Menden. Die Pandemie hat den Trend zum Nichtschwimmen massiv verstärkt. Seit April dürfen in NRW Anfänger-Kurse laufen. Beobachtungen in Menden.

Milan (5) ist in den letzten Wochen zu einer richtigen Wasserratte geworden. „Er war richtig neidisch auf seinen großen Bruder, der schon schwimmen konnte“, sagt seine Mutter Julia Kozub, die ihren Sohn zum Anfänger-Schwimmkurs der Schwimmschule Herrmann in Menden gebracht hat.

Auch interessant

Corona-bedingt konnte monatelang kein Schwimmunterricht stattfinden. Milans Eltern versuchten es im Garten-Pool. „Darauf hatte er keine Lust.“ Nach einem Monat Kurs in Menden (drei Mal in der Woche) mit vier weiteren Kindern sowie Schwimmnudeln und -scheiben ist Milan jetzt stolz wie Bolle, dass die erste Etappe zum sicheren Schwimmen geschafft ist und das Seepferdchen winkt – das Frühschwimmer-Abzeichen.

Auf Tuchfühlung zum Element Wasser. Bis zur Änderung der Coronaschutzverordnung zum 28. Mai waren in NRW nur Anfänger-Schwimmkurse mit fünf Teilnehmern erlaubt.
Auf Tuchfühlung zum Element Wasser. Bis zur Änderung der Coronaschutzverordnung zum 28. Mai waren in NRW nur Anfänger-Schwimmkurse mit fünf Teilnehmern erlaubt. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Lya Minel (6) hatte Angst vor Wasser, wie wo viele Kinder. „Selbst wenn sie es unter der Dusche in die Augen bekam“, erzählt ihre Mutter Eslin Ayhan. Schon nach der dritten Unterrichtsstunde planschte Lya Minel ohne Schwimmflügel: „Sie hat ihre Angst überwunden.“

Nicht mehr wasserscheu

Das gilt auch für Luisa (7) und Levin (5). „Sie sind nicht mehr wasserscheu“, sagen unisono ihre Mütter Isabella Glica und Victoria Platt, die Levin drei Mal in der Woche von Hagen nach Menden gebracht hat: „Wir schauen auf die Sommerferien. Eltern haben ein viel besseres Gefühl, wenn sie mit Kindern an die See fahren oder ins Freibad gehen, wenn diese keine Nichtschwimmer mehr sind.“

Solche Sätze hört Dominique Hermann zuhauf. Der Realschullehrer und Schwimmlehrer mit eigenem Betrieb mietet derzeit für die behördlich erlaubten Anfängerkurse das Privatschwimmbecken seines Vaters Wolfgang im Mendener Ortsteil Hüingsen.

Leuchtende Kinderaugen am ersten Schwimmtag

Er hat die Bilder von der ersten Schwimmstunde im April nach langer Corona-Durststrecke vor Augen. „Vor dem Eingang standen Kinder und Eltern bei Schneeregen und Kälte. Sie hatten dennoch leuchtende Augen, weil der Kurs ihnen einen Hauch von Normalität signalisierte.“

Dominique Herrmann ist mit Leib und Seele Schwimmlehrer. Die ausgefallenen Schwimmkurse in der Pandemie sieht er mit großer Sorge: „Wir haben einen Jahrgang der Nichtschwimmer“, sagt er.
Dominique Herrmann ist mit Leib und Seele Schwimmlehrer. Die ausgefallenen Schwimmkurse in der Pandemie sieht er mit großer Sorge: „Wir haben einen Jahrgang der Nichtschwimmer“, sagt er. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Und doch: Die größtenteils ausgefallenen Schwimmkurse und der fehlende schulische Schwimmunterricht in der Pandemie haben den gefährlichen Trend zum Nichtschwimmen in Deutschland massiv verstärkt. „Wir haben einen Jahrgang der Nichtschwimmer“, sagt Dominique Herrmann, „eine katastrophale Entwicklung.“

Zahl der Badeunfälle könnte steigen

Der Lehrer aus Menden will nicht allzu pessimistisch klingen. Aber: „Es ist zu befürchten, dass die Zahl der Badeunfälle weiter steigt.“

Wenn er früher in einer fünften Klasse fragte, wer nicht schwimmen kann, zeigten von 30 Schülern gerade einmal ein oder zwei auf. „Heute kann es gut ein Drittel sein.“

Die Ursache liegt auf der Hand: „Weil immer mehr Bäder geschlossen werden, fehlen die Möglichkeiten, Schwimmunterricht anzubieten.“

Bäderschließungen ein vernachlässigtes Thema

Mit dieser Aussage rennt er bei Klaus Wagner vom Landesverband Westfalen der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) offene Türen ein: „Wie soll man eine Schwimmausbildung machen, wenn kein Bad in der Nähe ist?“ fragt er und spricht von einem vernachlässigten Thema in vielen Kommunen.

Das Problem der Nichtschwimmer sei „wegen fehlender Badezeiten bei gleichbleibend hoher Nachfrage“ bereits vor der Pandemie präsent gewesen. „Aber es potenziert sich jetzt immer mehr.“

Personal bei den Lebensrettern könnte knapp werden

Der DLRG-Bundesverband hat jüngst geklagt, dass im Jahr 2020 knapp 75 Prozent weniger Schwimmprüfungen abgenommen wurden. Bei der Seepferdchen-Prüfung lag der Rückgang ebenfalls bei über 70 Prozent. „Durch die Schließung der Bäder wird der Kampf gegen das Ertrinken mit Blick auf den nahenden Sommer zunehmend zum Problem“, sagte DLRG-Präsident Achim Haag.

Weiteres Problem: Irgendwann wird das Personal bei den Lebensrettern wegen fehlenden Nachwuchses knapp, „weil in der Pandemie keine Aufbau-Schwimmkurse stattfinden konnten“, so Klaus Wagner.

Das Seeräuber-Abzeichen nach dem Seepferdchen

Milan, Lya Minel, Luisa und Levin jedenfalls sind in der Schwimmschule Herrmann auf den Geschmack gekommen. Stolz werden sie ihr Seepferdchen präsentieren und dann auf dem Weg zum Deutschen Jugendschwimmabzeichen in Bronze das „Seeräuber“-Abzeichen anpeilen. Wie es sich für richtige Wasserratten gehört.