Olpe. Der Suchdienst des DRK ermittelt in Fällen von Weltkriegsvermissten. Heinz Römhild aus Olpe wartet auch heute noch auf Hinweise zu seinem Vater.
Heinz Römhild (79) erinnert sich gut an diesen Tag, an diesen Moment. Wie könnte er ihn vergessen? Seine Mutter wurde zu Grabe getragen – und noch während der Trauerfeier auch ein Stück von dem, was er für unantastbare Wahrheit hielt: sein Vater sei nicht sein Vater. Vor dem Haus der Eltern in Bad Salzungen in Thüringen erfuhr er es von seinem Bruder. 1979 war das. 41 Jahre später wartet der Olper immer noch auf Hinweise zum Verbleib seines leiblichen Vaters, sucht er immer noch nach einem Stück seiner eigenen Identität. Die Spur verliert sich im Zweiten Weltkrieg.
Schicksalsklärung durch Spezialisten
Das zumindest haben die Spezialisten vom Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes zusammentragen können. Weniger als ihnen lieb ist. Sie kümmern sich auch 75 Jahre nach dem Ende des Krieges bundesweit um Personen, die einen Verwandten aus dieser Zeit vermissen, die wissen wollen, welches Schicksal den Menschen ereilte, der einem nahe sein müsste, der aber so fern ist, weil sein Verbleib ungeklärt ist. Ob es vielleicht ein Grab gibt, an dem die Trauer einen Platz hat. Ob seine Geschichte vielleicht sogar von Trost erzählt.
„Ich war völlig fertig und schockiert“, sagt Heinz Römhild. Der Ehemann seiner Mutter, der Vater seiner beiden deutlich älteren Brüder, war nicht sein Vater. 38 ist er, als er das erfährt. Er erinnert sich, wie er sich auf dem Zaun abstützen musste, der das Feld nahe des Elternhauses einfriedete. Mit 20 war er aus der DDR geflohen und in Olpe im Sauerland gelandet. Für die Trauerfeier kehrte er damals zurück. Und das Bild setzte sich zusammen: Der vermeintliche Vater, groß und kräftig, anders als er selbst, befand sich Anfang der 1940er Jahre im Kampf, der leibliche Vater sei ein in Thüringen stationierter Panzerfahrer aus Detmold gewesen, der später an die Front abberufen wurde. Name: Bollermann. Vorname: Heinz. So berichtete es der ältere Bruder.
Verwandte vielleicht in Detmold?
Schweigend verbrachte Heinz Römhild den Rest der Trauerfeier, durchwachte eine Nacht in Thüringen und fuhr zurück nach Olpe. Er überlegte, was er tun sollte. Vielleicht, dachte er, gäbe es in Detmold weitere Verwandte. Eine Frau Bollermann, Kinder vielleicht, die seine Halbgeschwister wären. Seine Frau und sein Sohn rieten ihm ab, etwas zu unternehmen: Wer weiß, was da rauskommt. Doch ganz ließ ihn die Ungewissheit nicht los. Vor knapp zehn Jahren schaltete Römhild den Suchdienst erstmals ein.
„Es ist nicht untypisch, dass Menschen, wenn sie älter werden, das eigene Leben reflektieren und Ungeklärtes aufklären wollen, um abschließen zu können“, sagt Aydan Abali vom DRK-Suchdienst in Olpe, der für das gesamte Sauerland zuständig ist. Die Soziologin nimmt die Vermissten-Geschichten auf, fertigt eine Akte an, begleitet die Menschen beim manchmal zehrenden Warten auf Hinweise. Manche Recherche bringt nach wenigen Tagen erste Ergebnisse, andere verlaufen Jahre und Jahrzehnte ohne größeres Resultat.
Informationen über 20 Millionen Menschen
„Manchmal ist das sehr emotional“, sagt Aydan Abali. Das gilt im Guten wie im Schlechten. Einer ihrer anderen Klienten hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, da tauchte der Name des Gesuchten in einer Fachzeitschrift für Briefmarkensammler auf – als Absender eines Briefes.
Ein Name des Vermissten hilft, eine Erkennungsmarke, eine Feldpostnummer. 70 Lkw-Ladungen mit Karteikarten bilden das – mittlerweile auch vollständig digitalisierte – Archiv des Suchdienstes und bieten Informationen über 20 Millionen Menschen: über ehemalige Kriegsgefangene, vermisst gemeldete Personen, verschwundene Kinder. Dort beginnt jede Suche. Zudem hat das DRK Einblick in russische Archive, in denen oft sehr genau dokumentiert ist, welcher Soldat wann in welchem Krankenhaus behandelt wurde, woran er schlimmstenfalls starb und wo er seinen Frieden gefunden hat. Wissen, das Hinterbliebenen ebenfalls Frieden bringen kann.
Suchdienst nur noch bis 2025?
147 Suchen nach Weltkriegsvermissten sind im vergangenen Jahr in Westfalen-Lippe noch abgesetzt worden, mehr als 200 internationale Suchen in Fällen, in denen Familienangehörige durch Flucht getrennt wurden. Der Suchdienst, der vom Bundesinnenministerium mit elf Millionen Euro jährlich gefördert wird, sollte eigentlich 2023 eingestellt werden. Nun wird es ihn bis mindestens 2025 geben.
Heinz Römhild konnte nur mitgeteilt werden, dass sein Vater während des Krieges in Russland als vermisst gemeldet wurde. Er wüsste gern mehr. Nicht, dass er unglücklich wäre. Nicht, dass es ihn nicht schlafen ließe. Aber irgendwo ist doch der Wunsch, Klarheit zu erlangen. Wenn er in der Nähe ist, schaut er beim Suchdienst in Olpe herein und fragt, ob es etwas Neues gibt. Er ist oft in der Nähe.