aber das ist irre, was hier abläuft“, sagt Bernshausen.

Auch interessant

Am Sonntag kommt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) erneut ins Ahrtal. „Das bringt insofern was, als dass wir hier nicht in Vergessenheit geraten“, sagt Martina Sebastian (53), eine Anwohnerin. Sie hat ihr Haus verlassen und wohnt etwas oberhalb vom Tal in einer „Flutopfer-WG“, wie sie sagt. Sie schaut im Tal nach dem Rechten.

Der Putz ist von den Wänden, der Estrich entfernt, der Raumtrockner läuft. Dort, wo mal ihre Küche war, steht eine Blume und eine Hollywoodschaukel. So ganz viel ist ihr nicht geblieben. In der Nacht, als es passierte, wähnte sie sich im Haus in Sicherheit – bis das Wasser weiter stieg. Als es damit um 0.50 Uhr aufhörte, saß sie mit einer Kerze auf der Treppe in die zweite Etage, das Wasser zu Füßen. Aus dem Fenster sah sie die Nachbarn auf dem Dach sitzen.

Aufs Hausdach geflüchtet: „Ich dachte nur: Es war eine schöne Zeit mit meiner Frau“

„Für mich ist das eine totale Erleichterung“, sagt sie über die Unterstützung von Bernshausen und seiner Firma, die mittlerweile für ihre Dienste auch bezahlt wird. „Zumindest so, dass es die Kosten deckt“, sagt der Wittgensteiner. Martina Sebastian habe herumgefragt, wer denn jemanden kenne, der helfen könne – und landete beim Retter aus der Fremde, der jetzt auch weiter muss: Nachbarn beraten, die sich von Bautreibenden über den Tisch gezogen fühlen. „Ich habe jemanden gesucht, dem ich vertrauen kann“, sagt er. Christian Bernshausen sei ihm empfohlen worden.

Unweit davon wohnt Walter Körtgen, direkt an der Ahr, Blick auf den Weinberg. „Von da“, sagt er, „und zeigt flussaufwärts, „kam das Monster.“ Es spülte eine nahegelegene Halle weg und Teile seines Wohnhauses. Sie sahen all das an sich vorbeischwimmen, weil sie sich auf das Dach geflüchtet hatten: Körtgen und seine Frau, Freunde, die gekommen waren, um die Sandsäcke vielleicht nochmal neu auszurichten. Jedes Knacken und Krachen hätten das letzte sein können. „Ich dachte nur: Es war eine schöne Zeit mit meiner Frau.“

Er will sein Haus wieder aufbauen, will das Monster als Nachbarn einfach dulden. Er mag es ja im Ahrtal und daran hat die Flut nichts geändert. Im Gegenteil vielleicht sogar. „Wir leben hier einen Traum im Alptraum“, sagt er über das Ausmaß der Hilfsbereitschaft. An seinem und an vielen anderen Häusern sind Plakate mit Danksagungen dafür aufgehängt. „Was mich ärgert ist, dass 99 Prozent hier gut laufen, aber berichtet wird immer nur über das, was nicht funktioniert.“

Nach der Flut: drei Suizide im Ort

Ein in die Jahre gekommener Volvo Kombi mit gelben Felgen fährt vor: „Dirk“ und „Helfertaxi“ steht auf dem Klebeband am hinteren Seitenfenster. „Jemand einen Kaffee oder ein Teilchen?“, fragt der Mann, der Frührentner ist und seit der Flut an sechs von sieben Tagen aus dem Rheinland ins Ahrtal fährt, um Helfer zu versorgen. Bundesstraße rauf und runter. Acht, zehn, zwölf Stunden am Tag.

Manchmal sei er auch ein bisschen Seelsorger, sagt er. Das sei wichtig, viele seien allein mit ihrem Schmerz und den sich auftürmenden Problemen. Drei Suizide – er zeigt in Richtung einer Siedlung – habe es nach der Flut gegeben. Dann holt er eine Ukulele aus seinem Volvo und spielt ein Lied. „Ich“, sagt er, „bin der reichste Mann hier.“

Reich an Dank, meint er.