Hagen. Im April 1961 traten die ersten Zivildienstleistenden ihren Dienst an. Ein Gespräch 60 Jahre danach mit einem ehemaligen „Zivi“ und einem „Bufdi“.

Im April 1961 startete der erste Zivildienstleistende in Deutschland. 60 Jahre danach haben wir einen einstigen „Zivi“ und eine junge Frau, die derzeit ihren Bundesfreiwilligendienst ableistet, zum Gespräch gebeten. Arno Kuge (69) war 1976 als Zivildienstleistender im Evangelischen Krankenhaus („Mops“) in Hagen-Haspe tätig. „Bufdi“ Rebecca Ditzler (20) schiebt noch bis Ende Juni ihren Dienst als Pflegehilfskraft in der Notfallambulanz im Allgemeinen Krankenhaus Hagen (AKH).

Herr Kuge, die ersten Zivis in den 60er Jahren hatten den Ruf weg, sie seien Drückeberger und langhaarige Kommunisten. Hatten Sie 1976 noch mit solchen Vorwürfen zu kämpfen?

Arno Kuge hat seine Zivildienst-Zeit nie bereut.
Arno Kuge hat seine Zivildienst-Zeit nie bereut. © privat

Arno Kuge: Durchaus. Der Ruf war zwiespältig. Natürlich wurde uns vorgehalten, wir wollten uns vor der Bundeswehr drücken. Auf der anderen Seite wurde den allermeisten Zivildienstleistenden durch ihre konkrete Arbeit – vor allem als Pflegehilfskräfte – Respekt entgegengebracht.

Wie viel Energie mussten Sie aufbringen, um als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden?

Arno Kuge: Sehr viel. Ich musste mich durch drei Instanzen kämpfen. Die mündliche Gewissensprüfung wurde fatalerweise von Angestellten der Bundeswehr vorgenommen. Ich erinnere mich daran, dass ich gefragt wurde, ob ich zusehen wolle, wenn ich mit meiner Freundin durch einen Wald gehe und dort ein Unbekannter sie vergewaltigen wolle. Es wäre doch klar, dass man in einem solchen Notfall abwehrende Gewalt anwenden müsse. In den ersten beiden Instanzen waren Verwaltungsbeamte der Bundeswehr mit meinem Fall beschäftigt. Glücklicherweise hat die dritte Instanz, das Verwaltungsgericht, meine Klage objektiv geprüft.

Warum wollten Sie nicht zur Bundeswehr?

Arno Kuge: Ich nenne es eigene indirekte Erfahrungen. Zum einen die konkreten Erfahrungen der Eltern mit Krieg und Vertreibung. Zum anderen die Berichterstattung über kriegerische Auseinandersetzungen. Das Hauptereignis war der Vietnam-Krieg. Ich, damals überzeugter 68-er, konnte sehen, wie sinnlos ein Krieg ist, wie sinnlos das Töten ist. Der Krieg hat praktisch nichts bewirkt, nur großes menschliches Leid verursacht. Geprägt hat mich auch die Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg in der Literatur. Zum Beispiel in Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“. Darin heißt es: „Als der Krieg aus war, kam der Soldat nach Hause. Aber er hatte kein Brot. Da sah er einen, der hatte Brot. Den schlug er tot. Du darfst doch keinen totschlagen, sagte der Richter. Warum nicht, fragte der Soldat.“ Die Textstelle hat mich sehr beeindruckt. Sie hat mir klar gemacht, dass ich nicht am Abzug sitzen will und Menschen, die ich nicht kenne, nicht einfach töten möchte. Bis heute bin ich überzeugter Pazifist.

Frau Ditzler, wie politisch ist Ihre Generation? Wenn Sie zu Zivildienst-Zeiten von Herrn Kuge gelebt hätten, wären Sie zu ähnlichen Überlegungen gekommen wie er?

Rebecca Ditzler leistet den Bundesfreiwilligendienst in einer Notfallambulanz.
Rebecca Ditzler leistet den Bundesfreiwilligendienst in einer Notfallambulanz. © privat

Rebecca Ditzler: Ich glaube schon. Das politische Interesse passt sich immer an die aktuelle Lage an. Damals stand der Vietnam-Krieg im Fokus, heute ist es das Thema Umweltschutz. Wie man an der Fridays-for-Future-Bewegung sieht, geht man heute für die Umwelt auf die Straße.

Was wissen Sie über den Zivildienst, der 2011 mit dem Aussetzen der allgemeinen Wehrpflicht ebenfalls sein Ende fand?

Rebecca Ditzler: Mein Wissen darüber habe ich aus Erzählungen von meinem Vater, der einst selbst Zivildienstleistender in einem Krankenhaus war. Er hat den Dienst dort immer als sehr bereichernd beschrieben und schon gar nicht als verlorene Zeit. Er wollte ohnehin Medizin studieren.

Was war Ihre persönliche Motivation, Bufdi zu werden?

Rebecca Ditzler: Wie mein Vater wollte auch ich immer Medizin studieren. Trotz eines Abitur-Schnitts von 1,5 im vorletzten Jahr warte ich noch auf einen Studienplatz. Ich hatte die Hoffnung, dass mein Notendurchschnitt durch eine angerechnete Tätigkeit beim Bundesfreiwilligendienst entscheidend nach oben geht. Im Moment reicht es aber noch nicht. Also habe ich mich entschlossen, vor dem Studium noch eine Ausbildung zur Pflegefachfrau zu machen.

Also ist Ihre Arbeit als Bufdi auch für Sie keine verlorene Zeit?

Rebecca Ditzler will nach dem Bundesfreiwilligendienst eine Ausbildung zur Pflegefachfrau machen.
Rebecca Ditzler will nach dem Bundesfreiwilligendienst eine Ausbildung zur Pflegefachfrau machen. © privat

Rebecca Ditzler: Auf keinen Fall. Ich konnte wichtige Erfahrungen sammeln und weiß jetzt, dass ich im Krankenhaus, in der medizinischen Versorgung, richtig aufgehoben bin. Ich glaube, dass ich am Ende der zwölf Monate ein neues Selbstbewusstsein und eine gewisse Eigenständigkeit gewonnen habe. Ich musste mich schnell auf neue Situationen und neue Leute einstellen. Das war eine gute Schule fürs Leben. Grundsätzlich wird es in meiner Generation immer schwieriger, wegen der vielen Auswahlmöglichkeiten sich für einen zukünftigen Beruf zu entscheiden. Viele aus meinem Abiturjahrgang wussten nicht so recht, was sie machen sollen. Um Zeit zum Überlegen zu bekommen, entschied sich so mancher für den Bundesfreiwilligendienst.

Ziehen Sie ebenfalls eine positive Zivildienst-Bilanz?

Arno Kuge: Unbedingt. Es war für mich mehr als segensreich. Ich war ja untypisch eingesetzt – nicht in der Pflege, sondern in der Verwaltung. Nach meinem Diplom als Ökonom war der Zivildienst für mich so etwas wie eine nachgezogene Lehre. Ich habe so Krankenhaus von der Pike auf gelernt und bin dem Thema mein ganzes Berufsleben – am Ende als Manager ganzer Klinikgruppen – treu geblieben.

Herr Kuge hat zu seiner Zivi-Zeit mit Vorurteilen zu kämpfen gehabt. Sind Vorurteile heute noch ein Thema?

Rebecca Ditzler: Überhaupt nicht. In meiner Generation ist es fast schon gang und gäbe, einen Bundesfreiwilligendienst oder ein freiwilliges soziales Jahr zu machen. Nein, ich habe nur positive Rückmeldungen aus meinem Umfeld erhalten.

Damals wie heute schwebt der Vorwurf im Raum, Zivis und Bufdis seien billige Arbeitskräfte. Was sagen Sie dazu?

Rebecca Ditzler: O.k., ich bekomme zwei Euro pro Stunde. Aber ich mache ja nicht den Bundesfreiwilligendienst, um mir ein gutes Leben zu finanzieren. Sondern für die Erfahrungen, die ich sammle, für die Chancen, die sich anschließend mir bieten. Letztlich finde ich es in Ordnung, dass meine Arbeit mit diesem Taschengeld vergütet wird.

Arno Kuge: Wir waren schon billige Arbeitskräfte, das will ich gar nicht verleugnen. Meine Stelle wäre sonst von einer Verwaltungsfachkraft besetzt worden. Zivildienstleistende waren insbesondere in Krankenhäusern unentbehrlich. Als es sie nicht mehr gab, wandten sich die sozialen Einrichtungen nicht ohne Grund sorgenvoll an die Regierenden. Wenn man den Gleichheitsgrundsatz ernst nimmt, sollte man nach meiner Meinung eine allgemeine Dienstpflicht im zivilen Bereich einführen. Bislang leisten einige diesen Dienst an der Gemeinschaft, während andere in der Zeit schon einmal beruflich Karriere machen können. Das ist nicht gerecht.