Hagen. Seit Montag wird in NRW das Personal in Krankenhäusern gegen das Coronavirus geimpft. Aber sind auch genügend Beschäftigte dazu bereit?
Die 1300 Impfdosen, die bis Donnerstag kommen sollen, reichen am Klinikum Hochsauerland gar nicht für alle Ärzte und Pfleger, die bereit sind. „Wir mussten eine Priorisierung vornehmen, weil mehr Kollegen ihre Impfbereitschaft signalisiert haben als in dieser Woche Impfdosen zur Verfügung stehen“, sagt Richard Bornkeßel, der Sprecher des Klinikums mit vier Krankenhaus-Standorten in Arnsberg und Meschede. In Hüsten ist ein eigenes Impfzentrum für das Personal eingerichtet worden, das sich seit gestern gegen Corona impfen lassen kann.
So hoch ist die Bereitschaft in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen aber offenbar nicht überall, so dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine Impfpflicht für das Personal ins Spiel gebracht hat. Andreas Braselmann bringt dieser Vorstoß auf die Palme: „Hier wird eine gesellschaftliche Grundsatzdiskussion auf unseren Rücken ausgetragen“, kritisiert er, „warum wird nur nach Ärzten und Pflegenden gerufen?“
Seit 30 Jahren als Krankenpfleger tätig
Andreas Braselmann arbeitet seit 30 Jahren als Krankenpfleger. Der Hagener liebt seinen Job und will sich „so schnell wie möglich“ impfen lassen: „Die Sorge, an Covid-19 zu erkranken und andere zu gefährden, ist weitaus größer als die Sorge vor Nebenwirkungen beim Impfen“, sagt er.
Braselmann sieht seine Berufsgruppe als Spiegelbild der Gesellschaft: „Auch unter dem Klinikpersonal gibt es welche, die sich sofort impfen lassen wollen. Andere warten ab oder sind skeptisch.“
Aber: Je näher man an der Versorgung von Covid-19-Patienten sei, je häufiger man Kontakt zu Patienten mit entsprechenden Lungenerkrankungen hat, umso geringer werde die Skepsis: „Luftnot bei Patienten ist das, was Pflegende am wenigsten mögen.“
Impfquote bei 80 Prozent
Carsten Kunz ist Personalchef beim Hagener Pflegeunternehmen Wohlbehagen mit 530 Mitarbeitern und hat sich selbst impfen lassen. „Beim Start in unserer ersten Einrichtung gab es noch eine gewisse Zurückhaltung“, sagt er, „mittlerweile liegt die Impfquote bei über 80 Prozent.“
Dies habe viel mit Aufklärung und persönlicher Betroffenheit zu tun: „Mit steigenden Erkrankten-Zahlen werden Infektionsgeschehen und Krankheitsverläufe greifbarer. Den Beschäftigten wird vor Augen geführt, dass sie nicht nur ihren Familien, ihrem Arbeitgeber und sich selbst gegenüber Verantwortung haben, sondern auch gegenüber den Pflegebedürftigen.“
Psychologen sprechen vom Versuchskaninchen-Syndrom
Auf der anderen Seite: Psychologen haben bereits den Begriff des Versuchskaninchen-Syndroms geprägt. Die Angst vor Nebenwirkungen, vor Langzeitfolgen, sei daher auch ein Grund für ihre Impfskepsis, sagt eine Krankenpflegerin, die sich nur anonym äußern möchte.
„Wer garantiert mir, dass ich nach der Impfung noch Kinder bekommen kann?“, fragt sie und beklagt die fehlende Wertschätzung für Pflegeberufe: „Ich fühle mich ausgenutzt. Und dann wollen andere auch noch über meinen Körper bestimmen?“
"Es fehlt ein komplettes Bild"
Im Verlauf des Gesprächs gesteht sie ein, sich nicht richtig informiert zu fühlen. „Unter Kollegen sprechen wir zwar viel über das Thema. Jeder schnappt etwas im Internet auf. Aber irgendwie fehlt mir ein komplettes Bild.“
Jens Schilling, Anästhesie-Pfleger am Allgemeinen Krankenhaus in Hagen, kann das nur bestätigen. Denn es reiche gerade bei medizinischem Personal nicht aus, auf ein ohnehin vorhandenes Grundwissen und die Medien zu setzen. „Hier muss detailliert informiert werden, um mögliche Bedenken auch wirklich fundiert auszuräumen.“
Vorbehalte gegen den Impfstoff
Er selbst wird sich impfen lassen. „Ich kann auch nicht verstehen, wenn man es nicht tut“, sagt der Familienvater. „Alle in den pflegerischen Berufen sind doch auch gegen Hepatitis oder Masern geimpft.“
Aber er weiß auch, dass dies nicht alle Kolleginnen und Kollegen so sehen. Dass es Vorbehalte gegen den Impfstoff gibt, der schnell entwickelt wurde. Dass viele Jüngere sich vielleicht auch gar nicht so gefährdet sehen, weil sie durch ihre Arbeit noch direkter mitbekommen, dass vorwiegend ältere Menschen schwer erkranken und sterben.
Keine Spaltung in der Belegschaft
Zu einer Polarisierung, gar Spaltung in der Belegschaft habe das aber noch nicht geführt: „Man weiß, wer sich impfen lassen will und wer nicht. Aber das wird respektiert.“ Generell sei in seinem direkten Umfeld die Impfbereitschaft hoch: „Ich bin durchaus ein kritischer Mitarbeiter, aber hier hat mein Arbeitgeber die Kolleginnen und Kollegen auch von Anfang an gut informiert und aufgeklärt.“
Der Siegener Arzt Dr. Thomas Gehrke leitet das Impfzentrum in Siegen. Er hätte sich gewünscht, dass die Bundesbürger fundierter informiert worden wären, wie der Biontech-Impfstoff funktioniert.
Mythen über Wirkung und Folgen im Umlauf
Mit mehr Aufklärung und sachlicher Information wären weniger Mythen über Wirkung und Folgen im Umlauf, findet er: „Dass die Impfstelle am Arm mal für ein, zwei Tage leicht schmerzt – ja, das kommt vor. Aber von schwerwiegenden allergischen Reaktionen habe ich noch nichts gehört.“
Ludger Risse vom Pflegerat NRW sieht einen „kausalen Zusammenhang“ zwischen Informationsstand und Impfbereitschaft. Er appelliert immer wieder an seinen Berufsstand, sich kein Impf-Weltbild aus den sozialen Netzwerken zu holen, sondern auf „seriöse Informationen“ von Seiten der Ständigen Impfkommission bzw. des Robert-Koch-Instituts zu setzen. Sollten die Bulletins einmal nur schwer verständlich sein, habe man in Kliniken die Möglichkeit des kurzen Dienstwegs. „Ärzte können Fachsprache übersetzen.“
Falschinformationen in sozialen Netzwerken
Auch Krankenpfleger Andreas Braselmann („Facebook unter Pflegenden ist destruktiv“) und Carsten Kunz vom Pflegeunternehmen Wohlbehagen sehen die Impfskepsis durch soziale Netzwerke befeuert. Falschinformationen könnten die Gefühlswelt von Mitarbeitern durcheinanderwirbeln, sagt Kunz: „Gerade am Anfang war eine starke Verunsicherung zu spüren. Durch eine massenhafte Verbreitung können sich Fake News in den Köpfen verhärten.“