Hagen. Die Corona-Krise traf den Hagener Diskobetreiber Mike Henning hart. Doch er suchte nach Lösungen – und hat jetzt mehr Mitarbeiter als zuvor.

Die Corona-Krise hat Mike Henning (47) schwer getroffen: Seine Großraum-Diskothek „Capitol“ in Hagen, eine der größten in Südwestfalen, ist seit Monaten dicht. Aus der Verzweiflung aber erwuchsen neue Ideen – und mittlerweile beschäftigt er mehr Mitarbeiter als je zuvor, weil er mehrere Testzentren eröffnete. Nebenbei setzt er bei der Umgestaltung des Hengsteyseeufers ein stadtprägendes Großprojekt in Hagen mit um. Was ihn antreibt und was er anderen Gründern rät.

„Zuversicht ist für jeden ein Lebenselixier“

Frage: Herr Henning, was bedeutet für Sie das Wort Zuversicht?

Dass man eine Perspektive hat, wie es weitergeht, wie man weiterkommt, wie man durch eine schwere Zeit hindurch kommt.

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Ist das die Antwort des Unternehmers oder der Privatperson?

Sowohl als auch. Zuversicht ist ein Lebenselixier für jeden Menschen in jeder Situation. Es ist elementar wichtig, zu wissen, wohin man will und wie der Weg aussehen könnte.

Das heißt: Sie haben immer konkrete Ziele für die Zukunft?

Ich habe zumindest eine grobe Vorstellung, aber man muss sich auf dem Weg auch Raum für Abweichungen geben. Das schafft Innovationen, an die man vorher noch nicht gedacht hätte. Und ganz wichtig ist, sich vor Augen zu führen, dass es niemals für irgendetwas zu spät ist. Ray Kroc war mit 50 Jahren noch Shakemaschinenverkäufer, ehe er das Weltunternehmen McDonald’s gründete. Es ist immer alles möglich. Das ist Inspiration.

„Ich habe als Gründer auch schon echt viel so richtig verkackt“

Diese Geschichten sind allerdings nicht gerade die Regel.

Das stimmt, vor allem nicht in dem Ausmaß. Es ist ja auch nicht so, als wäre ich nicht auch schon schwer auf die Fresse gefallen. Ich habe als Gründer auch schon echt viel so richtig verkackt. Der Versuch, in Hagen ein Waffelgeschäft zum Erfolg zu führen, war so einer. Da habe ich auf ganzer Linie versagt.

So sehen Sie das dann?

Ich halte es für sehr wichtig, die Gründe für Misserfolge – egal ob privat oder geschäftlich – bei sich selbst zu suchen. Da finde ich immer so viel, dass da genug Potenzial schlummert, um mich zu verbessern. Fehler von anderen bringen mich nicht weiter. Ich denke: Wenn du nicht auch schon ordentlich gescheitert bist, dann ist es noch schwerer erfolgreich zu sein. Die Demut, auch die andere Seite zu kennen, hilft unheimlich.

Wie gehen Sie mit der Corona-Krise um. Ihre Diskothek „Capitol“ ist seit Monaten geschlossen.

Ich rede hier von Zuversicht. Die braucht man, klar. Aber die habe auch ich nicht immer. Im Gegenteil: Ich bin sehr emotional und kann an manchen Tagen richtig schwermütig sein. Ich habe dann keine Kraft, schließe mich zu Hause ein, bin schlecht gelaunt. Von diesen Tagen hatte ich viele in den vergangenen fast anderthalb Jahren. Als das Capitol geschlossen hatte und ein gerade begonnenes Projekt – ein weiterer Gastronomie-Betrieb – unter den Auflagen litt, habe ich monatlich rund 30.000 Euro verloren. So schnell kann man das Geld niemals verdienen, wie es da wegknallt. Da hängen Arbeitsplätze dran. Deswegen ging es mir oft schlecht.

„Wie beim Pokern, ich gehe all in, setze alles und sage: Wenn scheitern, dann richtig“

Wie befreien Sie sich?

Ich zwinge mich, wieder anzupacken und was Neues zu probieren.

Sie haben kurz vor der Pandemie einen zweiten Laden in Hagen eröffnet und treten nun als Investor bei der Neugestaltung des Hengsteyseeufers mit Strandrestaurant und Beach-Club in Erscheinung. Sind Sie verrückt?

(lacht) Vielleicht ein bisschen. Es ist vermutlich so etwas wie die Flucht nach vorn. Wie beim Pokern, ich gehe all in, setze alles und sage: Wenn es schief geht, dann krachend.

Ist das Ihr Charakter?

Nein, nicht unbedingt. Eigentlich mag ich Sicherheit, aber ich kann eben auch sehr impulsiv sein und Dinge durchziehen, wenn ich davon überzeugt bin. Wenn ich an die Anfänge der Diskothek denke, an den Ärger, den es gab, an die Widerstände, dann denke ich manchmal auch: Boah, bist du krass. Du hast das einfach durchgezogen. So ähnlich ist es jetzt mit dem Strand-Projekt am Hengsteysee. Sieben Bewerber gab es zu Beginn der Ausschreibung. Am Ende war noch einer übrig. Ich fühle mich gut und sicher damit. Vielleicht hilft es auch einfach, abgelenkt zu sein, sich in Arbeit zu stürzen, um Corona zu verdrängen.

Eine weitere Idee von Ihnen: Im Capitol wurde plötzlich nicht mehr getanzt, sondern getestet.

Die ganze Zeit über kreisten meine Gedanken um die Frage, wie ich wieder Gäste in die Disko bekomme. Und mir war schnell klar, dass das nur mit Tests gehen würde. Also habe ich mich in die Materie eingelesen: wie schnell gehen die, was kosten die, wo kriege ich die her? Ich habe sogar welche bestellt, um die geplante Halloween-Party veranstalten zu können. Wurde aber verboten. Das war deprimierend.

Testzentren in Herdecke, Wetterer, Witten, Gladbeck, Wesel

Wie kam es zum Testzentrum?

Ich habe mich weiter damit beschäftigt, bis mir die Idee kam, die Location und meine Mitarbeiter zum Aufbau eines Testzentrums sozusagen zu vermieten. Am 15. Dezember hatten wir geöffnet, wir waren das erste Testzentrum in Hagen. 29 Euro kostete der Test damals. Finanziell war das nicht der Rede wert, aber das Gute war, dass wir alle wieder eine Aufgabe hatten. Als die Bürgertests kamen, dachte ich: Jackpot, jetzt rennen sie dir die Bude ein. War aber nicht so.

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Aber?

Dadurch, dass wir so früh eine gewisse Expertise aufgebaut hatten, waren wir ein gefragter Ansprechpartner. Normalerweise wirst du ja als Diskotheker abgestempelt und belächelt: 500er SL, Goldkette, irgendwie unseriös. Aber ich hatte schnell einen guten Ruf auch beim Gesundheitsamt. Die haben gesehen, dass ich mich reinhänge und mich bemühe. Mittlerweile haben wir neue Testzentren aufgebaut: Herdecke, Wetter, Witten, Gladbeck, Wesel. Manchmal sogar zwei pro Stadt. Mittlerweile ist das auch lukrativ. 170 Menschen habe ich einstellen können, 100.000 Euro schütten wir an die aus. So viele hatte ich mit der Disko nicht auf der Payrole. Nur schade, dass die Testzentren so in Verruf geraten sind.

Haben Sie Glück gehabt?

Vielleicht. Aber ich glaube, dass man sich Glück verdienen kann, in dem man Dinge tut und anpackt. Irgendwas entwickelt sich immer. Kollegen haben mir immer gern vorgehalten, dass ich mich nicht genug auf eine Sache konzentriere, dass ich zu viele unterschiedliche Dinge mache. Es hat sich gezeigt, dass das auch ein Vorteil sein kann. Jeder Gründer, der diese Krise – wie ich – auch mit Hilfe des Staates hinter sich lässt, kann stolz auf sich sein. Ich denke, dass man aus jedem Schlechten auch etwas Gutes ziehen kann. Man muss es nur finden.