Hagen. Die mutmaßliche Hochstapelei des angeblichen Arztes im Impfzentrum Hagen ist kein Einzelfall. Psychologen erklären die Motive und Methoden.

Nach der Inhaftierung des 32-Jährigen, der als angeblicher Arzt im Hagener Impfzentrum arbeitete, gehen die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft unvermindert weiter. Der falsche Arzt in Hagen ist kein Einzelfall in der Medizingeschichte.

+++ Falscher Arzt in Hagen festgenommen: Das sind die Hintergründe zu dem Fall+++

Seit Jahrzehnten gibt es immer wieder Menschen, die sich als Arzt ausgeben, ohne die notwendige Qualifikation zu besitzen. Bundesweit bekanntester Fall ist der des Postboten Gert Uwe Postel, der als stellvertretender Amtsarzt in Flensburg und als Oberarzt in einer psychiatrischen Klinik in Sachsen tätig war. Seine Köpenickiaden fasste er in zwei Büchern ("Doktorspiele", "Die Abenteuer des Dr. Dr. Bartholdy") zusammen.

Falscher Arzt in Hagen: Hohes Sozialprestige im medizinischen Bereich

Auch die wissenschaftliche Forschung befasst sich mit Hochstaplern. „Hochstapler haben in der Regel ein ausgeprägtes soziales Geltungsbewusstsein und suchen sich gerne den medizinischen Bereich aus, weil hier ein hohes Sozialprestige herrscht“, sagt der Biopsychologe Peter Walschburger von der Freien Universität Berlin auf Anfrage. Es seien meist charmante, aber egozentrische Personen, die „keine Skrupel haben, andere zu betrügen und eine große Unbekümmertheit gegenüber möglichen Sanktionen an den Tag legen“.

Nach Ansicht des Persönlichkeitspsychologen Gerhard Stemmler (Universität Marburg) beginnt der typische Hochstapler immer, sich eine neue soziale Rolle zuzulegen. „Das gelingt nur, wenn er eine hohe Beobachtungsgabe im beruflichen Umfeld hat. Er lernt also, zum Beispiel die Rolle des Arztes durch hohes Einfühlungsvermögen, soziale Imitation und eine gute Portion allgemeiner Intelligenz einzunehmen.“ Schließlich müsse er sich schnell das "Fachvokabular aneignen und die soziale Struktur im Krankenhaus begreifen".

Hagen: Angeblicher Arzt habe sehr gute Lernfähigkeit

All dies setzte eine sehr gute Lernfähigkeit voraus: "Er korrigiert sein Verhalten stets so, dass die Diskrepanz zwischen eigenem Verhalten und dessen vermuteter Bewertung durch die anderen Menschen in der sozialen Situation möglichst klein ist." Durch sein Einfühlungsvermögen, so Stemmler weiter, schafft der falsche Arzt Vertrauen bei anderen: "Er kann mit Charme andere für sich einnehmen."

Was treibt Hochstapler an? Hochstapler suchten nach sozialer Anerkennung, Macht über andere und bessere Verdienstmöglichkeiten, sagt Gerhard Stemmler: „Das steigert ihr Selbstwertgefühl.“ Und sie seien überzeugt davon, dass ihnen Erfolg und Anerkennung zustehen.

Strukturen für Hochstapler: Klare Hierarchie in Krankenhäusern

Dass sich Hochstapler den medizinischen Bereich aussuchen, kommt nach Auffassung des Persönlichkeitspsychologen nicht von ungefähr. Beispiel Krankenhaus: "Hier gibt es eine klare hierarchische Struktur von Über- und Unterordnung, was  einerseits den Rollenerwerb erleichtert und andererseits dem Bedürfnis nach Macht und Anerkennung entgegen kommt."

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Stefan Röpke, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité sieht in Hochstaplern Menschen, „die große Kreativität und Raffinesse dabei zeigen, sich immer wieder neu anzupassen“. Sie suchten sich gerne den medizinischen Bereich aus, "weil sie dadurch in eine soziale exponierte Stellung kommen können. Häufig steht dahinter der Wunsch nach Größe und Bedeutung."

Unfähig zu Beziehungen auf Augenhöhe

In vielen Fällen seien es Personen, die Schwierigkeiten hätten mit echter Nähe, „die unfähig sind zu Beziehungen auf Augenhöhe (Familie, Freundeskreis)“. Bricht ihr Kartenhaus zusammen, gehe es ihnen oft sehr schlecht: „Es zeigen sich dann Leidensmomente der Leere, der Sinnlosigkeit oder der Einsamkeit.“