Olpe. . Wenn sich Familien auf der Flucht verlieren. Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes liefert bewegende Geschichten. Anfragen in Olpe gestiegen

  • Wenn sich Familien auf der Flucht verlieren
  • Suchdienst des DRK liefert bewegende Geschichten
  • Anfragen in Olper Beratungsstelle stark gestiegen

Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) hilft Menschen weltweit, Angehörige wiederzufinden. Die Zahl der Frauen und Männer, die auf der Flucht aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak Eltern oder Geschwister verloren haben, wächst. Bundesweit gibt es seit Anfang des Jahres 2800 Suchanfragen. In Westfalen-Lippe gibt es acht Beratungsstellen, die bei Familienzusammenführungen helfen. Eine davon ist in Olpe.

Das Schicksal

Mit der rechten Hand fährt sie sich über den linken Unterarm. „Ich bekomme schon wieder Gänsehaut“, sagt Valentina Gross. Dieses Schicksal geht ihr unter die Haut. Sie hat den 17-jährigen M. aus Afghanistan noch vor Augen.

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„Als er aus der Schule kam, stand das Haus nicht mehr. Seine Eltern waren tot. Seinen kleinen Bruder, 14 Jahre alt, hat er seitdem nicht mehr gesehen. Er sucht ihn ganz verzweifelt.“ Ob Khanabad oder Taloqan im Nordosten des Landes, den Ort weiß Valentina Gross nicht mehr. Die 36-Jährige stockt.

Das Drama nimmt auch sie mit. „Er hat vor mir gesessen und bitterlich geweint. Dass er wie aus heiterem Himmel ohne Familie war, hatte er offenbar die ganze Zeit vollkommen ausgeblendet. Bei mir in der Sprechstunde hat er zum ersten Mal darüber geredet.“

Die Spurensuche

Die DRK-Mitarbeiterin setzt alle Hebel in Bewegung, nimmt seine Daten auf, gleicht sie mit vorhandenen Informationen ab, leitet die Anfrage zum DRK-Suchdienst nach München weiter. Sein Bild taucht auf der Plattform www.tracetheface.org des DRK im Netz auf, bei Jugendlichen unter 18 Jahren in einem geschützten Bereich. „Aktuell kommen am häufigsten Afghanen zu uns, die den Kontakt zu Bruder, Schwester, Vater oder Mutter verloren haben.“ Trotz neuestem Handy, trotz Internet.

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Von Joachim Karpa, Sören Kittel und Beate Kranz

Nicht immer ist es leicht, an konkrete Daten zu kommen. Oft kennen die Flüchtlinge ihr genaues Geburtsdatum nicht, geschweige das ihrer Geschwister oder Eltern. Nicht zuletzt variiert die Schreibweise des Hausnamens aufgrund unterschiedlicher Erfassung.

„Mit Dolmetscher“, sagt Torsten Tillmann, hauptamtlicher Vorstand des DRK-Kreisverbandes Olpe, „versuchen wir den Fakten auf den Grund zu gehen. Für jede Sprache. Unser Netzwerk der Übersetzer hilft.“

Der Bedarf

Der Bedarf ist groß. Allein der DRK-Kreisverband Olpe betreut 41 unbegleitete minderjährige Jugendliche. Viele von ihnen fühlen sich von ihrer einstigen Welt abgeschnitten. Im Gespräch versucht Valentina Gross zu ergründen: Wo und wann erfolgte die Trennung von den Angehörigen? Welche Fluchtroute war vorgesehen? Ein mühsames Puzzle.

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„Je mehr die Betroffenen von sich erzählen und präzise Angaben machen können, desto wahrscheinlicher ist ein Erfolg.“ Und Tillmann ergänzt: „Trotzdem bleibt es eine Sisyphos-Beschäftigung. Es ist so, als ob man eine Nadel im Heuhaufen sucht.“

Die Erfolgsquote

Nicht jede Suche ist von Erfolg gekrönt. „Ich habe das bei mir leider noch nicht erlebt“, sagt Valentina Gross. Die DRK-Mitarbeiterin hat ein Gespür für die Sorgen in einem fremden Land. Sie ist als ­Acht­jährige aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. „Ich weiß, wie es sich anfühlt, in Flüchtlingseinrichtungen untergebracht zu sein.“

13 Familien hat der DRK-Suchdienst in Westfalen-Lippe 2016 wieder zusammenbringen können, Seit Januar sind 130 Suchanfragen eingegangen, acht mit einem bewegenden Ende. So erhielt ein Äthiopier in Senden auf Vermittlung des DRK Post von seinem inhaftierten Bruder. Der Mann weinte vor Freude, er dachte sein Bruder wäre hingerichtet worden.

Die Vergangenheit

Die Anfragen der Flüchtlinge rücken die DRK-Suche nach Vermissten aus dem Zweiten Weltkrieg in den Hintergrund. „Aber auch 70 Jahre danach wollen Angehörige Gewissheit“, weiß Tillmann. „Wir haben vier aktuelle Anfragen. Neu erschlossene Informationen aus den Archiven der Nachfolgestaaten der UdSSR bringen häufig erst jetzt Klarheit.“