Hagen. Die dritte Welle wächst wegen der Corona-Mutation schon im Hintergrund, so Virologe Rolf Kaiser. Warum er trotzdem Lockerungs-Perspektiven sieht.

Die Sonne scheint, der Frühling kommt, die Menschen warten sehnlichst auf weitere Lockerungen im gesellschaftlichen Leben – aber die Corona-Lage bleibt weiter höchst unsicher. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag am Sonntag in Nordrhein-Westfalen bei 61,0 – und damit etwas höher als am Freitag. Im Regierungsbezirk Arnsberg sind es aktuell sogar 73,9 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche – auch ein leichter Anstieg. Im Hochsauerlandkreis gibt es gar ein dickes Plus von mehr als 25 Prozentpunkten. Wie ist die Gesamtlage einzuordnen? Welche Perspektiven gibt es? Ein Gespräch mit Dr. Rolf Kaiser, dem Leiter der molekularen Diagnostik am Institut für Virologie der Uniklinik Köln.

Muss uns die Stagnation schon beunruhigen? Ist sie der Vorbote, dass es unausweichlich zu einer dritten Welle wegen der Virus-Mutationen kommen wird?

Die Werte sind tatsächlich höher, als wir sie uns derzeit wünschen würden. Und in der Tat gibt es derzeit eine ungewisse Situation. Selbst sinkende Werte bei den Neuinfektionen können uns in falscher Sicherheit wiegen. Wie ich schon erklärt habe: Wenn wir an einem Tag 100 neue Fälle haben, wovon zehn auf das mutierte Virus entfallen und am nächsten Tag nur 90, wovon 70 auf das alte Virus und 20 auf die viel ansteckendere Mutation entfallen, dann haben wir auf den ersten Blick eine Entspannung, aber im Hintergrund baut sich eine neue Welle auf.

Müssen wir uns deshalb die erhofften Lockerungen in den kommenden Wochen wieder abschminken?

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Ich meine nicht, dass das zwangsläufig geschehen muss. Ich denke, dass wir vielmehr den Weg über erheblich mehr Tests gehen sollten. Das heißt konkret: Ich mache zum Beispiel am Freitag einen Test. Nicht einen dieser Selbsttests, die es bald geben soll, das erscheint mir zu unverlässig, weil ja niemand anders das Ergebnis bescheinigt. Sondern einen Test in einem der Testzentren oder - wie es bald möglich sein wird- in Apotheken. Mit dieser Bescheinigung des negativen Ergebnisses, die 48 Stunden gültig ist, kann ich dann Samstag erst in einem Geschäft einkaufen, dann zum Friseur gehen und abends noch im Restaurant essen.

Aber eine 100-prozentige Sicherheit, nicht infiziert zu sein und andere anzustecken, gibt es nicht?

Nein, die gibt es nicht, und es bleibt ein Restrisiko. Mit einer massiven Ausweitung von Tests - und dazu haben wir jetzt die Kapazitäten - können wir aber das Infektions-Riskio massiv senken und wieder mehr gesellschaftliches Leben ermöglich, auch wenn die Inzidenzen weiter hoch bleiben. Natürlich unter strenger Einhaltung der AHA-Regeln: Abstand halten, Hygiene und Alltagsmasken. Die Frage ist: Stößt man da bei den Bürgern auch auf Akzeptanz, dass man gewisse Dinge nur mit einem negativen Testergebnis machen kann?

Spätestens ab Mai würde in normalen Zeiten wieder die Saison von Schützenfesten, Kirmes und Konzertfestivals starten. Viele hoffen, dass sie dieses Jahr wieder stattfinden können. Ist diese Hoffnung vergebens?

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Die warmen Temperaturen und damit der kommende Sommer arbeiten gegen die Virusausbreitung. Und in der Tat hatten wir schon die Überlegung, ob man dann wieder Großveranstaltungen durchführen kann. Denkbar wären zum Beispiel wieder Fußballspiele oder Stadionkonzerte mit Testbescheinigung oder Antigenschnelltests vor Ort. Dann müssten die Zuschauer etwa vom Roten Kreuz oder anderen Organisationen in Wartebereichen getestet und mit negativem Ergebnis ins Stadion gelassen werden. Ein Stadion ist nämlich in Bezug auf den Zutritt gut zu kontrollieren. Mehr Freiheiten wären jetzt ehrlicherweise noch Wunsch und Spekulation.

Hilft der weitere Impffortschritt nicht auch dabei, dass wir auch eine höhere Inzidenz aushalten können?

Mit dem Impfen schützen wir derzeit die Menschen, die besonders gefährdet sind. Das ist super und auch sehr, sehr wichtig. Allerdings wird das Impfen derzeit noch nicht dazu beitragen, dass die Inzidenzen sinken. Das wird erst geschehen, wenn die breite Masse der Bevölkerung geimpft worden ist.