Hagen. Vor dem Hagener Landgericht hat der Rocker-Prozess gegen mutmaßliche Führungskräfte der „Bandidos“ begonnen. So lief der erste Verhandlungstag.

Peter M. hat es aus einfachen Verhältnissen zu einem Eintrag in der Internet-Enzyklopädie Wikipedia geschafft: als „deutsches Bandidos-Mitglied und Buchautor“. Vor Jahren hat der mutmaßlich führende Kopf der Rockergruppe in Deutschland zusammen mit seinem Kumpel „Leslav“ H. in dem Werk „Ziemlich böse Freunde“ dem Klappentext zufolge „erstmals Außenstehende“ einen „einzigartigen Einblick in die geheime Welt der Rocker“ gegeben.

Seit Donnerstag stehen die einstigen Gründer der Bandidos MC Germany wieder in der Öffentlichkeit. Diesmal unfreiwillig. Sie müssen sich zusammen mit drei weiteren mutmaßlichen Bandidos (zwei aus Hagen, einer aus Dortmund) vor dem Landgericht Hagen verantworten.

Selbstsicherer Eindruck auf Fotos

Auf Fotos, die im Internet kursieren, sind die kräftigen Peter M. (56) und Leslav H. (58) in Bandidos-Kutten über ihren tätowierten Körpern zu sehen. Sie machen einen selbstsicheren Eindruck, so als könne ihnen nichts passieren. Zumal der in Gelsenkirchen geborene Peter M. einst rund um die Buchveröffentlichung in die Kameras von Spiegel TV im schönsten Ruhrpott-Slang sagte, dass „im Endeffekt vielleicht 1 Prozent“ der Bandidos kriminell seien.

Nun sitzen sie nach einem Kuttenverbot im Justizgebäude „in zivil“ auf der Anklagebank im Hagener Landgericht und schauen mehr oder weniger bedröppelt aus der Wäsche. Insbesondere Leslav H. aus Herne, der sich derzeit in Untersuchungshaft befindet und übrigens keinen Wikipedia-Eintrag hat.

Wiedersehen im Gerichtssaal

Anwalt Lars A. Brögeler (links) kritisierte in einer Erklärung die Anklage der Staatsanwaltschaft scharf.
Anwalt Lars A. Brögeler (links) kritisierte in einer Erklärung die Anklage der Staatsanwaltschaft scharf. © dpa | Bernd Thissen

Womöglich haben die beiden Männerfreunde, die sich beim Wiedersehen im Gerichtssaal per Wangenkuss begrüßen, nicht damit gerechnet, dass 30 Jahre nach ihrem letzten Aufenthalt in einer Justizvollzugsanstalt eine Staatsanwaltschaft sie doch noch einmal an die Kandare nehmen könnte. Führende Köpfe einer kriminellen Vereinigung? Nein, sie doch nicht.

Ein taz-Reporter hatte vor Jahren nach einem Besuch bei den beiden Spitzen-Bandidos geschrieben, dass sie „gefährlich“ aussehen. Jetzt sitzen sie, neben ihren Verteidigern, hintereinander im Gerichtssaal und hören der Verlesung der Anklageschrift eher teilnahmslos zu.

Ein Anklagevorwurf: Versuchter Mord

Sollte die Staatsanwaltschaft tatsächlich einen gerichtsfesten Beweis vorlegen, dass Peter M. und Leslav H. zumindest eine in Teilen kriminelle Vereinigung anführen und insbesondere zum Ausbau der Machtposition der Bandidos bei den Rockerkriegen in Hagen (gegen die Freeway Riders) und in Köln (gegen die Hells Angels) kräftig mitgemischt haben? Bei verschiedenen Aktionen sollen auch Schüsse gefallen sein. Ein Anklagevorwurf der Staatsanwaltschaft Hagen lautet demnach: versuchter Mord.

Die fünf Angeklagten wollen sich, so lassen sie wissen, nicht zur Person und zur Sache äußern. Stattdessen nimmt der Dortmunder Strafverteidiger Lars A. Brögeler, stellvertretend für seine Anwaltskollegen, die Anklage auseinander. Sie sei eine „Aneinanderreihung von Vermutungen und Spekulationen“, sagt er.

Anwalt: Buch ohne Beweiswert

Insbesondere, dass die Staatsanwaltschaft das Buch „Ziemlich böse Freunde“ für ihre Beweisführung benutzt hat, stört ihn massiv. Mit einem Buch wolle man hohe Absatzzahlen erzielen, so der Jurist, daher würden Anekdoten erzählt, „die rhetorisch und tatsächlich überhöht“ seien: „Der Beweiswert ist faktisch gleich Null.“

Darüber hinaus will Brögeler nichts von einer streng hierarchischen Organisation wissen und zitiert aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Demnach seien die örtlichen Bandidos-Gruppen (Chapter) organisatorisch weitgehend selbstständig“.

Erster Verhandlungstag nach einer Stunde beendet

Der erste Prozesstag ist nach einer guten Stunde beendet. Zuschauer und Angeklagte haben sich an das Kuttenverbot im Gericht gehalten. Leslav H. verlässt im schwarzen Hemd die Anklagebank, sein Kumpel Peter M. im schwarzen Motörhead-Langarm-Shirt. Es erinnert an ein Album der britischen Rockband von 1999. Es heißt: „Everything Louder Than Everyone Else“ – alles lauter als alles andere.

Hintergrund:

Die Große Strafkammer des Hagener Landgerichts unter Vorsitz von Richter Bernhard Kuchler hat bislang Verhandlungstage bis Ende März 2021 terminiert.