Hagen/Iserlohn/Lüdenscheid. Ist die noch ansteckendere neue Corona-Variante in der Region angekommen? Man weiß es nicht. Denn Labore suchen nicht gezielt danach.

Die Bedrohungslage hat sich verändert. Auch in Deutschland ist die veränderte Variante des Coronavirus schon nachgewiesen worden. Wie weit sie in Deutschland verbreitet ist? Ob sie schon nach NRW oder gar in unsere Region nach Südwestfalen vorgedrungen ist? Wie viele Menschen daran erkrankt sind? Weiß niemand, denn Deutschland sucht – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern – nicht oder kaum nach dem Feind. Zumindest noch nicht.

So sagt etwa Dr. Hans Günter Wahl, der Chef des gleichnamigen Labors in Lüdenscheid, in dem viele tausend Tests aus der Region untersucht worden sind: „Das mutierte Virus spielt aktuell bei unserer Arbeit keine Rolle. Der Nachweis kann nur in wenigen Laboren durchgeführt werden – und das mit sehr hohem Aufwand.“

„Für uns ist die Mutation erst einmal irrelevant“

Eine ähnliche Einschätzung kommt auch vom Geschäftsführer und Ärztlichen Leiter am Eurofins Medizinischen Labor Iserlohn, dem zweiten großen Labor für Corona-Tests in der Region: „Für uns und unsere Testungen ist die Mutation erst einmal irrelevant“, sagt Dr. Georg Kirchner. „Dass Viren sich und ihre Eigenschaften rein zufällig verändern, ist ein normaler Vorgang.“ Labore hat das Unternehmen etwa in Gelsenkirchen, Dortmund, Siegen und Iserlohn. Am Sauerland-Standort werden die CoronaTests zentral abgearbeitet. Krankenhäuser der Region schicken ihre Tests ein, niedergelassene Ärzte, auch die Gesundheitsämter des Märkischen Kreises sowie der Kreise Siegen-Wittgenstein und Olpe.

Ob unter den positiv Getesteten schon eine Mutation vorzufinden war, weiß das Labor nicht, denn eine Auswertung, ob es sich um eine Erkrankung mit dem klassischen oder einer mutierten Variante handelt, erfolgt für gewöhnlich nicht. Um den Unterschied zwischen klassischer und mutierter Variante erkennen zu können, muss eine so genannte Sequenzierung durchgeführt werden. Bei Eurofins findet das am Standort Konstanz statt. Die Sequenzen einer Virusprobe werden im Labor untersucht, um sie anschließend mit dem ursprünglichen Coronavirus-Genom oder seinen Mutationen zu vergleichen.

In Deutschland nur wenige Sequenzierungen

Das Coronavirus wird in Deutschland nur wenig auf seine Mutationen untersucht. Vor allem die Variante B.1.1.7, die in Großbritannien Sorge bereitet, steht gerade im Fokus, weil sie deutlich ansteckender ist. Großbritannien überprüft jeden 20. positiven Coronatest, Deutschland nur etwa jeden 900. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn steht deswegen in der Kritik. Der Grund für die Zurückhaltung: der Aufwand. Für Labor-Mediziner Dr. Georg Kirchner hat die Sequenzierung aber auch nicht die oberste Priorität: „Die Krux ist: So genau lässt sich gar nicht sagen, welche Veränderung am Virus welche Veränderung seiner Eigenschaften hervorruft. Das kann man meistens nur schätzen. Es gibt daher auch Wissenschaftler, die zweifeln, ob die betreffende Mutation 70 Prozent ansteckender ist.“

Es sei aber trotzdem wichtig, dass das Virus überwacht werde, um zu wissen, ob es möglicherweise bedeutend aggressiver werde, so Kirchner. „Dennoch glaube ich, dass wir in der Corona-Lage derzeit dringendere Fragestellungen haben. Zum Beispiel: Wir kommen wir von den hohen Infektionszahlen runter?“

Bundesgesundheitsministerium plant eine neue Verordnung

Mehr Sequenzierungen Gleichwohl: Es soll nun mehr dieser Spezial-Untersuchungen geben. Das Bundesgesundheitsministerium plant eine neue Verordnung. Laut Deutschem Ärzteblatt sollen zukünftig zumindest fünf Prozent der Positivtestungen auf Mutationen untersucht werden. Labore, die die technischen und personellen Möglichkeiten zur Sequenzierung haben, sollen demnach verpflichtet werden, die Analyse durchzuführen. Pro Fall können die Labore dann 200 Euro bei den Kassenärztlichen Vereinigungen in Rechnung stellen. Geld, das aus dem Bundeshaushalt stammt.

Das Finanzielle scheint damit geklärt, das Iserlohner Labor könnte den Eurofins-Verbund auch nutzen. Allerdings braucht die Analyse Zeit: „Es dauert mindestens eine Woche, bis das Ergebnis einer Sequenzierung vorliegt“, sagt Labormediziner Dr. Georg Kirchner. Zudem wäre es sinnvoll, wenn die Daten deutschlandweit oder europaweit zentral zusammenfließen, um ein gutes Bild von der Lage zu bekommen.“