Schmallenberg. Am 6. Mai 2001 wurde der Rothaarsteig eröffnet. Wie das Projekt zum Erfolgsmodell wurde, wo es die beste Aussicht und das schönste Foto gibt.
Allein der Geruch ist ein Erlebnis. Fichte, wunderbare, regennasse Fichte liegt in der Luft von Schmallenberg-Schanze, einem Ort, an dem es irgendwann mit dem Auto nicht mehr weitergeht, aber zu Fuß. Darum geht es ja: Wandern. Einstieg in den Rothaarsteig so ziemlich auf der Mitte. Der gut 150 Kilometer lange Weg zwischen Brilon im Hochsauerland und Dillenburg in Nordhessen feiert heute Geburtstag: 20 Jahre.
Eröffnung am 6. Mai 2001. Mit dabei damals gegen überschaubare Gage: Schauspielerin Marie-Luise Marjan, bekannt als Mutter Beimer aus der Lindenstraße. Warum nun ausgerechnet sie? So genau weiß das keiner mehr.
Rothaarsteig: Erst mitleidig belächelt, nun Erfolgsmodell
Nicht einmal Dr. Harald Knoche, der sonst eigentlich alles weiß über diesen Weg. Der 57-Jährige hat nur das erste Treffen der Arbeitsgruppe im Jahre 1997 verpasst, seit 1998 ist der studierte Geograph hauptamtlich als Projektleiter dabei. Er trägt eine rote Jacke, die das Emblem des Wanderweges ziert: hügeliges Gelände. Zum einen. Aber es ist auch ein R, das auf den Rücken gefallen und nie mehr aufgestanden ist. Weiß der angereiste Rothaarsteigbesucher und naturbesoffene Fichtenduftbewunderer natürlich nicht. Recherche ist alles.
Also: Wandern. Zehn Kilometer zum 20. Geburtstag. Und bevor Sie fragen: Ja, 20 Kilometer würden besser passen, aber mit Sport war’s zuletzt nicht weit her, deswegen droht bei zu langer Distanz das Schicksal des R. Das kann ja nun auch keiner wollen.
Harald Knoche schmunzelt auf den ersten Metern, weil er an die ersten Meter – Metapher! – denkt. „Als die Pläne damals bekannt wurden, hat man uns schon manchmal mitleidig belächelt. Nach dem Motto: ,Wandern gehen wir seit 120 Jahren. Wieso brauchen wir jetzt diesen Weg?“ Und er räumt ein: So richtig wusste er ja selber nicht, was daraus werden würde. Heute ist klar: ein gut durchdachtes Marketinginstrument, das zur Erfolgsgeschichte wurde.
Vorzeigeprojekt findet Nachahmer
Ein Gutachten zum wirtschaftlichen Nutzen rechnete jüngst vor, dass jährlich 1,3 Millionen Tagesgäste kommen und 420.000 Menschen, die übernachten. 49 Millionen Euro pro Jahr lassen die Gäste am Rothaarsteig.
Die Bäume biegen sich im Wind. Zwei Waldwege kreuzen sich. Ein Hinweisschild gibt Auskunft. Allein die vollumfängliche Beschilderung war damals neu. Was am Rothaarsteig entstand, fand Nachahmer. Die Wald-Sofas und -schaukeln zum Beispiel, die an prägnanten Orten installiert wurden, finden sich bundesweit an Wanderwegen. Aber sie werden auch an privat verkauft. Für den Garten. Rund 1000 Euro.
Harald Knoche war mehrfach in Griechenland und hat das Rothaarsteig-Konzept vorgestellt. An der Grenze zu Albanien entsteht jetzt sozusagen ein Ableger. Freilaufende Bären gibt’s da. Hier auch? „Nein, nur Wisente. Im Zweifel ist man hier also bedeutend sicherer.“ Stimmt, die Wisente. Nicht, dass uns einer auflauert.
Augen auf also auf dem Weg hinunter zur 40 Meter langen Hängebrücke von Kühhude, dem Ort mit dem vermutlich größten Insta-Faktor. Einfacher ausgedrückt: Wie sehr taugt der Spot für schöne Fotos, die man danach sofort auf seine Social-Media-Plattform hochjagen kann? 25.000 Einträge finden sich auf Instagram unter dem Stichwort Rothaarsteig. Spitzenwert unter den 13 Top-Fernwanderwegen in Deutschland.
Steig-Superlative
Sonstige Superlative, Herr Knoche? Geheimtipp? „Ginsterkopf“, sagt er. Ziemlich einsam, tolle Aussicht.
Der Ort, der die größte Verwandlung hinter sich hat? „Die Ilse-Quelle. Früher war sie umgeben von Hochwald“, sagt Knoche. Dann kam der Borkenkäfer und ruinierte das Holz.
Der geschichtsträchtigste Ort? „Die Ginsburg bei Hilchenbach, wo Wilhelm I. von Oranien-Nassau seinen Feldzug zur Befreiung der Niederlande von spanischer Herrschaft plante.“
Die schönste Aussicht? „Tiefenrother Höhe bei Wilgersdorf. Von dort hat man eine tolle Sicht auf das Siegerland.“ Gerade bei Sonnenuntergang.
Die ungewöhnlichste Begegnung? Knoche überlegt. Dann fällt ihm die Reisegruppe aus Kenia ein, die er einst empfing. „Darunter waren zwei Staatsminister. Sie interessierten sich dafür, wie wir das aus touristischer Sicht gelöst hatten.“ Es hieß, sie würden auch wandern wollen. Die bunten Gewänder der Damen und die spitzen Lackschuhe der Herren erwiesen sich aber als eher ungeeignet für den Rothaarsteig. Wie auch das Schuhwerk des Fichtenduftbewunderers. Blase links, Schmerzen rechts. Ist aber nicht mehr weit. Die letzten Meter – Achtung, Metapher –, aber wohin geht der Weg?
Wanderin liegt im Trend - vor allem seit der Corona-Pandemie
Die Klientel hat sich verändert. „Wandern ist in – auch bei Jüngeren. Das hat was von Wellness“, sagt Knoche. Die Pandemie trägt ihren Teil bei. „Es ist voller als sonst hier.“ Um 67 Prozent stieg die Zahl der Zugriffe auf der Homepage seitdem.
„Ich bin mit dem Rothaarsteig eng verbunden und auch ein bisschen stolz, dass ich an der Umsetzung maßgeblich mitbeteiligt war“, sagt Harald Knoche: „Es gibt nicht viele touristische Attraktionen, die 20 Jahre alt sind und immer noch funktionieren.“